Englisch wird europäische Einheitssprache, wenn es so weitergeht. Mit den Verhandlungen über den Anschluß der Europäischen Union (EU) an die Vereinigten Staaten von Amerika über die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (THIP) werden die Weichen gestellt. Das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA wird den Niedergang der europäischen Sprachenvielfalt stark beschleunigen.
Vieles deutet darauf hin, daß die politisch Verantwortlichen in Deutschland sich schon seit langem mit dieser Entwicklung abgefunden haben, sofern sie diese nicht sogar gezielt betreiben: Man denke an die standhafte Weigerung des Deutschen Bundestags, die deutsche Sprache im Grundgesetz zu verankern; an die unnötige Einführung von Englisch als Gerichtssprache vor Handelskammern; an den leichtfertigen Verzicht auf Deutsch als Wissenschaftssprache und als Arbeitssprache in der EU.
Englisch verdrängt Deutsch
Die verfehlte deutsche Sprachpolitik hat auch dazu geführt, daß die Zahl derer, die Deutsch als Fremdsprache sprechen, zwischen 2005 und 2012 stark zurückgegangen ist: Laut Eurobarometer ist der Niedergang am größten in der Tschechei (von 28 auf 15 Prozent), in Dänemark (von 58 auf 47 Prozent), in der Slowakei (von 32 auf 22 Prozent), in Slowenien (von 50 auf 42 Prozent) und in Ungarn (von 25 auf 18 Prozent).
In der Europäischen Union sprachen im Jahr 2012 laut Eurobarometer 51 Prozent Englisch als Mutter- oder Fremdsprache (Tendenz stark steigend), 27 Prozent Deutsch, 24 Prozent Französisch (Tendenz jeweils fallend) und 15 Prozent Spanisch (Tendenz leicht steigend). Die Einigung auf die drei großen Sprachen Englisch, Deutsch und Französisch als EU-Arbeitssprachen garantierte, daß keine einzelne Nation bevorzugt behandelt wird. In der Praxis sieht es jedoch leider jetzt schon so aus, daß der Zentralismus der Europäischen Kommission einseitig das Englische begünstigt.
Das Ungleichgewicht der Sprachen wird sich durch das Freihandelsabkommen mit den USA weiter verstärken. In dem künftigen gemeinsamen EU-USA-Markt mit mehr als 800 Millionen Menschen werden schätzungsweise rund 70 Prozent der Bevölkerung Englisch als Mutter- oder Fremdsprache sprechen, hingegen nur jeweils rund 15 Prozent Deutsch, Französisch und Spanisch. Welche Leitsprache dann das Rennen machen und die anderen Sprachen aus wichtigen Bereichen verdrängen wird, liegt auf der Hand. Allenfalls Spanisch könnte Nutzen ziehen, da es in den Vereinigten Staaten weit verbreitet ist.
Wird Washington in 24 EU-Sprachen übersetzen?
Weil nur wenige US-Amerikaner Fremdsprachen lernen, läuft es auf Englisch als transatlantische Handelssprache hinaus. Dabei erstreckt sich das Abkommen nicht nur auf den Handel. Niemand wird etwa die USA dazu bringen, ihre öffentlichen Ausschreibungen, die den gesetzlichen Schwellenwert überschreiten, in alle 24 Amtssprachen der EU zu übersetzen, wie das heute in der EU noch üblich ist. Bei der geplanten Vereinheitlichung der standardisierten Vorgaben für Industrie, Handel, Gewerbe und Finanzdienstleistungen wird die rechtlich verbindliche Leitsprache Englisch sein, aus der dann in andere Sprachen übersetzt werden kann. Wirklich Wichtiges würde nur noch in englischer Sprache verhandelt.
Offenbar im Vorgriff auf das Abkommen mit den USA wird bereits fleißig die Werbetrommel für Englisch als EU-Einheitssprache gerührt. Mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Altbundeskanzler Helmut Schmidt und Bundespräsident Joachim Gauck haben sich führende Köpfe für Englisch als europäische Verkehrssprache ausgesprochen. Schäuble meinte zur Begründung: „In global agierenden Unternehmen wird auch nur noch Englisch gesprochen.“ Als Umerziehungsprogramm empfahl Schmidt: „Das muß im Kindergarten beginnen, in den Grundschulen. Dann haben wir es in 20 Jahren geschafft, daß alle Europäer die gleiche Sprache sprechen.“
Gaucks Wunschbild: Englisch für alle
Gauck sagte in seiner Europarede vor einem Jahr: „Ich finde, wir sollten die sprachliche Integration nicht einfach dem Lauf der Dinge überlassen.“ Der Bundespräsident fordert „ein praktikables Englisch für alle Lebenslagen und Lebensalter. Mit einer gemeinsamen Sprache ließe sich auch mein Wunschbild für das künftige Europa leichter umsetzen.“
Auch in den Medien reden US-Lobbyisten der englischen Sprache das Wort. Jüngstes Beispiel ist Matthias Kolb in der Süddeutschen Zeitung vom 12. Mai dieses Jahres. Der Beitrag des noch vor einem Jahr als US-Korrespondent in Washington tätigen Journalisten trägt die eindeutige Überschrift: „Let’s face it: Europa muß Englisch sprechen“. Unverblümt fordert Kolb: „Europa braucht weniger Übersetzungen und mehr Fremdsprachenkenntnisse. Wobei Fremdsprache im Jahr 2014 bedeutet: Englisch.“ In seinem Werbeartikel für Englisch vermischt er schon einmal vorgreiflich die Sprache: „Langfristig würde sich a better knowledge of English auszahlen.“ Die Widerstandskämpfer um den Bundestags-Vizepräsidenten Johannes Singhammer verunglimpft Kolb als weinerlich, eitel und kleingeistig.
Die langjährige Propaganda wirkt
Die langjährige Propaganda wirkt. Das Eurobarometer ermittelte 2012, daß bereits 53 Prozent der EU-Bewohner der Meinung sind, „daß die Europäischen Institutionen sich auf eine einzige gemeinsame Sprache für die Kommunikation mit den europäischen Bürgern einigen sollten“. Was das bedeuten würde, ist sicher vielen Befragten nicht klar. Der Kampf um die Sprachen tritt nun in eine entscheidende Phase. Wenn wir die europäische Sprachenvielfalt erhalten wollen, müssen wir das Freihandelsabkommen stoppen.