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Schreibtischtäter und Außenseiter

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In der Memoirenliteratur der vergangenen Jahrzehnte finden sich verborgen oder auffällig verschiedentlich Spuren dieser rätselhaft erscheinenden, im Grunde aber eher vulkanischen Persönlichkeit. Immer kreisen solche Erwähnungen um die Frage, was dieses Spitzenprodukt des deutschen Generalstabssystems dann während des Kalten Krieges bewogen hat, nicht nur – angelehnt an sowjetische deutschlandpolitische Positionen – durchaus eigenwillige national getönte Ideen zu vertreten, sondern auch über entscheidende Jahre, ohne der SED anzugehören, den Aufbau der „Nationalen Volksarmee“ der „DDR“ maßgeblich mitzugestalten. Weder Prinz Adalbert von Bayern (Erinnerungen 1900-1956, München 1991) noch Gerd Schmückle (Ohne Pauken und Trompeten, Stuttgart 1982) oder Ulrich de Maizière (In der Pflicht. Herford, Bonn 1989) fanden eine schlüssige Antwort, so wenig wie manche andere, meist ältere Soldaten, die sich Vincenz Müllers als ja schon in der Reichswehr auffälligen Kameraden in wichtigen militärpolitischen Verwendungen in der Nähe Kurt v. Schleichers entsannen. Lapp, der schon zuvor (Ulbrichts Helfer. Wehrmachtsoffiziere im Dienste der DDR, Bonn 2000) dargelegt hat, daß Müller in der Kasernierten Volkspolizei, erst recht in der NVA beargwöhnt und bis in die intimen Einzelheiten seiner anstoßerregenden privaten Lebensgestaltung bespitzelt und ausgeforscht worden ist, entwirft ein einleuchtendes Psychogramm Müllers. Nun werden seine Leistungen und sein Scheitern in einer ungewöhnlichen Laufbahn in vier Armeen von 1913 bis 1958 verständlich. Auf diesem Wege war es möglich, daß der Erste Generalstabsoffizier der Heeresgruppe C im Westen im Herbst 1939 mit dem Widerstand gegen eine Fortsetzung des Krieges sympathisierte, aber dann als Chef des Generalstabes der 17. Armee in erheblichem Maße mitverantwortlich wurde für massive Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht, auch wenn sie ihn innerlich schwer belastet haben mögen. Mit seinem Entschluß im Untergang der Heeresgruppe Mitte (Juni/Juli 1944), die noch von seiner Befehlsgewalt als Kommandierender General erreichbaren, von der Zerschlagung bedrohten Verbände sollten den aussichtslosen Kampf einstellen, löste er zwar abrupt seine Bindung an Hitlers Kriegführung, ergab sich aber zugleich auf Gnade und Ungnade einem ebenfalls menschenverachtenden Gegner. Dieser Frontwechsel erwies sich für die sowjetische Seite auf mittlere Sicht als Glücksfall. In Kenntnis von Müllers Verwendung als Armee-Chef bis Frühjahr 1943 konnte Müller fortan instrumentalisiert werden. Er fand sich sogar dazu bereit, den ihm persönlich nahestehenden Feldmarschall Paulus nicht nur auszuhorchen, sondern ihn auch – nach der Erinnerung des Generals der Artillerie v. Seydlitz – für dessen Auftritt in Nürnberg als Zeuge der Anklage beim Internationalen Militärtribunal am 11. Februar 1946 vorzubereiten. Die Abhängigkeit vom sowjetischen Wohlwollen war ihm wohl stets bewußt und schränkte den von ihm erstrebten politischen Handlungsspielraum in den fünfziger Jahren erheblich ein. Gleichwohl leitete ihn wohl in diesen schwierigen Jahren bis zu seinem Tode die persönlich schwer erträgliche Einsicht, lange Zeit seine hohe Intelligenz und die ihm eigene ungestüme Tatkraft vertan, ja einem als verbrecherisch erkannten System gedient zu haben. Daß er nun aber vollends auf die sowjetische Karte gesetzt, oder sich gar zum Sprachrohr Ulbrichts gemacht hätte, widerlegt Lapp überzeugend. Anschaulich beschreibt er die von Westdeutschland aus zu Müller aufgenommenen und lange gepflegten nachrichtendienstlichen, auch politischen Verbindungen, bei denen er zeitweilig die Illusion hegen mochte, vielleicht auf einem eher nationalen „dritten Weg“ außerhalb der antagonistischen Bündnisse zu einer Lösung der deutschen Frage beitragen zu können. Aber, auch das macht Lapp deutlich, Müller zerbrach in seinem ausgeprägten Selbstbewußtsein, gepaart mit Ehrgeiz und einem lebenslang ungezügelten Temperament, getrieben durch starken politischen Idealismus, kurz vor Errichtung der Mauer an der Wirklichkeit des Kalten Krieges. Nach der Art der Müller schließlich in der DDR und unmittelbar von Ulbricht zuteil gewordenen Behandlung erscheint der Titel seiner 1963 aus dem Nachlaß herausgegebenen fragmentarischen und möglicherweise auch verfälschten Erinnerungen „Ich fand das wahre Vaterland“ als Verhöhnung über das Grab hinaus. Foto: Vincenz Müller als NVA-General, 1956: Zum „dritten Weg“ beitragen Peter Joachim Lapp: General bei Hitler und Ulbricht. Vincenz Müller – Eine deutsche Karriere. Links Verlag, Berlin 2003, 286 Seiten, 24,90 Euro Dr. Georg Meyer arbeitete als Historiker beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA). 2001veröffentlichte er im Verlag Mittler & Sohn die Biographie von Adolf Heusinger.

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