Wenn nicht alles täuscht, dann verkommt der seit Jahrzehnten inflationär mißbrauchte Begriff „Faschismus“ allmählich zu einer nichtssagenden Worthülse ohne jeden Aussagewert. Es fällt jedenfalls auf, daß maßgebende Meinungsgouvernanten sich seit einiger Zeit um verbale Differenzierungen in ihrer Agitation bemühen. Sie greifen dabei auf bislang weniger gebrauchte Begriffe zurück, die noch nicht mit dem Odium einer abgedroschenen Phraseologie behaftet sind, gleichwohl aber die gleiche stigmatisierende Wirkung vermitteln. Dazu gehört der Begriff „Fundamentalismus“. Die skandalöse Kampagne gegen den Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann (die JF berichtete) hat auch in dieser Hinsicht bemerkenswerte Aufschlüsse geliefert. Mit dem Begriff „Fundamentalismus“ verbinden sich in weiten Teilen unseres Volkes Vorstellungen von religiös-ideologischem Fanatismus, der die politische Entwicklung in den islamischen Ländern beeinflußt, aber auch das Verhalten bestimmter Gruppierungen des Islam in Westeuropa, also auch bei uns. Diese Vorstellungen entspringen nicht den vielzitierten Vorurteilen rechtsextremistischer Agitatoren und den Ängsten ihrer Sympathisanten, sondern konkreten Erfahrungen unserer Zeit. Sie sind also nicht ganz falsch, wie die Wirklichkeit lehrt; sie sind aber auch nicht ganz richtig, weil sie aus einem falschen „Wie“ verallgemeinernde und deshalb unzutreffende Rückschlüsse auf ein richtiges „Was“ ziehen und damit zu einer immer weiteren diabolischen Verwirrung unserer sogenannten politischen Kultur führen. Es ist richtig, daß unter dem Begriff „Fundamentalismus“ zunächst eine religiös-ideologische Abwehrbewegung gegen alle säkularen-liberalen Herausforderungen verstanden wird, die auf die Zersetzung der Grundlagen – der Fundamente – des eigenen Glaubens und damit des eigenen Daseinsverständnisses abzielen. Dagegen ist zunächst (!) nichts einzuwenden. Es gehört zum Wesen aller Religionen und Ideologien, daß sie sich „apologetisch“ verhalten, das heißt fremde Einflüsse abwehren und sich damit auch deutlich zu anderen Religionen, Konfessionen oder Weltanschauungen abgrenzen. Sie tun das, indem sie nicht nur die eigenen „Fundamente“ durch eindeutige Definitionen markieren, sondern auch die Irrlehren gleichermaßen verwerfen. Nur so ist zuverlässige Orientierung in einer pluralistischen und erst recht in einer multikulturellen Gesellschaft möglich. Eine Religion oder eine Ideologie, die auf die Verteidigung und damit auf die Bewahrung ihrer Fundamente verzichtet, gibt sich über kurz oder lang selber preis und unterwirft sich freiwillig den Forderungen des jeweils herrschen Zeitgeistes. In diesem Sinne ist jede Religion bzw. Ideologie in ihrer Grundtendenz „fundamentalistisch“, sofern sie nicht nur die eigenen zentralen Aussagen ihrer Lehre, ihrer Gebote und Bekenntnisse ernst nimmt, sondern auch die Menschen, an die sie sich wendet. Es geht eben nicht nur um den Glauben, sondern immer auch um die Glaubwürdigkeit. Juden und Christen, deren gemeinsames Erstes Gebot lautet: „Ich bin der Herr dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir“, ist es deshalb verwehrt, Allah, Buddha oder einen sonstigen Gott anzubeten, wie es heute in multireligiöser Manier üblich wird. Entsprechendes gilt für einen Kernsatz des Neuen Testaments: „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist in Christus“ (1. Kor. 3,11), also auch nicht Karl Marx oder Allah. Wer es dennoch glaubt oder gar verkündigt, kommt nicht nur in erhebliche Erklärungsnöte, sondern sollte auch die theologische Faustregel bedenken, daß man für das richtige „Was“ in den Himmel, für das „Wie“ aber in die Hölle kommen kann. Entsprechendes gilt für die Dogmatik des Sozialismus! Wer überzeugt ist, „daß die Lehre von Marx und Engels allmächtig ist, weil sie wahr ist“, wird guten Gewissens nicht gleichzeitig an die Allmacht Gottes oder Allahs glauben können. Deshalb haben zu allen Zeiten maßgebende Theologen und bekenntnistreue Christen vor allen Illusionen eines „Dialogs“ mit und zwischen den jeweiligen Zeitgeistströmungen gewarnt und jeder „Vermittlungstheologie“ widerstanden. Zu erinnern ist an den Schweizer Theologen Karl Barth (1886-1968) und an die von ihm entscheidend geprägte Bekennende Kirche während des Kirchenkampfes im Dritten Reich. In einer kleinen kämpferischen Schrift mit dem programmatischen Titel „Nein!