Führt ein Weg vom „Nationalrevolutionär“ Friedrich Hielscher zum „Antideutschen“ Joschka Fischer? Nein, kein Weg, aber ein hauchdünner Faden. Unter Hielschers Anhängern waren nicht wenige Wanderer zwischen den politischen Welten, die sich nach 1945 sozialdemokratisch engagierten oder wenigstens die SPD wählten. Unter ihnen ein braves Forstmeister-Ehepaar, das, in der antikapitalistischen Tradition des Hielscher-Kreises handelnd, dem eigenen Sohn Unterschlupf gewährte, um ihn der Strafverfolgung zu entziehen, da er „gemeinsam mit Fischer“ Frankfurter Häuser besetzt hatte. Dieses Histörchen aus der Geschichte der „deutschen Ideologie“ (Marx/Engels) weiß Ina Schmidt in ihrer Biographie über den 1990 achtundachtzigjährig verstorbenen Friedrich Hielscher zu erzählen. Wie es der Zufall wollte, hat diese Zentralfigur der Konservativen Revolution nicht nur die Hamburger Doktorandin und mit spaßigem Kleinschrifttum („Die Matriarchats-Patriarchats-Geschlechteregalitätsdiskussion unter NationalsozialistInnen“) ausgewiesene Feministin angezogen, sondern gleichzeitig den an „religiösen und ethnischen Minderheiten sowie an den verborgenen Unterströmungen in der europäischen Ideengeschichte“ (Verlagswerbung) interessierten Mainzer Historiker Peter Bahn. Nimmt man noch den im vorigem Jahr veröffentlichten, von Ina Schmidt und ihrem Doktorvater Stefan Breuer edierten Briefwechsel des „Reichsideologen“ mit Ernst Jünger hinzu (JF 43/05), möchte man fast von einer Hielscher-Konjunktur sprechen. Dabei haben die Monographien von Schmidt und Bahn zunächst einmal gemeinsam, daß sie ein Segment politischer Ideengeschichte beleuchten, das abgetan ist. Hielscher, sein Werk, sein „Glaube“ und seine „Kirche“ sind allein von historisch-antiquarischem Belang. Bahn mag sich damit zwar weniger abfinden als Schmidt, aber die möglichen Anknüpfungspunkte, die er – an der „Schwelle des dritten Jahrtausends“ – aufzählt, werden von ihm selbst mit skeptischer Zurückhaltung präsentiert. Ob Hielscher als „Vordenker“ von „Ethnopluralismus und Regionalismus“ im 21. Jahrhundert die richtige Adresse ist, mag nicht allein deswegen bezweifelt werden, weil die von Bahn rekonstruierte bisherige Rezeptionsgeschichte abstoßend sektiererische Züge aufweist. Bahn arbeitet präziser als Schmidt heraus, daß Hielschers „Reichslehre“ mit ihren zahllosen Modifikationen selbst von extrem esoterischem, jede breitere Wirkung verhindernden Zuschnitt ist. Die „neuheidnische Suche jenseits von Christentum und Atheismus“ dürfte daher so wenig anschlußfähig sein wie seine „Zivilisationskritik im Zeitalter der Globalisierung“. Schon die von Hielscher 1949 gegründete Unabhängige Freikirche, die auf jede Missions- und Werbetätigkeit verzichtete, kam nie über sechzig Anhänger hinaus, und konnte sich nach einer in solchen Zirkeln üblichen „Spaltung“ zuletzt in Hielschers Wohnzimmer versammeln. Der weit über die Grenzen gerade noch unterhaltsamer Skurrilität hinausgehende, von Bahn aufgezeigte Dogmatismus und Unfehlbarkeitsanspruch des zum „Absoluten und Unbedingten“ neigenden Sektenoberhaupts Hielscher tut ein übriges, um von jeder Aktualisierung dieser Ein-Mann-Weltanschauung abzuschrecken. Ein „deutscher Evola“, wie Bahn meint, mag Hielscher mit seiner intellektuellen Potenz vielleicht gewesen sein, aber vor Musealität schützt ihn das nicht. Der Hang zu sektenartiger „Kreis“-Bildung, das Goethesche „Geselle Dich zur kleinsten Schar“ als Leitmotiv religiös-weltanschaulicher Vergemeinschaftung, das elitäre Bewußtsein von „Menschen des unsichtbaren Kerns“, die einander „entdecken“ und die sich als Vorboten einer neuen „seelischen Seinsform“ verstehen, die das materialistische „Seelentum des Westens“ überwinden, werden von Bahn und Schmidt gleichermaßen in ihrer politischen Irrelevanz erkannt. Während Bahn den Schwerpunkt auf eine Phänomenologie des esoterischen Werkes legt, erfaßt Schmidt, die Hielschers „Glauben“ etwas hilflos mit der von ihrem Lehrer Breuer „ideologiekritisch“ aufbereiteten Religionssoziologie Max Webers zu Leibe rückt, viel gründlicher das gesamte, allein von freundschaftlichen und soweit die Ehefrauen einbezogen waren, auch verwandtschaftlichen Beziehungen geknüpfte Netzwerk des „Kreises“. Aufgrund zahlreicher persönlicher Befragungen hochbetagter Hielscher-Freunde, die Schmidt noch Mitte der neunziger Jahre durchführen konnte, bringt sie vor allem Licht in die teils nur legendär überlieferten Widerstands-Aktivitäten des kompromißlosen NS-Gegners Hielscher. Vor allem widerlegt sie Michael H. Katers Versuche, den Anteil von Wolfram Sievers am Widerstand des Hielscher-Kreises zu relativieren. Sievers, ein enger Hielscher-Anhänger und als Geschäftsführer des „Ahnenerbes“ der SS der einzige, der wie ein „trojanisches Pferd“ in eine Schlüsselstellung des NS-Regimes aufrückte, war ungeachtet seiner Verwicklung in tödliche Medizinerversuche, die ihn nach 1945 den Kopf kosteten, bis zuletzt ein „Diversant“. Diese Widerstandstätigkeit, die im wesentlichen Hilfe für Verfolgte war, die aber bei Hielscher selbst ins konspirative Umfeld des „20. Juli“ reichte, ist als eigentliche politische Wirkung des Kreises zu werten, während das Ende der Weimarer Republik von den als Atheisten und Materialisten verachteten pragmatischen „Realpolitikern“ der NSDAP mit herbeigeführt wurde – und nicht vom „Nationalrevolutionär“ Hielscher und seinen Gesinnungsfreunden unter der Fahne ihres primär religiös fundierten Glaubens an „das Reich“. Ina Schmidt: Der Herr des Feuers. Friedrich Hielscher und sein Kreis zwischen Heidentum, neuem Nationalismus und Widerstand gegen den Nationalsozialismus. SH-Verlag, Köln 2004, 335 Seiten, gebunden, Abbildungen, 29,80 Euro. Peter Bahn: Friedrich Hielscher 1902-1990. Einführung in Leben und Werk. Bublies-Verlag, Schnellbach 2005, 416 Seiten, 19,80 Euro. Foto: Friedrich Hielscher bei einer Wanderung um 1940: Hang zu sektenartiger „Kreis“-Bildung