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Was schön ist, kann nicht falsch sein

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Was schön ist, kann nicht falsch sein

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Auf die – reichlich plakative – Frage des Frankfurt Journal, ob er sich seiner Vergangenheit schäme, antwortete Daniel Cohn-Bendit im April 2008: „Nein, ich bin mit mir im reinen. Ich weiß, was schön war damals, ich weiß, was falsch war.“ Wer so redet, der hat keinen Zweifel daran, zu den Siegern der Geschichte zu zählen. Der meint, daß in seinem Handeln der Weltgeist in fast reiner Form zu sich selbst gefunden habe und das wenige Unreine daran als läßliche Sünde verbucht und vergeben ist. Der war und ist in wunderbar-kindlicher Weise einverstanden mit dem, was er getan hat und immer noch tut. Zweitens fällt auf, daß Cohn-Bendit als Komplementärbegriff zu „falsch“ nicht „wahr“ einsetzt – was der logischen Zweiwertigkeit entsprechen würde -, sondern „schön“ und sich damit auf die Ebene nicht der Ästhetik, vielmehr der subjektiven Empfindung, des Selbst- und Lebensgenusses begibt. Cohn-Bendit ist stets ein Kulinariker des Politischen gewesen. Er ist als „Dany le Rouge“ während der Pariser Revolte bekannt geworden und bis heute der Inbegriff des 68er-Rebellen geblieben. „Ich bin nicht so auf Anekdoten aus. Aber aus heutiger Sicht wurden um 1968 die stark verkrusteten Strukturen der Gesellschaft aufgebrochen. Falsch war daran nur die politische Projektion, also der Bezug auf Gestalten wie Ho Chi Minh oder Mao Tse-Tung. Wichtig bleibt aber das Ergebnis, und das ist für mich der neu entstandene Citoyen, der freie Bürger.“ Der „freie Bürger“, der im „Bezug“ auf Mao Tse-tung entstanden sein soll, ist als Legende nicht minder zählebig als der „Muff“ der Adenauer-Zeit, der erst durch einen kulturrevolutionären Gewaltakt überwunden werden mußte. Ein Blick in die Publikationen von damals zeigt freilich, daß die politischen Debatten und das Geistesleben jener Jahre reichhaltiger waren als heute. Niemals seit 1945 waren das akademische Leben und die politische Diskussion dermaßen von Ängstlichkeit und Gleichklang getrimmt wie im Verfolg von 1968. In diesem Punkt unterscheidet Cohn-Bendit sich überhaupt nicht von seinen Weggefährten. Wie sie flüchtet er sich in Phrasen, anstatt das politische Erbe seiner Generation ernsthaft anzusprechen: Staatsverschuldung, marode Sozialsysteme, sinkendes Bildungsniveau usw. Doch gilt für ihn auch, was Karl Lagerfeld über die Hotelerbin Paris Hilton gesagt hat: Man kann ihn nicht kritisieren, ohne Gefahr zu laufen, sich lächerlich zu machen. „Bekannt wurde ich in den sechziger Jahren als Sprecher und Führer der Pariser Mairevolution … Nach 1968 engagierte ich mich in Frankfurt u.a. in der Kinderladen-Bewegung. Ich arbeitete in einer Buchhandlung, beteiligte mich an der Gründung einer Gruppe ‚Revolutionärer Kampf‘ und zählte mit Joschka Fischer zur Frankfurter Sponti-Szene, die mit Hausbesetzungen, Straßenkämpfen und der Agitation in Betrieben (Opel und Hoechst) die soziale Revolution erprobte“: Das Gesamtkunstwerk seines Lebens spricht nun mal für sich und läßt Kritiker schnell als neiderfüllte Kleingeister dastehen. Na klar sei er ein „Star mit allem, was das im Showbusineß bedeutet“, schrieb er in den siebziger Jahren. Zwar verabscheue er das Mackertum, habe aber „ein diebisches Vergnügen daran, Macker zu sein“. Keine Frage, daß er unter Deutschlands Politikern ein Paradiesvogel ist. 1945 als Sohn eines deutsch-französischen, jüdischen Elternpaares in Frankreich geboren, bekam er die europäische Internationalität, um die sich deutsche Politiker, die ihr Verständnis für die Differenzen und Gemeinsamkeiten kultureller Systeme aus dem Verzehr von Pizza und Rotwein ableiten, vergeblich bemühen, quasi in die Wiege gelegt. Cohn-Bendit ist kein klassischer Linker, sondern begann als libertärer Anarchist. Nie war die DDR für ihn ein „besseres Deutschland“, und in dem 1968 gemeinsam mit seinem neun Jahre älteren Bruder verfaßten Buch „Linksradikalismus. Gewaltkur für die Alterskrankheit des Kommunismus“ schloß er Lenin und sogar Trotzki in seine Absage an den Stalinismus ein. Das war und ist bemerkenswert! Als im Dezember 1994 auf die damalige Druckerei der JUNGEN FREIHEIT in Weimar unter dem Schweigen der sogenannten demokratischen Öffentlichkeit ein verheerender Brandanschlag verübt wurde, zögerte er nicht, eine Solidaritätserklärung zu unterzeichnen. Die Zeitung selbst interessiere ihn „nicht die Bohne“, kommentierte er den Schritt, aber hier gehe es um ein „Prinzip“, um die „Freiheit der Medien“. Er sei dagegen, „daß irgendeine Gruppe entscheidet, welche Zeitung erscheinen darf oder nicht“. Chapeau! Mit seiner libertären, antietatistischen Einstellung steht er in der Tradition französischer Linksanarchisten, doch seine Nach-68er Karriere hat vor allem in Deutschland stattgefunden. Ein Paradoxon? Seine innere Kompaßnadel zeigte nach Deutschland, weil er dort größere Chancen sah – für die praktische Umsetzung seiner Überzeugungen und für sich persönlich. „Mein Leben in der Gemeinschaft, ja sogar meine materielle Existenz hängen von der Stärke der Bewegung ab. Alles, was ich sein kann, bin ich durch sie, und ohne sie bin ich nichts.