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Aus dem Westen nichts Neues

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Fahrenheit 9/11″, der neue Film des zur Kultfigur erhobenen Regisseurs Michael Moore, der sich gern als „Gegenamerikaner“ oder „kritischer Patriot“ titulieren läßt, ist im Grunde nur mäßig interessant für ein deutsches Publikum. Filmtechnisch wie ästhetisch zählt er zum unteren Mittelmaß, er besticht weder durch überraschende Effekte noch Witz, und inhaltlich rennt er offene Türen ein: Die Legitimität des Irak-Kriegs wurde bereits vor dessen Beginn offen in Frage gestellt, die intellektuelle Dürftigkeit des amerikanischen Präsidenten und sein bisweilen cowboyhafter Habitus sind hierzulande längst zu running gags geworden. Daß Moores offen propagandistischer Anti-Bush-Streifen weit über die Vereinigten Staaten hinaus für Kontroversen sorgt, ist neben einem nur vordergründig cineastischen einem weltpolitischen Aspekt geschuldet. „Fahrenheit 9/11“ war in diesem Frühjahr der erste Dokumentarfilm seit knapp fünfzig Jahren, der bei den Filmfestspielen in Cannes, dem bedeutendsten Filmwettbewerb überhaupt, mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde – unter frenetischem Jubel des Publikums, versteht sich. Niemand bezweifelt, daß hiermit statt eines künstlerischen Werts die politische Aussage des Films belohnt wurde. Womit man bei der Weltpolitik wäre: Es gibt wohl kaum ein Medium oder einen Publizisten, der derartigen Einfluß auf die politische Willensbildung gerade der jüngeren Generation nimmt wie derzeit Michael Moore. Zwar noch Monate entfernt von den US-amerikanischen Wahlen im November (und daher verwundert der frühe Filmstart ein wenig), spielte „Fahrenheit 9/11“ bereits über 100 Millionen Dollar ein. Jugendliche sollen ihr „Recht auf diesen Film“ einfordern Zwei Umstände sorgten diesbezüglich für Schlagzeilen, obgleich sie dem zu erwartenden Besucherrekord kaum Abbruch tun dürften: Zum einen boykottieren zahlreiche Kinos den Film (weshalb Moore auf seiner eigenen Homepage pathetisch die Jugend des Landes aufruft, vor den Kinobetreibern ihr „Recht auf diesen Film“ einzufordern), zum anderen hat der Regisseur öffentlich erklärt, daß er kein Problem mit illegalen Kopien seines Films habe, wie sie längst zahlreich und unverhohlen im Internet kursieren. Dies brachte Multimillionär Moore („Ich mache meine Filme nicht, um reich zu werden, sondern um Mißstände aufzuzeigen“) heftigen Ärger mit seiner Verleihfirma ein, obendrein sind nun Moore-Gegner auf diesen Zug aufgesprungen und rufen zum massenhaften Herunterladen des Films auf – was nicht mehr Effekt zeitigen dürfte als die sprichwörtliche Sau, die sich an der Eiche reibt. Nebenbei versuchte Moore vergeblich, mit juristischen Mitteln eine Altersfreigabe seines Films für unter 16jährige zu erwirken. Dies alles zeigt Moores Dokumentarstreifen in Überlänge: Der 11. September 2001 versetzte den Bürgern einen tiefgreifenden Schock, den die Bush-Regierung ausnutzte, um einen Angriffskrieg gegen den Irak – einen Krieg um Öl – zu planen und auszuführen. Saudi-Arabien und Afghanistan, vor allem der Bin-Laden-Clan kamen dabei nicht nur weitgehend ungeschoren davon, mit den betreffenden Sippen und anderen multinational agierenden Scheichs und Ölbaronen wurden und werden weiterhin Geschäfte gemacht; Geschäfte, bei denen die Bushs und andere Senatsmitglieder mit den Arabern gar an einem Strang ziehen. Moore vermittelt dies vor allem durch eine lange Reihe suggestiv aneinandergeschnittener Bilder, die US-Regierungsmitglieder beim Händeschütteln oder kollegialem Lächeln mit Turbanträgern zeigen. Im Irak dagegen – so suggerieren es die Bilder, die Moore präsentiert – herrschte eitel Sonnenschein, allenthalben lachende Menschen, spielende Kinder, bis Bush das Land angreifen und verwüsten ließ. Als Kanonenfutter dienten ihm dabei anständige, aber verblendete Patrioten und zuletzt vor allem junge Männer aus der Klasse jener Armen und Entrechteten, als deren Anwalt Moore sich seit je sieht: junge