Was wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht begann, das führt zu einem Kulturschock und endet als ein Alptraum. Die Gräfin Lisa Lichtenfels folgt dem chinesischen Prinzen Sou-Chong nach Peking, als er zum Regenten Chinas ernannt wird. Der Dragonerleutnant Graf Gustav von Pottenstein – „Gustl“ – folgt der geliebten Lisa und verliebt sich in deren Schwägerin Mi. Konfuzianische Tradition fordert die Ehe mit vier chinesischen Frauen, eine Formalität für Sou-Chong, für Lisa der Anlaß zum Bruch. Sou-Chong gibt Lisa frei, Gustav wird sie zurück nach Wien begleiten. Die Konfrontation gegensätzlicher Kulturen miteinander und der Triumph des Humanismus über Barbarei waren Themen der europäischen Aufklärung, Franz Lehárs Romantische Operette „Das Land des Lächelns“ wird zu deren Abgesang: Kultur ist Barbarei, China ist Europa, Peking ist Wien, Fernweh ist Heimweh. Die Heimat, die sie verloren, finden Lehárs Figuren auch in sich selbst nicht mehr wieder. In der Erstveröffentlichung des Soundtracks zu dem Tonfilm von 1930 (Koch Schwann 3-1373-2 PC03) werden sie von den Stars der Wiener Bühnenproduktion anläßlich des 60. Geburtstags von Lehár gesungen: Richard Tauber, Margit Suchy, Hella Kürty und Willy Stettner. Der Film „Das Land des Lächelns“, einer der ersten deutschen Tonfilme überhaupt und der dritte Tauber-Film, war ein geschäftlicher und Publikumserfolg, regie- und kameratechnisch allerdings ein Desaster. Für den Film hatten Leo Lasko, Anton Kuh und C. J. Braun eine hanebüchene Rahmenhandlung erfunden, von der die unfreiwillig komischen Dialoge mehr als nur eine Ahnung geben. Da hat sich die Tochter des Hausherrn in einen indischen Prinzen – „Der Exote“ – verguckt und wird durch die Vorführung eben jener Operette „Das Land des Lächelns“ von ihren binationalen Ehegelüsten geheilt. Doch spitzt gerade dieser dramaturgische Kniff den von Volker Klotz beschriebenen „Einbruch- und Ausbruchexotismus“ der Operette zu. Lisa muß für ihr „erotisches Rassenexperiment“ (Neues Wiener Journal, Wien, 10. 2. 1923) gar nicht mehr nach China oder Indien reisen, um alle ihre Vorurteile bestätigt zu bekommen; die heimische Gartenbühne tut’s auch. Alle großen Nummern der Operette sind auch im Film zu hören, dazu gibt es noch eine neue Einzugsmusik der Schauspieler in der Rahmenhandlung. Und es gibt einen Kapellmeister, der „aus Wut über das Theater“ zum Film gegangen war, zunächst als Geiger, später als Kapellmeister und Komponist, und der mit Richard Tauber bei immerhin vier Filmen zusammenarbeitete. Paul Dessau (1894-1979) war eine Jahrhundertgestalt, dessen Oper „Die Verurteilung des Lukullus“ im Musikunterricht der DDR totbehandelt wurde, er war der ungenehme Staatsmusiker, der Avantgardist mit Parteibuch, der Lehrer Friedrich Schenkers, Friedrich Goldmanns und anderer Komponisten von Rang, der Komponist von Opern, Orchester- und Schauspielmusiken, Kammermusik, Liedern, ohne den die Neue Musik der DDR alt ausgesehen hätte. Obwohl der Kapellmeister Dessau schon damals, 1930, etwas andere Musik in der Schublade hatte, gibt er dem Lehár, was des Lehárs ist, bringt die Musik unbelastet von schlechter Routine zum Klingen, schenkt dem Tenor Rubati noch und nöcher und hält ihm submissest die Fermaten, damit der seine schönen Töne auch ja breit aussitzen kann. Anderes, wie den Allegro-Teil der Ouvertüre, läßt Dessau brutal herunterhämmern. Im Zusammenspiel mit Georg John in der Rolle des Oheims von Sou-Chong,, bekommt die zeremonielle „Verleihung der gelben Jacke“ einen äußerst dämonischen Unterton, ja, geradezu surreale Qualität. Wenn schon Lehár-Operette, dann so!
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