“ Wo, zum Teufel, hat man solche Sätze schon mal gehört und gelesen? Auf jeden Fall zeigen sie, daß Cohn-Bendit auch sehr deutsch denkt und fühlt. In Frankreich, wo im Mai 1968 die politischen Verhältnisse auf des Messers Schneide standen, raffte sich das Bürgertum am Ende zur Gegenwehr auf und brachte schließlich genauso viele Demonstranten auf die Beine wie die Studentenbewegung. Bei den Parlamentswahlen im Juni fuhren die Gaullisten einen triumphalen Wahlsieg ein. In Deutschland dagegen, dem ach so verkrusteten, war neben dem Bürgertum auch dem Staat durch die Katastrophe des Dritten Reiches das Rückgrat gebrochen worden. Heinrich Böll sprach damals von den „verfaulenden Resten“ des Staates, ohne freilich zu begreifen, welch tiefe historische Wahrheit er damit berührte. In einem Staat, der sich schämte, einer zu sein, und der es zuließ, daß seine Autorität als gesellschaftliches Problem zerredet wurde, konnten Rand-Existenzen wie Cohn-Bendit und Fischer schließlich ins Zentrum von Politik und Gesellschaft gelangen. In ihrer Cohn-Bendit-Biographie zitiert Sabine Stamer einen ehemaligen Mitschüler aus den frühen sechziger Jahren: „Wenn der was machte, was er nicht durfte, wurde er nie bestraft … (Dany) mußte sich nicht an Regeln halten. Es gibt halt Typen, die können einfach zu spät kommen, und trotzdem läuft alles glatt.“ War es nur sein Charme, der ihm soviel Narrenfreiheit eröffnete? Sein Charisma? Die Zeitschrift Konkret höhnte vor Jahren, er könne „mit der Gnade der antifaschistischen Geburt“ Positionen vertreten, die andere (noch) nicht zu formulieren wagten. Man kann noch weiter gehen: Cohn-Bendits Argumentation ist häufig nur banal und erhält erst Gewicht durch den biographischen Hintergrund. Hinzukommen muß freilich die Bereitschaft eines Publikums, das sich genügend schuldbewußt fühlt, um diesen Hintergrund als politisches Argument anzuerkennen. Diese Bereitschaft ist in Deutschland allgemein gegeben und Daniel Cohn-Bendit sich des Vorteils, den seine Herkunft bedeutet, durchaus bewußt. „Ich muß zugeben, daß ich nicht das internalisierte schlechte Gewissen der Deutschen habe. Ich bin ein Kind der Befreiung, entstanden mit dem ersten Eisprung nach der Landung der Alliierten in der Normandie. Vielleicht macht mir auch deswegen eine deutsche Militärintervention nicht so große Angst. Ich kann mich genetisch für den Nationalsozialismus nicht verantwortlich fühlen. Jene, die das tun, wie Joschka Fischer, nehmen eine sehr ehrenwerte Position ein. Nur, glaube ich, daß wir aus dieser antifaschistischen Zwangspädagogik irgendwann herauskommen müssen.“ Er selber mußte sich der Zwangspädagogik nie unterwerfen, konnte sich ihrer aber bedienen. Es zeugt von charakterlicher Stärke, daß er das explizit nur selten getan hat. Cohn-Bendits brillante Rhetorik verdeckt leicht, daß er weder ein Theoretiker noch Analytiker ist. Er ist ein Gefühlsdenker oder gedanklicher Sponti, als solcher aber überzeugungstreu. Noch sein ambitioniertestes Buch „Heimat Babylon. Das Wagnis der multikulturellen Demokratie“ (1992; zusammen mit Thomas Schmid) belegt das. Multikulturalismus sei „nur ein anderes Wort für die Vielfalt und Uneinheitlichkeit aller modernen Gesellschaften, die offene Gesellschaften sein wollen“. Gegen den Einwand, diese Gesellschaften hätten die Tendenz, in „Stammeswesen“ zu zerfallen und „zum Statischen, etwa zur Ethnizität, Zuflucht zu nehmen“, stellt er die Annahme komplexerer und vielfältigerer Identitäten. Suggestive Überredungskunst statt Argumentation! Weil das womöglich nicht ausreicht, um das Wahlvolk auf die multikulturell verstandene, libertäre Fährte zu locken, hat der mittlerweile langjährige Europa-Abgeordnete der Grünen den Vorzug des institutionellen Zwangs entdeckt. Auf den Einwand, die Arroganz der Politiker in Brüssel sei ein „Witz“, antwortet er: „Die witzigen Politiker sind immerhin legitim gewählte Vertreter ihrer Völker, ob die Mehrheiten uns gefallen oder nicht. (…) Eine parlamentarische Demokratie ist eine revolutionäre Errungenschaft und ist nicht besser, aber auch nicht schlechter als das ‚Volk‘.“ Das ist zwar nur zur Hälfte wahr, aber immerhin schön gesagt.

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