Als Inspirator der flämischen Nationalbewegung gilt der Volksschriftsteller Hendrik Conscience, der vor 125 Jahren, am 10. September 1883, gestorben ist. Sein aus hundert Büchern bestehendes Werk, insbesondere der historische Roman „De Leeuw van Vlaanderen“ (Der Löwe von Flandern), war für die Flamen Ansporn, im 1830 geschaffenen Königreich Belgien den Kampf um ihre sprachlich-kulturelle und politisch-soziale Emanzipation zu führen. Dies war notwendig, weil das politische Establishment Belgiens im Bunde mit der wallonischen und der französisierten flämischen Bourgeoisie die schnelle sprachliche Homogenisierung des künstlich geschaffenen Staatsgebildes erstrebte. Die Sprache in Bildung, Verwaltung und Militär war das Französische, ungeachtet der Tatsache, daß Niederländisch die Muttersprache der Mehrheitsbevölkerung in Belgien war — wenngleich damals die Hochsprache verwildert war und die meisten Flamen nur den jeweiligen örtlichen Dialekt sprachen. Conscience wurde am 3. Dezember 1812 als Sohn eines Matrosen aus Napoleons Flotte und einer flämischen Frau in Antwerpen geboren. Er fühlte sich als Flame und war stolz auf Flanderns große Vergangenheit. Sein Roman „Der Löwe von Flandern“ (niederländische Erstausgabe 1838) behandelt die Schlacht der Goldenen Sporen bei Kortrijk, in der am 11. Juli 1302 flämische Bauern, Handwerker, Adelige, Mönche und Laienbrüder ein französisches Ritterheer vernichtend schlugen. Flandern wurde so vor dem drohenden französischen Joch bewahrt. Das Buch fand begeisterte Aufnahme und stärkte das flämische Selbstbewußtsein. Viele Werke Consciences wurden ins Deutsche, Französische, einige auch ins Englische, Italienische und Norwegische übertragen. Hoffmann von Fallersleben, Klaus Groth und Fürstbischof Melchior von Diepenbroek halfen, Conscience im deutschen Sprachraum bekannt zu machen. Alexander von Humboldt schrieb dem Autor einen begeisterten Brief, König Ludwig von Bayern verlieh dem Flamen den Orden vom Heiligen Michael, Preußens Friedrich Wilhelm IV. zeichnete ihn mit dem Roten Adlerorden aus. Seit der deutschen Erstübersetzung von 1846 kam „Der Löwe von Flandern“ in zahlreichen Auflagen heraus, für mehrere Generationen war das Buch ein Klassiker der Jugendliteratur. Wenige Wochen vor dem Tod des Dichters wurde in Antwerpen ein Conscience-Standbild errichtet, die Inschrift lautete: „Er lehrte sein Volk lesen.“ In der niederländischen Muttersprache, mit Selbstbewußtsein, mit Stolz. Das wirkt bis heute nach — gut feststellbar in der aktuellen Staatskrise Belgiens.
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