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Unvergessene Meisterwerke

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Daß es oft jüdische Regisseure, Produzenten und Schauspieler waren, die in der Frühzeit des Kinos an herausragender Stelle agierten und unvergessene Meisterwerke schufen, ist heute selbst unter Cineasten weitgehend in Vergessenheit geraten. Um so verdienstvoller ist eine Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt, die davon berichtet, wie die ersten wirklich künstlerischen Filme in Deutschland entstanden. Und es ist keineswegs übertrieben zu behaupten, daß es hauptsächlich jüdische Künstler waren, die im Film eine neue Ausdrucksform mit ungeahnten Möglichkeiten erkannten und zu den schöpferischsten Gestaltern des jungen deutschen Films gehörten. Zwar war Paul Wegener kein Jude, aber seine Verfilmung des „Golem“ (1914) basierte auf einer uralten jüdischen Legende. Wegener, der am „Golem“ als Autor, Regisseur und Darsteller beteiligt war, spielte hier jene Roboterfigur, die zum Leben erweckt wird und in der Stunde der Not den Prager Juden zu Hilfe kommt. Sein Lieblingsthema führte er dann in „Golem und die Tänzerin“ (1917) und in „Golem, wie er in die Welt kam“ (1920) weiter. Ein anderer Nichtjude, Carl Theodor Dreyer, die bedeutendste Persönlichkeit der dänischen Filmgeschichte, griff mit seinem in Deutschland gedrehten Film „Die Gezeichneten“ (1922) der Filmtechnik späterer Jahre vor, als er beim Thema Judenverfolgung ausschließlich Statisten einsetzte. Er suchte Menschen, die nie vor einer Kamera gestanden hatten, aber dem Film durch ihr ausdrucksvolles, natürliches Spiel ein Gepräge unwiderstehlicher Wirklichkeit gaben. Sie spielten eben sich selbst. In der deutschen Filmkunst der zwanziger Jahre lenkte damals vor allem Ernst Lubitsch, der später zu einem der führenden Regisseure Hollywoods wurde, die Aufmerksamkeit auf sich. Noch während er Kontorist im Geschäft seines Vaters war, nahm er heimlich Schauspielunterricht bei dem bekannten Komiker Viktor Arnold. Schon mit 17 Jahren kam er vorübergehend mit dem Film in Berührung, als er bei der Bioskop Mädchen für alles war – vom Beleuchter bis zum Requisiteur. Dann aber durfte er 1911 bei Max Reinhardt vorsprechen und wurde als Anfänger engagiert. 1914 inszenierte er seinen ersten Film-Zweiakter bescheidenen Genres nach eigenem Manuskript. Wenig später verfilmte er bereits „Carmen“ (1918) mit Pola Negri und Strindbergs „Rausch“ (1919) mit Asta Nielsen. Noch im gleichen Jahr entstand sein Durchbruchsfilm „Madame Dubarry“ mit der Negri in der Titelrolle, den Amerika als ersten deutschen Nachkriegsfilm mit Begeisterung aufnahm. Mit einem Schlag war Lubitsch weltberühmt, und die internationale Kritik stellte ihn neben David Wark Griffith, den legendären Pionier der amerikanischen Filmgeschichte. Lubitschs „Sumurun“ (1921), ein morgenländisches Märchen, kündigte mit seiner frivolen, humoristischen Phantasie indes schon den späteren Hollywood-Stil des Regisseurs an. Die naturalistischen Prachtfilme schloß er mit dem „Weib des Pharao“ (1921) ab. Hier bewies Lubitsch seine Fähigkeit, den Massenszenen wirkungsvolles Leben zu verleihen. Hollywood begann sich nun ernsthaft für ihn zu interessieren, und so zog er 1923 in die kalifornische Traumfabrik, wo sein Stil sich wesentlich wandeln sollte. Den Schlüssel zum expressionistischen deutschen Film der zwanziger Jahre bildete das von