Am 2. Mai wird im friderizianischen Wasserschloß Rheinsberg bei Neuruppin, dessen langjährige Sanierung 2002 zum Abschluß kam, das Kulturjahr 2003 des Landes Brandenburg offiziell eröffnet. Es steht im Zeichen Europas und will gegenüber den Landesinitiativen der Vorjahre neue Akzente setzen. Das drückt schon der knallige Slogan „Europa ist hier!“ aus, der zunächst einmal von den wohltuend seriösen „Bildungsthemen“ der letzten Jahre absticht. Das Land Brandenburg organisiert bundesweit einzigartig seit 1998 landesweite Dachkampagnen mit kulturgeschichtlicher Programmatik, die im ersten Jahr dem Andenken Fontanes, der Zisterzienser, des Westfälischen Friedens und des ehemaligen Bistums Brandenburg galten, 1999 den Beziehungen Brandenburgs nach Holland und zum Hause Oranien, im Jahr 2000 die historische Industriekultur thematisierten, 2001 Preußen und schließlich die Romantik im vergangenen Jahr. Für 2004 und 2005 sind als Rahmenthemen „Landschaft und Gärten“ und die „Christianisierung Brandenburgs“ geplant. Das seit letztem Jahr fest institutionalisierte „Kulturland“ (aufgewendetes Gesamtvolumen 2002: 2,1 Millionen Euro bei 140.000 Veranstaltungsbesuchern), dessen Trägerschaft sich aus kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen und der Tourismusindustrie zusammensetzt, bezweckt eine wachsende Identitätsbildung des Landes, dessen Imageförderung und Erhöhung von Attraktivität nach innen wie außen. Die kulturelle Infrastruktur soll nachhaltig verbessert, organisatorische Synergien vielfältiger Anbieter im Land, seiner Regionen, Städte und Institutionen erzielt werden. Nach dem besinnlichen Romantikjahr soll es also jetzt windschnittiger, zeitgeistiger werden – Europa!: die Aktualität, die Nachbarn, die EU-Erweiterung 2004. „Der Slogan ‚Europa ist hier!‘ bezieht bewußt Stellung. Europa wird (…) ganz konkret als Lebensrealität des Landes Brandenburg verstanden, das sich dadurch als aktiver und kreativer Teil Europas zu erkennen gibt. Somit zielt die Initiative auch auf eine Imageänderung des Landes, das attraktiv, lebendig, modern und sich seiner und der europäischen Traditionen sicher in das öffentliche Bewußtsein dringen soll, unaufgeregt, freundlich, aber bestimmt.“ Aus 180 eingereichten Projekten wurden 48 ausgewählt und gefördert: zu den vier Themenschwerpunkten: „Migration/Fremde Heimat Brandenburg“, „Historisches Erbe: Zwiespältige Vergangenheit Europas in Brandenburg“, „Europäische Vorstellungswelten“ und „Grenzüberwindung/Interkulturelle Begegnung“ – Themen also, deren modischer Drive gewiß für Popularität sorgen wird. In der Migrationsfrage stellt man sich gern als historisch altes Einwanderungsland dar: Tatsächlich hat es Immigranten in der Mark schon früh gegeben. Wer wußte schon, daß bereits im 12. und 13. Jahrhundert Flamen ins Land kamen? (Ausstellung in Teltow, ab 25. Oktober). Über die später angesiedelten Holländer, Franzosen und Russen weiß man besser Bescheid. In der zweiten Sektion ist natürlich Vergangenheitsbewältigung angesagt. „Aufarbeitung“ gegen „Verdrängung“ und „selektive Wahrnehmung“ sei „für die Bildung eines gemeinsamen Europa von allergrößter Bedeutung“. So sollen Ausstellungen und Veranstaltungen dem großen Kriegsgefangenenlager in Eisenhüttenstadt und den KZs Ravensbrück und Sachsenhausen gewidmet sein. Im Hinblick auf den EU-Beitritt Polens heißt es sybillinisch: „Durch die Aufarbeitung wird es möglich, in einen konstruktiven Dialog mit den polnischen Nachbarn zu treten und Verständnis für die dortigen Vertreibungen, die hier noch weitgehend unbekannt sind, zu schaffen.