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Deutsche Musterstädte

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Der Name Wolfsburg ist noch heute untrennbar verbunden mit dem Wirtschaftswunder der westdeutschen Teilrepublik. Der „Käfer“ steht wie kein anderes Exportprodukt für das Qualitätsmerkmal „Made in Germany“. Er symbolisierte den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Bundesrepublik zu einem bedeutenden Exportland. Eine vergleichbare Erfolgsgeschichte im anderen Deutschland ist beim besten Willen nicht auszumachen. Und doch gibt es – vielleicht gerade wegen der Unterschiede – einen DDR-Industriestandort, der dem der Volkswagenwerke vergleichbar ist: das an der Oder gelegene Eisenhüttenstadt. Denn beide Städte gehen auf staatliche Beschlüsse zur Schaffung eines Industriekomplexes zurück, beide können als die wohl bedeutendsten deutschen Stadtgründungen des 20. Jahrhunderts gelten, beide versinnbildlichen in ganz und gar unspektakulärer Weise die Gefühlswelt der Menschen in der Bundesrepublik beziehungsweise der DDR, beide wurden als Musterstädte des eigenen Wirtschaftssystems verstanden. Diese offensichtlichen Parallelen veranlaßten nun das Deutsche Historische Museum zu der Ausstellung „Aufbau West – Aufbau Ost. Die Planstädte Wolfsburg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit“. Fernab der großen Politik wird dabei ein kleiner Beitrag zum Systemvergleich zwischen sozialer Marktwirtschaft und sozialistischer Planwirtschaft geleistet. Der Grundstein für die niedersächsische Stadt Wolfsburg wurde bereits 1938 mit der „Stadt des KdF-Wagens“ gelegt. Auf unbebautem Land plante der junge österreichische Architekt Peter Koller eine „nationalsozialistische Musterstadt“. Kern der Siedlung sollte das „Werk des deutschen Volkswagens“ sein. Realisiert wurde davon nur wenig. Die Pläne für den Volkswagen verschwanden in den Schubladen, statt eines Zivilfahrzeuges wurden Rüstungsfahrzeuge produziert, statt einer „vorbildlichen Arbeiterstadt“ entstanden Barackensiedlungen für insgesamt 11.000 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Daß das VW-Werk nach dem Kriegsende von der britischen Besatzungsmacht nicht demontiert wurde, lag einzig daran, daß britische Experten dem Volkswagen keine Zukunft gaben und ihn als „viel zu häßlich und zu laut“ abqualifizierten. Außerdem fehlten dem „Käfer“ ihrer Ansicht nach die notwendigen kommerziellen Voraussetzungen. Noch im gleichen Jahr wurde die Kraft-durch-Freude-Stadt von der Besatzungsmacht in Wolfsburg umbenannt. Bereits drei Jahre später, mit der Übernahme durch den noch heute legendären Generaldirektor Heinrich Nordhoff, begann der unaufhaltsame Aufstieg der VW-Werke: Bereits 1955 ging der millionste „Käfer“ vom Band, vier Jahre später startete der Siegeszug in den USA. Entsprechend der Erfolgsbilanz wuchs die Stadt unaufhörlich: Waren es 1950 bereits 25.422 Einwohner, stieg diese bis 1965 auf über 83.000. Besonders groß war der Anteil der Heimatvertriebenen. Ende der fünfziger Jahre hatte jeder zweite Wolfburger seine Wurzeln im deutschen Osten. Noch heute gilt Wolfsburg als die „Wirtschaftswunderstadt“ der Bundesrepublik. Das heutige Eisenhüttenstadt geht auf das Eisenhüttenkombinat Ost und einer dazugehörigen Wohnansiedlung zurück, deren Grundsteinlegung 1950 erfolgte. „Hausgemeinschaften“, das Verbot von privatem Eigentum an Grund und Boden, große Wohnungen mit gehobener Innenausstattung und die Bevorzugung als „Sonderversorgungsgebiet“ waren Ausdruck des Kollektivgedankens und der Zukunftsvision dieser „ersten sozialistischen Stadt“. Als besondere Auszeichnung erhielt die 2.400 Menschen umfassende Wohnsiedlung im Mai 1953 – wenige Wochen nach Stalins Tod – die Ehrenbezeichnung „Stalinstadt“. Durch den raschen Bevölkerungszuwachs – bereits sieben Jahre später hatte sich die Einwohnerzahl Eisenhüttenstadts verzehnfacht – kam in beiden Städten eine Eigendynamik zustande, die zu immer neuen Wohnvierteln zwang. Das für die Anfangsjahre charakteristische weitläufige Bauen fand ein jähes Ende. Der Zwang zur Rücksichtnahme auf ökonomische Prämissen Mitte der fünfziger Jahre führte besonders in Stalinstadt zu ersten städtebaulichen Kompromissen, zu einer Industrialisierung des Wohnungsbaus. Aufwendige Wohnungsplanungen, wie sie zunächst durch architektonisch reizvolle „Arbeiterpaläste“ ihren Ausdruck fanden, wichen eintönigen Zweckbauten. In den sechziger und siebziger Jahren wurde die konzeptionslose Bauwut gesamtdeutsch auf die Spitze getrieben. Die „Wohngebirge“ des Westens standen den Plattenbausiedlungen des Osten in ihrer Monotonie in nichts nach. Die auf dem Reißbrett entstandenen Industriestädte Wolfsburg und Eisenhüttenstadt verkörperten im geteilten Deutschland die Aufbruchstimmung und den Fortschrittsgeist der Nachkriegszeit. Beide Stadtgründungen dienten in erster Linie der Idee des eigenen Wirtschaftssystems. Wolfsburg, die autogerechte Stadt, war Prototyp nicht nur des aufstrebenden Systems der sozialen Marktwirtschaft, sondern auch Symbol für den Fortschrittsgeist der fünfziger und sechziger Jahre. Das ehemalige Stalinstadt, Produktionsstätte für den „Friedensstahl“, war als sozialistische Musterstadt und Modell für die Produktivität des neuen sozialistischen Menschen gedacht. Beide symbolisieren den Geist der Nachkriegszeit, den Wettbewerb zwischen dem sozialistischen Osten und dem marktwirtschaftlichen Westen. Städtebaulich verkörpern sie den Anspruch auf Modernität und spiegeln ihre Zeit in unverfälschter Weise wieder, in der Architektur, im Straßenbild, in dem Bestreben einer am Auto ausgerichteten Gesellschaft. Es sind Städte ohne traditionelle Anbindung gewesen, und sind es bis heute geblieben: ohne gewachsene Strukturen, ohne historischen Stadtkern, ohne traditionellen Bezug, abhängig von einem einzigen Großbetrieb, der für die Identität als Stahl- beziehungsweise Autostadt sorgte und dem allein sie ihre Existenz verdanken. Die Ausstellung „Aufbau Ost – Aufbau West. Die Planstädte Wolfsburg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit“ ist bis zum 12. August 1997 im Deutschen Historischen Museum Berlin täglich außer mittwochs 10-18 Uhr zu sehen. Der Begleitband (Verlag Gerd Hatja) kostet 39,80 Mark (Buchhandel 88 Mark).

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