“ (1934) hat er an einige Grundwahrheiten der evangelischen Theologie und Kirche erinnert: „In der Kirche geht es um die Wahrheit und heute mit einer Dringlichkeit, wie es wohl seit Jahrhunderten nicht mehr der Fall gewesen ist. Und mit der Wahrheit ist nicht zu spaßen. Wenn sie die Geister scheidet, dann sind sie eben geschieden. Widerstand gegen ihr Gebot um einer allgemeinen Idee des ‚Friedens‘ und der ‚Gemeinschaft‘ willen wäre das größere Unglück für alle Teile als solche Scheidung.“ Entgegen den zahlreichen Irrtümern, Legenden und ideologischen Verzerrungen der Geschichte des Kirchenkampfes im Dritten Reich richtete sich das klare „Nein!“ Karl Barths und der Bekennenden Kirche nicht allein gegen die Irrlehren der damaligen Zeit, sondern in erster Linie gegen die „Strategen und Taktiker“, gegen die „Unentschiedenen und Kompromißbereiten“ im eigenen Lager. Sie bedeuteten für Theologie und Kirche die „eigentliche Gefahr“ – und nicht die ideologischen Gegner außerhalb und innerhalb der Kirche, die es zunächst zu bekämpfen galt und noch gilt. Sie bereiteten den Nährboden für die Zersetzung der Grundlagen der Kirche, eben ihrer tragenden Fundamente. Deshalb hat die Theologische Erklärung von Barmen (1934) bis heute formal die Bedeutung eines „bleibend gültigen Bekenntnisses“, das aber faktisch keine Beachtung mehr findet; es sei denn als ein Beispiel des Widerstandskampfes der evangelischen Kirche gegen das Dritte Reich. Wer sich heute darauf beruft bzw. auf die angedeuteten Aussagen Karl Barths, setzt sich dem Vorwurf des „Fundamentalismus“ aus und fällt damit als Diskussionspartner aus. So rasch und so gründlich kann sich ein Bedeutungswandel wichtiger Begriffe vollziehen. Was mit der Faschismuskeule bislang nicht erledigt werden konnte, wird nun in stärkerem Maße mit der Fundamentalismuskeule versucht. Nun kann und soll nicht verschwiegen werden, daß es im Laufe der Geschichte bei der Abwehr zeitgeistlicher Ideologien seitens kirchlicher Gruppierungen zahlreiche Überspitzungen gab und gibt, die berechtigte Ansatzpunkte zur Kritik boten und bieten. Vor allem in den USA hat sich eine einflußreiche fundamentalistische Bewegung entwickelt, die das Erscheinungsbild des Fundamentalismus geprägt hat. Sie reagiert auf die massiven Herausforderungen der Ideologien und der modernen Naturwissenschaft nicht minder massiv und aggressiv mit der These von der „Irrtumslosigkeit“ der Bibel und der radikalen Verwerfung der historisch-kritischen Forschung in Theologie und Kirche. Auf diese Weise hat sich ein fundamentalistischer Doktrinarismus verfestigt, der sich an dem Bibelwort orientiert „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich“ (Matth.12,30). Wie immer man die theologische Stichhaltigkeit der Grundsätze des organisierten Fundamentalismus auch beurteilen mag: Sie tragen nicht dazu bei, die gemeinsame Front gegen den gemeinsamen Gegner zu stärken, sondern zu schwächen. Sie lenken erheblich von der Konzentration auf den Gegner von außen ab und verwickeln alle konservativen Gruppen in Kirche und Gesellschaft in interne Konflikte und begünstigen damit Verwirrung und Desorientierung im konservativen Lager. Damit stützen sie – bewußt oder unbewußt – die diffamierenden und denunziatorischen Kampagnen gegen die Grundwerte und Grundordnungen unseres Volkes voraussichtlich sehr viel intensiver als bisher die sogenannten Antifaschisten und ihre Sympathisanten. Wenn also in zunehmendem Maße davor gewarnt wird, daß die „Fundamentalisten das Sagen bekommen“- so vor kurzem Bundespräsident Rau -, dann muß sehr genau gefragt und bedacht werden, was darunter konkret verstanden werden soll. Doch sicher nicht eine Absage an die sonst vielzitierten Lehren des Kirchenkampfes der Bekennenden Kirche!?