“ Interessanter in diesem Themenblock ein Ausstellungsprojekt zur Person Walther Rathenaus (1827-1922), dem Unternehmer, Philosophen und Politiker, in seinem ehemaligen Schloß Freienwalde (ab 27. September) und eine kunsthistorische Ausstellung der Stiftung Schlösser und Gärten zum Kaiserschloß Posen, neben Cäcilienhof der letzte Palastbau der Hohenzollern (Potsdam, ab 3. August). Avantgardistische Kunstperformance aller Art ist in Frankfurt/Oder rund um die Rückgabe der Fenster der Marienkirche aus Rußland geplant („Via Fenestra“, ab 20. Juni). Für die „Europäischen Vorstellungswelten“ wird die Frage „Potsdam, europäische Stadt?“ und „Mythos in Europa“ (16. September bis 11. Dezember) einschlägig sein, so aus der Perspektive europäischer Reisender um 1800. Ein literaturhistorisches Projekt der Kurt-Tucholsky-Gedenkstätte in Rheinsberg läßt im Rahmen dieser Sektion besonders aufmerken. Dem ostdeutschen Lyriker Erich Arendt (1903-1984) wird dort eine Ausstellung aus Anlaß seines 100. Geburtstags gewidmet (bis 1. Juni ). Der in Westdeutschland wenig bekannte, in Berlin lebende und schreibende Arendt aus Neuruppin weist eine bewegte Biographie auf: In der Weimarer Zeit ästhetisch dem Expressionismus und politisch dem Kommunismus verbunden, emigrierte Arendt 1933 in die Schweiz, dann nach Frankreich und Spanien, wo er am Bürgerkrieg teilnahm. 1941 Flucht aus dem besetzten Frankreich nach Kolumbien und 1950 Rückkehr in die DDR mit einem Bild „vom freien, farbigen, sich selbstständig revolutionierenden Marxismus“. Von der SED als „spätbürgerlich-modernistischen Einflüssen unterliegend“ beargwöhnt, wurde Arendt trotz allem zu einer zentralen Gestalt der DDR-Literaturszene, ein produktiver Autor, der bis zu seinem Tod zehn Gedichtbände, einige Sammelbände, vier Fotobücher herausgab und zahlreiche Werke aus dem Spanischen, so von Pablo Neruda, übersetzt hat. Der Veranstaltungskomplex „Grenzüberwindung/Interkulturelle Projekte“ steht ganz im Zeichen eines allgemeinen come together: „Symbolisch wird bei der Landesinitiative der Grenzfluß zur Grenzöffnung eingesetzt.“ Die Potsdamer Stadt-Spielgruppe fährt auf einem Theaterschiff bis zur Partnerstadt Opole runter, weibliche Lebensläufe werden an vielen Standorten rechts und links der Neiße erkundet (ab 1. November), ebenso die polnischen Freiheitsbewegungen in Schulen und Rathäusern, um die sich das Berliner Museum europäischer Kulturen gemeinsam mit dem deutsch-polnischen Jugendwerk kümmert, wobei uns dann auch diverse „pädagogische Aktionen“ ins Haus stehen und schließlich gar eine europäische Jugend-Big-Band in Herzberg gegründet (2. bis 5. Juli) werden soll. Für Kinder und Jugendliche ist überhaupt gesorgt. Sie können nicht bloß in bilingualen Workshops fragen nach „Voltaire heute?“ (ab 30. September), sondern sollen auch im Projekt „Hundegräber im Park“ (Potsdam, 16./17. August) mit dem Surrealismus als europäischer Bewegung vertraut gemacht werden. Na denn, test it !
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