Hans Janowitz und Karl Mayer geschriebene und von dem Maler Robert Wiene inszenierte „Kabinett des Dr. Caligari“ (1919). Der Film versetzt den Zuschauer in eine groteske Welt revolutionärer Kulissenmalerei. Jedes einzelne Bild vermittelt ein unheimliches Gefühl des Alptraums und der Unwirklichkeit. Übertroffen wurde das kühne Experiment dieses Films jedoch von Paul Lenis „Wachsfigurenkabinett“ (1924), dessen eisig-makabren, bizarr-perversen Motive auf suggestivem Weg beweisen, daß der Film mit seinen visuellen Mitteln ebensogut wie die Literatur rein seelische Erscheinungen bis in die tiefsten Tiefen durchdringen kann. Eine umwälzende Neuerung führte der Drehbuchautor Karl Mayer in dem Film „Sylvester“ (1924) ein. Bei der Arbeit am Manuskript kam er auf die Idee, die Atmosphäre durch eine bewegliche Kamera zu verdichten. Das Drama spielte sich in der letzten Stunde des Jahres ab, und genau eine Stunde dauerte auch die Vorführung des Films. Bald sollte sich zeigen, wie schnell und dankbar andere Regisseure die bewegliche Kamera zu nutzen verstanden. Grundsätzlich bemühten sich die jüdischen Regisseure, das wirkliche Leben hinter der Fassade zu zeigen. Typisch dafür war Karl Grunes „Die Straße“ (1923), deren Dämmerung von zweifelhaften Existenzen der Nachkriegszeit erfüllt war. Grune zeigte proletarische Not und Armut ohne Umschweife, ein Vorgänger jener Regisseure, die wie später G. W. Pabst in „Die freudlose Gasse“ (1925) dieses Thema künstlerisch vollendeten. So entstand eine Reihe dokumentar-realistischer und rein soziologischer Filme mit der Weltstadt Berlin als Schauplatz. Den psychologischen Film hingegen formte mehr als andere E. A. Dupont mit seinem „Variet?“ (1925). Was „Variet?“ zu einem Markstein machte, war vor allem seine filmische Intensität. Wie auf Vogelschwingen kreiste die Kamera um die Schauspieler, hielt jede Einzelheit fest und nahm jede Phase mit unerträglicher Schärfe auf: das Blinken eines Auges, das Zittern einer Hand, das Spannen eines Muskels. Emil Jannings vollbrachte in diesem Film eine seiner größten Stummfilmleistungen. Mit dem Ende des Stummfilms verschwand eine Kunstform eigener Art. Nie wieder hat die Sprache der Bilder und der Pantomime eine derartige Intensität und Suggestionskraft besessen wie während der zwanziger Jahre. Sein fruchtbarstes Feld fand er, solange er sich phantastischer und unwirklicher Stoffe annahm, keine andere Kunstart vermochte der Sage und Legende so gerecht zu werden. Der Stummfilm allein verdichtete Atmosphäre und Irrationalität zu visionärer Bildgestaltung. Zudem hatte der deutsche Film einen solchen Ruf erworben, daß Hollywood sich bemühte, die besten Kräfte nach drüben zu holen. Es begann mit Lubitsch, nach ihm traten Leni, Dupont und Buchowetzki die Reise nach Westen an. Mit ihnen verließen einige der besten und begabtesten jüdischen Filmkünstler Deutschland. Wenige Jahre später zwang das NS-Regime auch die anderen jüdischen Regisseure, Drehbuchautoren, Produzenten und Schauspieler in die Emigration. Foto: Ernst Lubitsch (r.) mit der Schauspielerin Pola Negri bei Dreharbeiten zu „Madame Dubarry“: Und plötzlich war er weltberühmt Die Ausstellung „Pioniere in Celluloid. Juden in der frühen Filmwelt“ ist bis 30. Januar 2005 im Jüdischen Museum Frankfurt, Untermainkai 14/15, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Mi. bis 20 Uhr zu sehen.

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