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Der Faschismus als Kasperletheater

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Die überraschende Renaissance des italienischen Films gleich nach dem Zweiten Weltkrieg war auf eine neue Richtung zurückzuführen: die ungeschminkte Wahrheit. Aus innerer und äußerer Notwendigkeit wurde der Neorealismus zu einer Kampfansage gegen die Romantik des Faschismus und prangerte die Not seiner Zeit an. Als einer der ersten Bannerträger erschien Roberto Rossellini auf dem Plan. Noch tobten Partisanenkämpfe, aber schon begann er unter freiem Himmel und an authentischen Orten einen Film über die Widerstandsbewegung zu drehen: „Rom, offene Stadt“. Einer der beiden Drehbuchautoren war ein kaum 25jähriger Neuling mit beachtenswerten Fähigkeiten: Federico Fellini. Am 20. Januar 1920 in Rimini geboren, wuchs Fellini in einem Italien auf, das geprägt war von Mussolini und Papst Pius XII. Nach seiner Schulzeit in einem katholischen Gymnasium verließ der Neunzehnjährige Rimini, um sich in Rom an der Universität einzuschreiben. Nebenbei arbeitete er als Journalist und inszenierte sein erstes Theaterstück. 1950 drehte er seinen ersten Film: „Lichter des Varieté“. Die scharf beobachtete, mit Humor und Mitgefühl angereicherte Geschichte vom Aufstieg einer Revuetänzerin und Abstieg eines Komödianten verwies bereits auf seine späteren Meisterwerke „Vitelloni“ („Die Müßiggänger“) und „La Strada“ („Das Lied der Straße“). Während „Vitelloni“ eine Studie voller subtiler Anspielungen über eine Handvoll junger herumbummelnder Nichtstuer in einer italienischen Kleinstadt war, die den menschlichen Alltag und Leerlauf des Lebens poetisch, tragikomisch und melancholisch, mitunter zwar auch satirisch, aber immer liebevoll ironisierte und entlarvte, ging „La Strada“ weit über das Ziel des Neorealismus hinaus. Die kleine schwachsinnige Gelsomina wird von ihrer Mutter an den heruntergekommenen, brutalen Zirkusartisten Zampanó verkauft und zieht neugierig und erwartungsvoll mit ihm in die weite Welt. Doch Zampanó nutzt sie aus und mißhandelt sie. Als ihre Kräfte schließlich schwinden, läßt er sie im Stich. Nach Jahren erfährt er von ihrem Tod und bricht zusammen – zum ersten Mal menschlich erschüttert. Das Wesentliche an Fellinis Film war nicht allein die konsequente Wirklichkeitsschilderung bis zum Mord des Artisten an einem guten Menschen, dem männlichen Rivalen, sondern auch die stumme Anklage des Mädchens gegen den Ursprung alles Bösen. „La Strada“ wurde als bester ausländischer Film mit dem Oscar geehrt, und Guiletta Masina erhielt zahllose Auszeichnungen für ihre Darstellung der Gelsomina. Nach dem komplexen und komplizierten „Il Bidone“ („Die Schwindler“, 1955) schuf Fellini ein allegorisches Drama über die Gnade eines schlichten unbeirrbaren Glaubens an das Gute: „Le notti di Cabiria“ („Die Nächte der Cabiria“, 1957) variierte die „La Strada“-Thematik mit weniger Poesie und mehr Optimismus und wurde wiederum mit dem Oscar für den besten ausländischen Film geehrt. Fellinis Ende der fünfziger Jahre gedrehter Film „La dolce vita“ („Das süße Leben“) durchbrach die Barriere zwischen Kunst und Kommerz, öffnete dem europäischen Film endgültig den amerikanischen Markt und traf zudem sehr genau die Zeitströmungen und den Zeitgeschmack. Die Szene, in der Anita Ekberg im Trevi-Brunnen badet, ging um die Welt, und Marcello Mastroianni avancierte zum beliebtesten italienischen Star. Mit „Amarcord“ (1973) erinnerte Fellini an das Rimini seiner Jugendzeit in den dreißiger Jahren. Der Film ist eine wehmütige Hommage an den leichtsinnigen Vitalismus der nicht erwachsen werden wollenden Männer. Der Faschismus erscheint hier weniger als gefährliche Ideologie, sondern eher als scharfsinnig verspottetes Kasperletheater. Auch „Amarcord“ wurde als bester ausländischer Film mit einem Oscar ausgezeichnet. In „La città delle donne“ („Stadt der Frauen“, 1980), einer faszinierenden Mischung aus Realität und Phantasie, wird der Schürzenjäger Marcello auf einer Traumreise ins Reich der Feministinnen zum Gejagten. Er muß sich der Übermacht weiblicher Aggression erwehren und kann doch von der Suche nach seinem Idealbild der Frau nicht lassen. Angesichts einer veränderten gesellschaftlichen Situation spiegelte der Film die Verwirrung des männlichen „Eroberers“ in grotesken und phantasmagorischen Bildfolgen. Fellinis letzte Filme „Ginger e Fred“ und „La voce della luna“ („Die Stimme des Mondes“) kann man bereits als Abgesänge auf eine bestimmte Art des Künstlertums verstehen. „Ginger und Fred“ von 1986 ist nicht nur eine Satire auf die organisierte Massenunterhaltung des Fernsehens und der Werbung, sondern vor allem eine wehmütige und bewegende Reflexion über den Verlust von Menschlichkeit im Zeitalter der Konsumgesellschaft. Noch stärker tritt dieser Aspekt in „Die Stimme des Mondes“ (1990) hervor. Ohne bündige Geschichte erzählt Fellini von der Verschwörung der multikulturellen Moderne, der Traditionen und Wurzeln rücksichtslos geopfert werden. Seine Sympathie gehört jenem Häuflein der Wirklichkeit Entrückter, die in einer lärmenden, hektischen Welt dem Wesen der Dinge und dem Ursprung des Lebens auf den Grund gehen wollen, ebenso verzweifelt wie verbissen nach den letzten Resten tradierter Werte suchen und der Kultur der Stille zu ihrem Recht verhelfen wollen. Obwohl in Fellinis Filmen fast alle traditionellen religiösen Signale fehlen, ist ihnen eine Haltung des Verzeihens, des Mitleids und der heiteren Duldung gegenüber der Verzweiflung und der Einsamkeit des Menschen zu eigen. Noch einmal erhielt der Regisseur, der nur sehr ungern reiste und nie im Ausland drehte, 1993 einen Ehren-Oscar. Knapp sechs Monate später erlag Federico Fellini am 31. Oktober in Rom einem Herzleiden.

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