Als Begründer der Fachmesse Popkomm und des „Jugendsenders“ Viva weiß Professor Dieter Gorny wie kaum ein anderer um die Diskrepanz zwischen dem unbeschwerten Geist der Spaßgesellschaft und den unerbittlichen ökonomischen Interessen der Branche, die diese mit Lebensgefühl versorgt. Während sich Jung und Alt daran erfreuen, daß ihnen im digitalen Zeitalter der kostenlose Zugriff auf eine schier unerschöpfliche Welt der Medien möglich ist und niemand Gewissensbisse hegt, wenn er sich als illegal verunglimpfte Kopien oder Downloads verfügbar macht, sieht die Unterhaltungsindustrie ihre Felle davonschwimmen und hadert mit ihrem Schicksal.
In einem Interview mit mobil, dem Kundenmagazin der Bahn, versucht Gorny in seiner heutigen Funktion als Vorstandschef des Bundesverbandes Musikindustrie um Verständnis dafür zu werben, warum es der durch ihn vertretenen Branche an Gelassenheit mangelt: Auf eine gekaufte CD kämen drei Kopien, auf jeden „legalen“ Download im Internet zehn „illegal“ beschaffte Dateien. Die online begangenen Verstöße gegen das Urheberrecht hätten sich zwar in den vergangenen Jahren nahezu halbiert, weil es unterdessen attraktive Angebote gebe, Titel ordnungsgemäß zu erwerben. Dieses Geschäft mache aber gerade einmal acht Prozent der mit Musik gemachten Umsätze aus.
In seiner Verzweiflung stellt Gorny einen recht unkonventionellen Vorschlag zur Diskussion. Nach dem Vorbild des Flensburger Kraftfahrt-Bundesamtes sollten Ordnungswidrigkeiten im Internet erfaßt und Nutzern bei illegalem Verhalten für eine befristete Zeit die Erlaubnis entzogen werden, online zu gehen. Da diese Anregung rechtlich, technisch und organisatorisch nicht umsetzbar ist, sollte man sie eher als Symptom für einen weitreichenden Realitätsverlust begreifen: Der Unterhaltungsindustrie ist immer noch nicht klar, daß sich der Charakter des von ihr angebotenen Gutes geändert hat. Alles, was als Datei über das Internet verbreitet werden kann, ob Musik, Texte oder Filme, stellt ein öffentliches Gut dar: Niemand kann auf Dauer wirksam von seinem Konsum ausgeschlossen werden – und es sollte auch niemand ausgeschlossen werden, da es unbegrenzt verfügbar ist und dieser Konsum somit jenen aller anderen in keiner Weise beeinträchtigt.
Öffentliche Güter kann aber nur der Staat finanzieren, weil sich alle Einzelnen um eine Bezahlung drücken. Der Adressat von Gornys Anregung muß also Berlin sein: Wenn die Musikbranche überleben will, muß sie ihre Verstaatlichung in die Hand nehmen.