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„Macht im Umbruch“: Deutschland, ein Geopolitikmärchen

„Macht im Umbruch“: Deutschland, ein Geopolitikmärchen

„Macht im Umbruch“: Deutschland, ein Geopolitikmärchen

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Brüssel: Münkler sieht eine doppelte Rolle für Deutschland in Europa vor. (Themenbild)
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Brüssel: Münkler sieht eine doppelte Rolle für Deutschland in Europa vor. (Themenbild)
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Brüssel: Münkler sieht eine doppelte Rolle für Deutschland in Europa vor. Foto: IMAGO / dts Nachrichtenagentur
„Macht im Umbruch“
 

Deutschland, ein Geopolitikmärchen

Wohin steuert Deutschlands Außenpolitik? In seinem neuen Buch skizziert Politikwissenschaftler Herrfried Münkler, welche Rolle der Bundesrepublik in einer multipolaren Welt zusteht. Siegfried Franke rezensiert.
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Um es gleich freimütig zu gestehen: Nach der Lektüre der Einleitung mit der unpräzisen Verwendung der Begriffe der Demokratie und des Rechtsstaates, dem undifferenzierten Ungarn-Bashing sowie dem Lob an die neue polnische Regierung war der Rezensent geneigt, das Buch zuzuklappen und den Auftrag einer Buchbesprechung zurückzugeben. Es kann dem „Großdenker“ Münkler (Focus) doch nicht entgangen sein, wie Viktor Orbán seine Kritik an der Demokratievorstellung der EU verstanden wissen wollte.

Ebenso kann er nicht übersehen haben, wie rüde, das heißt gewaltsam, Donald Tusk gleich zu Beginn seiner Amtszeit seine autoritären Vorstellungen unter den Augen der anwesenden damaligen EU-Vize-Präsidentin und Kommissarin für Werte und Transparenz, Věra Jourová, durchsetzte. Die Ungarn-Beschimpfungen wie auch die Lobhudelei für die polnische Regierung unter Donald Tusk ziehen sich leider durch das ganze Buch. Die Frage bleibt, ob nicht auch Tusk zu gegebener Zeit die unsägliche Forderung milliardenschwerer Reparationsleistungen von Jarosław Kaczyński ebenfalls auf den Tisch bringt – zu Münklers Verblüffung.

Sicher, Münkler vertrat auch in früheren Publikationen und Vorträgen eher linksorientierte Positionen, aber er war immer offen für andere Argumente und geneigt, sie zu würdigen. Das hat sich mit dem vorliegenden Buch, vom links-woken Zeitgeist, der einseitigen Deutung des Klimawandels, der Geschlechterdiversität und der Schädlichkeit der Schuldenbremse kräftig durchtränkt, leider gründlich geändert.

Das ist schade, denn – trotz dieser Einwände – ist sein neuestes Buch außerordentlich interessant, denn es liefert viele, den meisten sicher nicht bekannte Entwicklungen und Zusammenhänge in philosophischer, historischer, ökonomischer und politischer Hinsicht, die in die derzeitige Rückkehr der Geopolitik münden. Dabei kommt ihm sein stupendes Wissen in den genannten Bereichen zugute. Daß ein wenig Eitelkeit mitspielt, mag ihm nachgesehen sein.

Herrfried Münkler: Macht im Umbruch. Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Jetzt im JF-Buchdienst bestellen.

Deutschland muß Führungsmacht und Diener zugleich sein

In der sich abzeichnenden geopolitischen multipolaren Lage zwischen den USA, Rußland, China und Indien gerät Europa, das heißt in erster Linie die EU, in die Gefahr, zerrieben zu werden. Zumindest findet es sich in einer Sandwich-Position ohne eigene Gestaltungsmacht wieder. Den Grund dafür sieht Münkler darin, daß sich die EU im Laufe der Zeit immer mehr vergrößert hat, wobei sie es mit den „Kopenhagener Beitrittskriterien“ offenkundig nicht so genau genommen hat.

Hinter dieser Ausweitung steckte leider kein Plan oder eine strukturbildende, zentripetale Idee. Folglich traten zentrifugale Kräfte immer stärker hervor. Die Bürokratie trat genau hier in die Bresche. Um den Zusammenhang administrativ zu sichern, weitete sie sich mit dem acquis communautaire zu einem wahren Monster aus (Stand zur Zeit: 31 Bände mit rund 85.000 Seiten).

Um einem Auseinanderbrechen der EU vorzubeugen, müssen ihre Institutionen zeitnah umgeformt werden, und es bedarf einer starken, aber behutsam vorgehenden Führungsmacht, um als fünfter Pol in der geopolitischen Großlage mitzuwirken und gegebenenfalls auch rasch reagieren zu können. Nach Lage der Dinge: ökonomische Stärke, finanzieller Beitrag an die EU, Bevölkerungsstärke, geographische/geopolitische Lage sowie Lehren aus der Geschichte, kann nur Deutschland diese Führungsmacht sein.

Diese Rolle muß Deutschland allerdings behutsam wahrnehmen, um nicht Geister der Vergangenheit zu wecken. Deshalb ist für Münkler die „Brandmauer“ nötig, damit Deutschland die Rolle eines dienenden Führers wahrnehmen kann. Er verwendet allerdings das belastende Wort nicht, sondern weicht aufs Englische aus: „servant leader“.

Münklers Buch ist äußerst facetten- und detailreich

Allerdings muß Deutschlands Bevölkerung davon überzeugt werden, daß damit verbundene Belastungen zu vernachlässigen sind, wenn man ihnen die immensen Folgen eines Auseinanderbrechens der EU oder ihre Rolle lediglich als Zuschauer des geopolitischen Spiels gegenüberstellt. Daß Europa ein eigenständiger Pol ist, leitet Münkler daraus ab, daß der Islam schon in der Vergangenheit zurückgedrängt wurde. Offenbar schwebt ihm dabei vor, daß die Türken zweimal vor Wien die Waffen strecken mußten; offenbar hat er jedoch die migrationspolitische Entwicklung der letzten fünfzig Jahre verschlafen.

Münkler möchte das 1991 in die Diskussion gebrachte Weimarer Dreieck beleben. Es sieht eine Achse von Paris nach Warschau vor, dessen Knoten- oder Mittelpunkt Berlin darstellt. Diese Achse muß durch eine Nord-Süd-Achse, die von Skandinavien bis nach Italien und Spanien reicht, ergänzt werden. Mit den Staaten auf diesen beiden Achsen könnte der „servant leader“ je nach Erfordernissen abgestuft reagieren. Sie könnten ihrerseits, gegebenenfalls nach Politikbereichen getrennt, kleinere Länder mit ins Boot ziehen.

Das äußerst facetten- und detailreiche Buch von Münkler könnte als Grundlage für ein über zwei Semester reichendes Hauptseminar für die Bereiche Philosophie, Geschichte, Politik, Geographie, Ökonomie und nicht zuletzt für die Geopolitik dienen. Die derzeitige Politikerkaste, über die sich Münkler übrigens keine Illusionen macht, ist damit völlig überfordert. Für sie wäre eine deutlich gestraffte Fassung mit übersichtlichen Hauptpunkten und Schritten zum „servant leader“ anzuraten.


Prof. Dr. Siegfried F. Franke lehrte Volkswirtschaftslehre in Hamburg, Stuttgart und Budapest. Er ist Gastprofessor an der Andrássy Universität Budapest.

Aus der JF-Ausgabe 28/25.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Brüssel: Münkler sieht eine doppelte Rolle für Deutschland in Europa vor. Foto: IMAGO / dts Nachrichtenagentur
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