In Mitteldeutschland veröden die Dörfer, weil die jungen, arbeitsfähigen Menschen wegziehen, und Experten planen bereits langfristige Rückbau- und Renaturierungsmaßnahmen. Gleichzeitig verzeichnet eine Zeitschrift wie Landlust von Jahr zu Jahr ungeheure Zuwächse; derzeit liegt die verkaufte Auflage bei knapp 650.000 Heften.
Die von Chefredakteurin Ute Frieling-Huchzermeyer geführte Landlust gehört inzwischen zu den zwanzig auflagenstärksten Kaufzeitschriften in Deutschland – und hat eine Reihe von Kopien der Konkurrenz auf den Plan gerufen, die alle ein Stück vom Kuchen abhaben wollen.
Der Erfolg auf dem Zeitschriftenmarkt ist indes nicht der einzige Indikator dafür, daß hier vor allem ein Lebensgefühl bedient wird. So trägt der moderne Großstädter in seiner Freizeit Outdoor-Kleidung, kauft Bioprodukte und engagiert sich für den Regenwald, oder er sammelt – vielleicht gerade dann, wenn er sogar zum Briefkasten mit seinem Geländewagen fährt – Survivalmesser und Hochleistungsmacheten. Ganz zu schweigen von dem in Städten wie Berlin zum Teil verbissen geführten Kampf um jeden Quadratmeter Kleingartenfläche.
Trendforscher sprechen hier gern von „Lohas“ (Lifestyle of Health and Sustainability). Der Begriff steht für einen städtischen Konsumententyp, der häufig über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügt und in seiner Lebensweise bewußt auf Gesundheit und Nachhaltigkeit, auf Selbstkenntnis, Streßfreiheit und Entschleunigung setzt.
Naturverbunden und wertkonservativ
„Lohas“ wird nachgesagt, daß sie naturverbunden und wertkonservativ sowie von einer Sehnsucht nach Erdung und Ursprünglichkeit geprägt sind. Das Pendant dazu wird „Lovos“ (Lifestyle of Voluntary Simplicity) genannt. Der Ausdruck bezeichnet eine Lebensführung, die bewußt Konsumverzicht übt und das einfache Leben propagiert.
Diese Sehnsucht nach der Natur und einem verlorenen, angeblich glücklichen Naturzustand ist so alt wie die Neuzeit und die Ausbeutung der „natürlichen Ressourcen“. War zuvor Natur vor allem Ödland, das erst urbar gemacht werden mußte, und galt eine Verbannung in die schreckenerregende Wildnis als Strafe, so wird sie, zumindest für naturferne Intellektuelle, nun Utopie, Heimat des teils verachteten, teils beneideten, teils paternalistisch umsorgten „Edlen Wilden“.
In der Romantik finden sich bereits die zentralen Tendenzen der (anti-)modernen und antimaterialistischen Naturbesinnung: bei Eichendorff oder Tieck etwa die poetische Feier des Unberührten, Geheimnisvollen und Magisch-Verwunschenen, das – in religiöser Aufladung – fasziniert und berückt, aber oft auch ein Grausen birgt, und, schon bei Arnim und besonders bei Kerner, die Klage über Naturzerstörung und „Maschinenwesen“.
Eng mit der Rückbesinnung auf die Natur verbunden ist auch diejenige auf Heimat und Geschichte, die sich in der „historisch gewachsenen“ Landschaft verschränken, so daß der im 19. Jahrhundert aufkommende Naturschutzgedanke immer auch den Aspekt des Heimatschutzes impliziert, weshalb er lange Zeit eine konservative Domäne war. >>
Mit dem Begriff der Heimat als „natürlichem“ Ort der je eigenen Geschichte ist der Boden der Geschichte überhaupt betreten: Da Kultur unhintergehbar und die zweite Natur des Menschen ist, findet dieser die wesentlichen Grundzüge des Natürlichen in der Geschichte wieder. Natur und Geschichte erscheinen dem Menschen gleichermaßen „umgreifend“, verweigern sich letztlich seinem Zugriff, liefern ihm die Voraussetzungen seines Handelns, ohne daß er wirklich über diese verfügen könnte, prägen ihn, ohne ihn doch völlig zu determinieren, und formen dadurch sein „Wesen“.
Die Leere eines rein physikalisch funktionierenden, dem Menschen gegenüber völlig gleichgültigen Universums ist die eigentliche Hölle des modernen Menschen. Er wäre lieber von Teufeln geplagt als in ein sinnlos kreisendes oder sich unaufhörlich ausdehnendes Universum gebannt – denn die Teufel kümmern sich wenigstens um ihn. Infolgedessen sucht der Mensch als natürlich-kulturelles Wesen auch in der physikalischen Natur, etwa in quantenmechanischen Vorgängen, nach den Schnittstellen zwischen Natur und Kultur.
Von all dem ist es ein großer Sprung zu neuer Natursehnsucht und „Landlust“, zu Abenteuerurlaub, Survivalcamp, Wildwasser-Canyoning, biologischem Landbau, Kampf gegen die Klimakatastrophe und Liebe zu kleinen Eisbären. Nach wie vor handelt es sich um Freizeitverhalten oder phasenweise auftretende, gewissensberuhigende Maßnahmen wie diejenige, „für das Klima“ das Licht auszuschalten oder eine kleine Spende zu tätigen; das übliche, urbane, „unnatürliche“ und medienvermittelte Leben geht weiter.
Eigenheim im Grünen
Und dennoch gibt es vielleicht hier und da tatsächliche Graswurzelrevolutionen. Immerhin ziehen nicht alle aus den mecklenburgischen und brandenburgischen Dörfern weg, sondern ein paar ziehen auch hin: Individualisten, die es sich leisten können oder ihre Arbeit mitbringen.
Dabei locken auch handfeste Gründe: Für rund zehntausend Euro läßt sich nur eine gute Stunde von Berlin entfernt ein Eigenheim erwerben; zwar darf der Sanierungsaufwand nicht unterschätzt werden, aber vor allem bei Altbauten bestehen umfassende staatliche Förderungsmöglichkeiten.
Die meisten können aus beruflichen Gründen nicht auf eine städtische oder stadtnahe Wohngegend verzichten, aber dank des Internet und einer sicher noch zunehmenden Tendenz zur freiberuflichen Heimarbeit könnte der Zwang, in Ballungsräumen wohnen zu müssen, künftig nachlassen.
Gerade der global vernetzte Mensch, der im Prinzip überall wohnen kann, wird sich – vielleicht mehr als heute, wo er als „Arbeitsplatznomade“ herumzieht – aussuchen, wo er tatsächlich leben möchte. Und wahrscheinlich wird ihm die Wahl aufgrund mancher Entwicklungen in den postmodernen Metropolen gar nicht so schwerfallen.
Zu diesem Thema ist in der aktuellen Ausgabe der JUNGEN FREIHEIT ein Interview mit der Chefredakteurin der Zeitschrift Landlust, Ute Frieling-Huchzermeyer, erschienen.
JF 15/10