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Eine schmerzhafte Debatte

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Kontroverse Reaktionen ausgelöst hat der Forum-Aufsatz von Roland Wehl in der jüngsten JF. Er fordert dort die Klärung des Selbstverständnisses von Jugendbünden, die auf der Burg Ludwigstein in der Kritik stehen.

Hintergrund: Die Burg Ludwigstein hatte im vergangenen Herbst die Entscheidung getroffen, allen Bünden vorläufig den Zutritt zur Burg zu verwehren, nachdem das Land Hessen Fördermittel für die von einer gemeinnützigen Stiftung geführte Burg eingefroren hatte.

Auslöser für diese Entscheidung des hessischen Sozialministers Stefan Grüttner (CDU) waren Berichte unter anderem von Zeit-Online („Eklat um rechte Umtriebe auf Burg Ludwigstein“) über Gedenkveranstaltungen anläßlich des 100. Jahrestages des „Freideutschen Jugendtages“ vor einem Jahr Anfang Oktober am unweit der Burg gelegenen Hohen Meißner gewesen.

Prinzip der Selbsterziehung

Mit zwei meiner Kinder habe ich damals an der „Meißner-Fahrt“ teilgenommen, die von einer kleinen Zahl von Bünden alternativ zum großen „Meißner-Treffen“ organisiert worden war, an dem über 3.000 Pfadfinder und Bündische aus ganz Deutschland teilnahmen. In der JF habe ich über dieses Erlebnis in einer Reportage berichtet. Hier habe ich darauf verzichtet, auf die Gründe für diese getrennten Veranstaltungen hinzuweisen und mich ganz darauf beschränkt, die anrührende Begegnung, das Erlebnis der Wanderung, den Gesang, das Gemeinschaftsgefühl zu beschreiben. Die Lieder der Jugendbewegung weckten tiefsitzende romantische Gefühle.

Beeindruckend ist das Prinzip der Selbsterziehung bei der bündischen Jugend, die Fahrten und Wanderungen, die ohne Begleitung Erwachsener unternommen werden, das frühe Selbstbewußtsein der Jugendlichen, die Eigenverantwortung. Etwas Außergewöhnliches.

Mehrere Bünde, darunter der im Forum-Aufsatz von Roland Wehl thematisierte Freibund, waren von den Organisatoren des Meißner-Treffens im Vorfeld wegen ihrer angeblichen „Rechtslastigkeit“ ausgeschlossen worden. Die daraufhin organisierte Meißner-Fahrt wiederum wurde auch von Christlichen Pfadfindern und anderen Bünden mitgetragen, die den Ausschluß der „rechten“ Bünde für unfair hielten.

Die Anwesenheit des JF-Chefredakteurs wurde danach in dem Zeit-Online-Bericht anschließend (neben dem ebenfalls auf der Burg für einen Tag anwesenden Verleger Götz Kubitschek) als Beleg dafür genommen, daß die „Meißner-Fahrt“ so problematisch sei, daß der Burg die Unterstützung entzogen werden müsse.

Welchen Traditionen fühlen wir uns verpflichtet?

Man kann diese, teilweise von einschlägigen linksradikalen Antifa-Autoren vorgetragene Kritik als reine Verleumdung abtun. Zumal in einem Klima des Verdachts, der im Rahmen eines asymmetrisch geführten, mit Steuermillionen subventionierten „Kampfes gegen Rechts“ geführt wird. Einer Asymmetrie, in der das von Eckhard Fuhr in der FAZ einmal treffend erkannte Prinzip gilt: „Deutschland ist ein ordentliches Land. Es gibt Gut und Böse. Gut ist alles, was nicht böse ist. Böse ist alles, was rechts ist.“ Will ich mir von sogenannten „Antifaschisten“ etwas sagen lassen, die oft mit ihrer kommunistischen, totalitären Ideologie nicht gebrochen haben, der Abermillionen Menschen zum Opfer fielen?

