Berlin und der Karneval, das ist wie Schneestürme im Mittelmeerraum: Es gibt sie, aber trotzdem staunen alle überrascht, wenn es dann passiert. Zwar hat die Hauptstadt einen eigenen Karnevalsumzug, der – falls er nicht gerade ausfällt – die besten Adressen wie den Kurfürstendamm kreuzt, aber schon im Schatten des „größten Karnevalsumzugs Ostdeutschlands“ im brandenburgischen Cottbus steht.
Von der „Fastelawende“ und dem aus der Lausitz mitgebrachten „Zampern“ im 15. Jahrhundert über die Karneval-Redouten im Berliner Opernhaus bis zu den Maskenbällen am preußischen Hofe, das närrische Treiben blieb immer eine gewisse Randerscheinung. Mummenschanzen und Kostümfeiern, wie sie teilweise eingewanderte Handwerker tagelang zechten, wurden sogar immer wieder verboten. Mit der Zugehörigkeit des Rheinlands zu Preußen intensivierte sich dann der Einfluß der fünften Jahreszeit. Mit dem Deutschen Reich gründeten sich auch vermehrt rheinländische Karnevalsklubs in Berlin.
Heute sind die einzelnen Vereine wie beispielsweise die „Narrengilde“, die „Prinzengarde“ oder die „Harlekins“ im Festkomitee Berliner Karneval vereint, haben ein Prinzenpaar und einen eigenen Ruf: „Berlin HeiJo“. Doch bei der Bedeutung für die Region kann die Funkenmariechen-Szene an der Spree mit den Hochburgen Köln, Mainz und Düsseldorf kaum mithalten. Auch weil viele junge Zugezogene und linke Hipster beim Wort „Karneval“ mittlerweile eher an den jährlichen multiethnischen „Karneval der Kulturen“ denken, der von Medien, Künstlern und Popkultur stärker begleitet wird als das Original.
Was beim Karneval passiert, bleibt beim Karneval
Allerdings gibt es ein Milieu, das von Fettdonnerstag bis Rosenmontag kopfsteht: die Berliner Politik-Blase. Bonner Vorgeschichte, ministerielle Doppelstandorte und umgezogene Mitarbeiter mit rheinischem Migrationshintergrund sei Dank. Die Weiberfastnacht in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen ist ein Klassiker der Kamellediaspora im märkischen Sand und vereint zwei Schlachtrufe, die sich in der westlichen Heimat sonst spinnefeind sind: „Helau!“ und „Alaaf!“
Und so kann es passieren, daß sich in den NRW-Räumlichkeiten Bundestagsmitarbeiter und Ministerialbeamte in Matrosen- und Cowboykostümen zur Live-Band schunkelnd – oder sogar bützend – in den Armen liegen, um sich am Folgetag angeschlagen in der Kantine oder in den Reichstagsgängen ein Zwinkern, verstohlenes Lächeln oder Anti-Kater-Mittelchen zuzuwerfen. Aber wie heißt es doch so schön erzkatholisch am Fuße des Kölner Doms: Was beim Karneval passiert, bleibt beim Karneval. Karten für die feucht-fröhliche Sause können ausschließlich im Vorverkauf montags bis freitags an der Pforte der Landesvertretung für 30 Euro erworben werden.
Die Party findet in verschiedenen Clubs statt
Eine weitere Instanz des obergärigen Stangenbiers ist die geschichtsträchtige „Ständige Vertretung“ – also die Gaststätte, nicht die Dienststelle. Anfangs noch im Lokal am Spreeufer zelebriert, ist die Party längst in wechselnde Berliner Clubs wie die Kulturbrauerei umgezogen. Zu den zwei Hauptterminen an Weiberfastnacht und Rosenmontag wird es brechend voll. Berliner Dialekt trifft auf rheinischen Zungenschlag, und nach einigen „Kränzchen“ macht man plötzlich zu Hymnen auf den 1. FC Köln und die Berliner Eisbären eine Mitsing-Polonäse. Wenn das die jeweils einheimischen Fan-Kameraden sehen würden! Vor einigen Jahren traditionell noch um 11.11 Uhr gestartet, geht es mittlerweile um 19 Uhr los. Karten kosten im Vorverkauf 15 und an der Abendkasse 20 Euro.
Auch das „Kölsche Konsulat“ im Gaffel Haus Berlin lädt an den zwei Haupttagen zur Jecke-Wiever-Fete und zum „Kumm loss mer fiere“. Hier direkt im Brauereiwirtshaus gilt kein Vorverkauf, sondern nur die Tageskasse. Kosten: 10 Euro. Die Blicke der karnevaldesinteressierten Berliner auf die Verkleideten in den Straßen und U-Bahnen auf dem Weg zur Party: unbezahlbar.