Vor sieben Jahren führte Luis Llosa die Kinogänger mit „Anaconda“ in ein Terrain des Amazonasdschungelgebiets, das von gefährlichen Riesenschlangen beherrscht wurde. Der Film litt unter seiner rudimentären Figurenzeichnung und wenig überzeugenden Tricks und zeichnete sich zudem durch einen völligen Mangel an Ironie aus, was für Horrorfilme des Tiermonster-Genres verhängnisvoll sein kann. Nun hat Dwight Little („Phantom der Oper“, „Free Willy II“) die Story von Hans Bauer, der auch das Drehbuch für den Llosa-Film schrieb, ein zweites Mal verfilmt. „Anacondas – Die Jagd nach der Blutorchidee“, offiziell als Fortsetzungsfilm deklariert, bietet jedoch eine komplett neue Geschichte, wenngleich das Grundmuster kaum verändert wurde. Anstelle einer Filmcrew, die eine Dokumentation über einen geheimnisvollen Indianerstamm drehen will, und dabei von einem manischen Schlangenjäger ins Verderben getrieben wird, haben wir es diesmal mit einem wissenschaftlichen Expeditionsteam auf der Suche nach einer extrem seltenen Orchideenart zu tun. Jene Blutorchidee enthält nämlich eine Substanz, aus der sich ein lebensverlängerndes Medikament herstellen lassen könnte. Profite in Milliardenhöhe locken, klar, daß die Pharmaindustrie entsprechend motiviert ist. Doch die Sache läßt sich für die bunt zusammengewürfelte Truppe schlecht an. Es ist Regenzeit, und kein Einheimischer wagt sich auf die überfluteten Flüsse Borneos. Schließlich erklärt sich ein desillusionierter amerikanischer Ex-Soldat für die horrende Summe von 50.000 Dollar bereit, die Wissenschaftler zum Fundort der Orchidee zu bringen. Weil die aber nur alle sieben Jahre blüht, ist höchste Eile geboten. Spätestens als der zusammengeflickte alte Kahn einen reißenden Wasserfall hinunterstürzt, wird aus der Expedition ein Abenteuer auf Leben und Tod. Die Expeditionsteilnehmer erkennen, daß nicht nur Ruhm und unermeßlicher Reichtum auf sie warten, sondern etwas, von dessen Gefährlichkeit sie sich bislang keine Vorstellung machten … Formulierten die Monsterfilme der fünfziger Jahre das zentrale Thema der Fantasy, eine letzten Endes vom Vertrauen in die Entwicklung der Menschheit geprägte Zivilisationskritik, die sich freilich schon zwei Dekaden später in eine Aufforderung zur Flucht aus der Geschichte änderte, geht es heute um etwas ganz anderes. Nachdem man mit Tarzans legendärem Ruf, King Kongs anrührenden Tränen und den mythischen Figuren eines Ray Harryhausen niemanden mehr ins Kino locken kann, mußte, um ein Gegenbild zu den überzüchteten Technizismen der Science Fiction-Filme zu zeichnen, das Klima des Phantastischen, das durch äußerste Bedrohlichkeit und eine Unerklärbarkeit der Erscheinungen charakterisiert ist, bis zum Siedepunkt angeheizt werden. Auf der Ebene des Mythos bedeutete dies, daß rituelle Vollzüge wie Kannibalismus und mystisch besetzte Formen der Verstümmelung von Menschen inzwischen zu den bedeutsamsten Elementen der Horror-Trivialepen vom Schlage „Anacondas“ gehören. Was einst mit Spielbergs relativ behäbigem Film „Der weiße Hai“ begann und schließlich zu den Animatronics der neunziger Jahre führte, wird heute durch CGI-Technik zu pulsierendem Leben erweckt. Dabei tut es nichts zur Sache, ob die computergenerierten Geschöpfe nun als über zwölf Meter lange Riesenschlangen, Außerirdische oder gewaltige Meeresungeheuer zur gefälligen Unterhaltung des von traditioneller Mystik längst erfolgreich entwöhnten Kinobesuchers ihren Dienst tun. In diesem Sinne hält sich „Anacondas“ an die grundlegenden Stereotypen der Gattung. Das Mißverständnis des Genres seinem Material gegenüber kann jedoch auch dieser Film nicht aufheben. Nicht einmal im Verzicht auf eine rationale Erklärung für die Existenz der Riesenschlangen ist ein ansatzweises Zurück zur Subtilität zu erkennen. Die schwärenden Wunden und halbverdauten Zeitgenossen aus Littles Anaconda-Plot trösten zwar über manches hinweg, verderben nur leider den Appetit auf den nächsten Hamburger oder Döner. Foto: Expeditionsteam in Borneo: Auf der gefährliche Suche nach einer sehr seltenen, nur alle sieben Jahre blühenden Orchideenart