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Das Leben des ersten und letzten welfischen Kaisers „war unfruchtbar für ihn selbst, verhängnisvoll für die Seinen, verderblich für das Reich“, so das harsche Urteil des Historikers Eduard Winkelmann in seiner 1878 veröffentlichten Biographie über Otto IV. Pünktlich zum 800. Jubiläum seiner Kaiserkrönung am 4. Oktober 1209 widmet sich in Braunschweig eine große Landesausstellung unter dem Titel „Otto IV. – Traum vom welfischen Kaisertum“ dem Leben und Wirken dieses über lange Zeit in Vergessenheit geratenen Herrschers.

Die etwas herablassende Bezeichnung als „Fußnoten-Kaiser“ verdankt der 1175 (oder 1176) geborene Sohn Herzog Heinrichs des Löwen auch der Tatsache, daß Otto IV. in der Literatur über die deutschen Kaiser des Mittelalters meistens nicht mit einem eigenen Kapitel, sondern nur im Abschnitt über seinen staufischen Widersacher Friedrich II., den ungleich attraktiveren „Knaben aus Apulien“, Erwähnung findet.

Erst vor gut zwanzig Jahren hob Bernd Ulrich Hucker in seiner Berliner Habilitation den Welfen auf dem Kaiserthron wieder aus der Versenkung. Die Forschungen des in Vechta lehrenden Mediävisten sind daher auch wesentliche Grundlage der Ausstellung.

Otto IV., Sohn Heinrichs des Löwen und Neffe des englischen Königs Richard Löwenherz, wurde 1198 auf Betreiben des Kölner Erzbischofs deutscher König, obwohl die Mehrheit der Fürsten für seinen Konkurrenten, den Staufer Philipp von Schwaben votierte. Seinen Anspruch, dennoch rechtmäßiger Herrscher zu sein, begründete Otto mit der Tatsache, daß er im Gegensatz zu seinem Widersacher am richtigen Ort vom richtigen Bischof gesalbt worden war; die originalen Reichinsignien verwahrte dagegen sein Gegner. Der zehnjährige Thronstreit endete erst mit dem gewaltsamen Tod Philipps. 1209 wurde Otto IV. von Papst Innozenz III. in Rom zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt.

Wegen seiner Italienpolitik geriet er jedoch mit dem Papst in Konflikt, der ihn 1211 exkommunizierte: „Aus einer unglaublich großen Freundschaft erwuchs ein abscheulicher Zwiespalt“, so ein zeitgenössischer Annalist.

Otto – außenpolitisch nach einer Niederlage im Kampf mit dem französischen König geschwächt – mußte schließlich dem jungen Staufer Friedrich II. weichen und sich 1215 auf seine sächsischen Stammlande zurückziehen, wo er drei Jahre später starb.

Nicht nur Informationen, auch „Erlebnisse“ möchte die Schau ihren Besuchern bieten. Deshalb wandelt man über einen roten Teppich, um in den Raum zu gelangen, der sich der Inthronisierung in Aachen widmet, passiert eine stilisierte „Brücke“ (über den Rhein) oder vollzieht die Überquerung der Alpen nach, wenn es um die Kaiserkrönung in Rom geht. Das wirkt manchmal etwas sehr bemüht, um nicht zu sagen überflüssig. Aber es ist das Zugeständnis an eine „moderne“ Inszenierung, die ohne „Multimediastationen“, Farb- und Lichteffekte sowie „Klangduschen“ nicht mehr auszukommen scheint. Und dazu gehört es selbstverständlich, die Landesausstellung mit insgesamt etwa 90 Rahmenveranstaltungen vom Ritterturnier bis zum Minnesang-Wettbewerb zu einem „Event“ zu auszubauen. Wenn dadurch das Mittelalter tatsächlich atmosphärisch „erlebbar“ gemacht werden kann – bitte schön. Zumal das Ansinnen der Ausstellungsmacher, die „Würde und Ausstrahlungskraft des Exponates in den Vordergrund“ zu stellen, in der Tat nicht konterkariert wird. Zu Recht, denn die aus ganz Europa zusammengetragenen Exponate lohnen einen Besuch allemal.

Herausragend ist sicherlich der „Ptolemäer-Kameo“, ein aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. stammender indischer Sardonyx mit dem Doppelporträt eines ägyptischen Herrscherpaares, der von Otto IV. für die Herstellung des Kölner Dreikönigsschreins gestiftet worden war. Ebenfalls ein Höhepunkt ist der um 1200 aus byzantinischer Purpurseide gefertigte Kaisermantel; die mit Goldfäden gestickten Leoparden verweisen auf die enge Bindung Ottos an den englischen Hof. Gezeigt wird auch das im Niedersächsischen Staatsarchiv aufbewahrte Testament Ottos. Wie der Kaiser seinerzeit selbst, so muß sich auch die Braunschweiger Landesausstellung allerdings bei den Reichsinsignien mit Kopien begnügen.

Seinem Scheitern auf der Ebene der Reichspolitik werden die Erfolge Ottos als Landesherr, als Förderer der Frühgotik, Schirmherr lateinischer, französischer und mittelhochdeutscher Dichter, sowie bei der Schaffung eines neuen Steuersystems gegenübergestellt. Auch Ottos Tapferkeit und Kompetenz als militärischer Anführer bleiben nicht unerwähnt. Projektleiter Hans-Jürgen Derda unterstrich bereits bei der Ausstellungseröffnung das Bemühen, Otto soweit wie möglich neutral, in jedem Fall aber fair und auf Grundlage der Quellen zu beurteilen.

Daß Sieger – in diesem Falle die staufischen – Geschichte schreiben, ist eine Binsenweisheit. In diesem Sinne könnte die noch bis zum 8. November geöffnete Braunschweiger Landesausausstellung die Revision eines überkommenen Geschichtsbildes befördern.

Die Ausstellung „Otto IV. – Traum vom welfischen Kaisertum“ ist bis zum 8. November im Braunschweigischen Landesmuseum, der Burg Dankwarderode und dem Dom St. Blasii täglich von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Der informative und ansprechend gestaltete Ausstellungskatalog umfaßt 512 Seiten mit 300 Farbabbildungen und kostet 29,95 Euro.

Foto: Christian Tunica, Porträt von Kaiser Otto IV. (1835): Revision eines überkommenen Geschichtsbildes

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