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Pankraz, K. Schlögel und die Rückkehr der Geopolitik

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Sämtliche Zensoren sind bereits in Stellung gegangen, um den nächsten Deutschen Historikertag zu verbellen. Der findet zwar erst in knapp einem Jahr in Kiel statt, aber man kann die Verbotstafeln und die Drohkulissen ja nicht früh genug aufstellen. Denn der Historikertag (der fünfundvierzigste seines Zeichens) hat endlich wieder mal ein brisantes Thema: "Kommunikation und Raum".

"Rehabilitierung von Nazi-Schlagworten!" tönt es nun seit der Themenfestlegung aus einschlägigen Seminaren und Instituten, "Hurerei mit dem Nationalismus!", "Rückkehr der Geopolitik!" Leider steht zu befürchten, daß darüber so manchem Referenten, der zur Zeit an seinem Diskussionsbeitrag feilt, das Herz in die Hosen fällt und er vor lauter eingebauten Rückziehern und salvatorischen Klauseln gar nicht mehr zum Kern der Sache vorzustoßen vermag.

Dieser Kern aber besteht aus der an sich simplen, aber lange verdrängten Einsicht, daß Geschichte sich nicht nur entlang von Zeitlinien vollzieht, sondern auch in konkreten geographischen und ethnischen Räumen, und daß daraus eine Menge methodischer und thematischer Konsequenzen zu ziehen sind. Es gibt in der Geschichte, so erinnern sich jetzt viele, nicht nur einige wenige soziologische Konstanten (Machtstreben, Bevölkerungszahl, Zukunftserwartung usw.), sondern ihr Feld ist die ganze farbige Fülle des sich in Räumen entfaltenden Lebens, das gewaltige Panorama der verschiedensten Landschaften, Völker und Lebensstile, die alle den Ablauf der Zeit strukturieren.

Geschichtsschreibung ist in einem primären Sinne Politikbeschreibung, doch auch und gerade die Politik ist von ihren jeweiligen Räumen abhängig, viel, viel mehr als etwa von Zeitutopien und Zukunftsentwürfen. "Die eigentliche, wirklich politikmächtige Utopie ist die Utopie des Raumes", konstatiert der deutsch-russische Kommunikationswissenschaftler Bory Groys, soll heißen: Politik will in erster und auch noch in zweiter und dritter Linie nicht eine generelle Menschheitszukunft optimal ordnen, sondern einen jeweils konkreten und partiellen geographischen Raum, sie ist Geopolitik und bedarf deshalb einer an Räumen orientierten Geo-Geschichtsschreibung.

Es fällt auf, daß der Ruf nach der neuen Geo-Geschichtsschreibung zuerst bei Historikern aufkam, die aus dem Osten, aus dem ehemaligen sowjetischen Einflußbereich stammen oder sich ihm in ihren Arbeiten von Anfang an gewidmet haben. Neben Groys ist es vor allem der in Frankfurt/O. lehrende Karl Schlögel, der immer wieder zu einem Ernstnehmen des Raums aufruft. Seine Essay-Sammlung "Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik" (Hanser Verlag, München 2003) hat in kürzester Zeit die gründlichste Wirkung getan und wird wohl viel dazu beigetragen haben, daß sich der Historikertag endlich dem Thema öffnete.

Die Menschen im Osten nebst ihren Historikern sind eben besonders argwöhnisch in Bezug auf Vernachlässigung des Raumblicks. Sie haben erleben müssen, wie eine anmaßungsvolle, durch brutale Gewalt zur Macht gekommene Politikergarde jahrzehntelang die politische Raumdimension bewußt ignorierte, ja leugnete zugunsten einer eingebildeten generellen ("globalen") Zeitdimension, der "Zukunft", in der angeblich das Reich der Freiheit ausbrechen und Milch und Honig fließen würden.

Im Namen der Zeit wurde der Raum regelrecht vergewaltigt. Ganze Völker, die nicht in die "neue Zeit" paßten, wurden weggeführt, ihre in Jahrhunderten gewachsene, durch geographische Bedingungen tief beeinflußte Kultur wurde durch "zeitgemäße", nicht funktionierende Blechwelten ersetzt. Historische Institute verwandelten sich in von der Partei angeleitete Fälscherwerkstätten, deren einziges Ziel es war, die lokalen Verhältnisse als "vormodern" zu denunzieren und planvoll Generationen von Raum-Ignoranten heranzuziehen.

Freilich wäre es verhängnisvoll, die Raum-Ignoranz der Kommunisten und den jetzt darauf folgenden Ruf aus dem Osten nach Geopolitik und Geo-Geschichtsschreibung ihrerseits als spezielle, "östliche" Probleme abzutun. Die hiesigen Reaktionen auf den heranreifenden Historikertag zeigen nur allzu deutlich, wie tief das Übel sich auch im Westen eingefressen hat, nicht nur in Deutschland, wo die Geopolitik von den herrschenden Kräften bequemerweise als "nazibelastet" abgetan wird, sondern auch und nicht zuletzt z. B. in den USA, deren jüngste politische Abenteuer sich zum guten Teil purer Raum-Ignoranz verdanken. Zugespitzt könnte man sagen: Die USA der Regierung Bush jun. befinden sich gegenwärtig in der geopolitischen Falle.

Die global ausgreifenden Interessen ihrer Wirtschafts- und Finanzeliten und die Panik vor internationalem Terror treiben sie dazu, alle ihre politischen Anstrengungen "global" und unter imperialistischen Gesichtspunkten zu organisieren; andererseits sind sie besessen von der Allgemeingültigkeit ihres eigenen, aus dem autochthonen Raum erwachsenen und von ihm geprägten Politik- und Sozialmodells und wollen es der ganzen übrigen Welt beibringen. Das führt notwendig zu horrenden Friktionen, sowohl im Inneren als auch im Äußeren.

Im Inneren werden ureigenste Raum-Traditionen (Bürgerrechte usw.) immer mehr deformiert, im Äußeren erscheinen die USA bald nur noch als "raumfremder" (C. Schmitt), blind herumkommandierender Büttel, der nicht einmal zum Polizeidienst taugt (denn auch dieser ist ja von räumlichen Gegebenheiten und Überlieferungen abhängig). Eine Weltmacht verwandelt sich Schritt für Schritt in eine Unordnungsmacht, und verantwortlich ist penetrante Raum-Ignoranz.

Merke: Geopolitik war immer und ist auch heute das Gegenteil von Imperialismus, und die Geo-Geschichtsschreibung registriert das. Auch der Kieler Historikertag wird davon Kenntnis nehmen.

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