Schwarze ohne Geld und Zukunft. Sie gelten dem Regisseur als unschuldige Söldner in diesem Krieg um Öl und Wirtschaftsmacht. Vor dem Krieg herrschte im Irak wohl eitel Sonnenschein Das letzte Filmdrittel widmet Moore zu großen Teilen einer – vorbildlich multiethnisch versippten – Familienmutter, die einen ihrer Söhne im Irak verloren hat. Die Kamera begleitet die Trauernde durch Einbauküche, Fotoalbum, Mahnwachen und Friedhöfe und möchte mit dieser tapferen, nur gelegentlich laut weinenden all-American wife eine Art Rollenvorbild setzen: eine durch und durch patriotische Bürgerin, deren Leben von Bush zerstört wurde, und die alles dafür tun wird, einen neuen Präsidenten zu bekommen – das ist das Angebot, das Moore seinen noch wankelmütigen Zuschauern offeriert. Wo sich Moore nicht Archivaufnahmen bedient, beherrscht er selbst oft die Szenerie. Über das Erscheinungsbild des Fünfzigjährigen aus Michigan wurde schon viel geschrieben, frappierend ist es immer wieder aufs Neue: Die obligatorische Schirmmütze bedeckt das ungekämmte Haar, das obere Kinn wurde teilweise rasiert, das untere des Doppels dagegen nicht. Moore, eher fettleibig als korpulent zu nennen, trägt Blue Jeans und labbriges T-Shirt, die dem Bauchwulst keinen Einhalt zu gebieten vermögen, und diese Formlosigkeit ist wohl eine gewollte. Weniger als einen underdog repräsentiert diese deutlich satte Kultfigur der amerikanischen Linken äußerlich maximal eine amerikanische Version von „Hemdsärmeligkeit“. Moore ist eben nicht eine Art amerikanischer Wiedergänger Wallraffs – nicht einmal das! -, sondern eine intellektuell gänzlich unambitionierte, populistische Stimme des kleinen Mannes. Apropos die Linke: Die Polarisierung, die Moore – nicht nur in den USA, sondern in der gesamten interessierten westlichen Welt – hervorgerufen hat, verläuft längst jenseits des Grabens zwischen Konservativen und Linken. Die populäre Anti-Moore-Internetseite moorewatch.com, wo Hemden und andere Devotionalien mit Aufschriften wie „Fahrenhate 9/11“, „Demorats“ oder „Capitalism rules“ feilgeboten werden, erweist sich zwar als explizit Bush-freundlich – aber auch bei der intellektuellen Linken löst Moores krachlederner Agitprop wenig Jubelschreie aus. Ray Bradbury etwa, der große alte Mann des Science Fiction, schimpft Moore – den er obendrein des Titeldiebstahls anklagt – einen „dämlichen Drecksack“, und Altrocker Pete Townshend untersagte die Verwendung eines „The Who“-Liedes in Moores neuem Film. Auch er, Townshend, sei ein Gegner des Irak-Krieges, doch beklage er des Filmemachers fahrlässigen Umgang mit Fakten. Solche Vorwürfe wiederum wies Moore schon bei seinen früheren Büchern und Filmen unbekümmert von sich: Das sei eben die Freiheit der satirischen Methode, und wie könne es bei Comedy Ungenauigkeiten geben? Das unlängst erschienene Moore-kritische Buch von David T. Hardy und Jason Clarke „Michael Moore is a Big Fat Stupid White Man“ (in Anspielung auf Moores eigenen Bestseller „Stupid White Men“, in dem er der US-Regierung Rassismus als Grundlage ihrer Politik vorwirft) erreichte auf Anhieb oberste Verkaufsränge. Mitunter drängt sich der Eindruck auf, nicht Bush gegen Kerry, sondern pro oder contra Moore sei die spannende Frage dieser Tage. In Deutschland haben „Fahrenheit 9/11“ seit dem Kinostart am vergangenen Donnerstag nur 142.000 Zuschauer sehen wollen. Moores voriger Film „Bowling for Columbine“ (2002) über den angeblichen Waffenwahn der weißen amerikanischen Bevölkerung sprengte sämtliche Rekorde; nie war ein Dokumentarfilm auf deutschen Leinwänden so erfolgreich gelaufen. Kritische Stimmen, zuletzt ein Kommentator des polnischen Leitmediums Gazeta Wyborcza, rücken „Fahrenheit 9/11“ aufgrund seiner offen propagandistischen Absicht übrigens in die Nähe namentlich Leni Riefenstahls. Genausogut könnte man auch Michael Moores Figur mit der von Claudia Schiffer vergleichen. Foto: Michael Moore, Wachmann in Washington: Nicht einmal ein amerikanischer Wiedergänger Wallraffs

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