Roland Wehl würdigt in seinem Forum-Beitrag die Entwicklung des Freibundes, der mit seinen rechtsextremen Ursprüngen schon vor Jahren in einem schmerzhaften Prozeß gebrochen hat, an die Tradition der bündischen Jugend vor 1933 und am bündischen Widerstand anzuknüpfen versucht. Dennoch wirft er die Frage an der Konsequenz der Neuausrichtung auf, weil der Bund an seinem von Hans Baumann für die HJ verfaßten Lied „Nur der Freiheit gehört unser Leben“ als Bundeslied festhält, einem Lied, das unstrittig kein bündisches ist, sondern als Identifikationssymbol für zahlreiche rechtsextreme Organisationen der Nachkriegszeit gewählt worden war, um einen besonderen Traditionsstrang zu betonen.

Übrigens darf man die Kritik an diesem Lied nicht so verstehen, daß über Hans Baumann und seine anderen Lieder („Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit“, „Gute Nacht Kameraden“) der Stab gebrochen werden soll. Auch die SPD singt noch heute das 1914 von Hermann Claudius verfaßte „Wenn wir schreiten Seit’ an Seit“, auch wenn dieser nach 1933 zu einem glühenden NS-Dichter mutierte. Die Lebensläufe sind kompliziert und Lieder müssen aus ihrem Kontext verstanden werden.

Daß es diesem um seine Position ringenden Bund so schwerfällt, sich von diesem Bundeslied zu trennen, liegt sowohl an einem permanent mit unfairen Methoden geführten, übermächtigen „Kampf gegen Rechts“, aber wohl auch an einem Umfeld, dem die Sensibilität in dieser Frage zu fehlen scheint.

Erste Reaktionen unterstreichen, daß es bei diesem Streit über den konkreten Fall hinaus um die grundsätzliche Frage geht: Wie gehen wir insgesamt mit unserer Vergangenheit um, welchen Traditionen fühlen wir uns verpflichtet?

Es muß einen dritten Weg geben

In einem Kommentar auf Sezession.de kritisiert Götz Kubitschek die Publikation des Aufsatzes von Roland Wehl in der JF scharf. Er macht dabei jedoch deutlich, daß diese geschichtspolitische Debatte nicht neu ist – wie andere Kritiker meinen –, sondern weiter zurückreicht. Er verweist auf eine Rede, die ich auf einer Tagung seines „Instituts für Staatspolitik“ im Jahr 2007 gehalten habe. Entgegen seiner Erinnerung sollte ich dort ausdrücklich meine Thesen zum Umgang mit der rechtsextremen NPD vortragen. In meinem Vortrag erläuterte ich, warum ich die NPD als politischen Gegner betrachte und welche Bedeutung dabei die Haltung zu unserer Geschichte hat:

Die Frage der geschichtspolitischen Verortung ist die Voraussetzung für jeden konservativen, rechten Ansatz. Und hier ist Dreh- und Angelpunkt die Haltung zum Dritten Reich und seinem verbrecherischen Charakter.

Es gibt die Notwendigkeit zu einer wohlverstandenen Revision der Geschichte, einer Historisierung, wie sie Ernst Nolte gefordert hat. Aber die perverse Form einer politisch mißbrauchten Vergangenheitsbewältigung darf von uns nicht mit Schweigen beantwortet werden. Ich habe den Eindruck, es fehlt uns oft die eigene Sprache für diese geschichtliche Dimension dieser Verbrechen. Die Hypermoral der vorherrschenden Vergangenheitsbewältigung wird doch häufig auch bei uns mit Zynismus oder Sprachlosigkeit erwidert.

Gerade wer wie wir die Nation bewahren will, muß notwendigerweise eine hohe Sensibilität gegenüber ihrer Geschichte haben: Weil gerade, wenn nicht überhaupt nur derjenige, der einen wenigstens rudimentären Begriff von der Nation, ja, von „nationaler Ehre“ hat, Scham als Deutscher empfinden kann, wenn diese durch Mordtaten wie im Dritten Reich für Generationen besudelt worden ist.

Wenn also eine deutsche „Rechte“ die Nation im Munde führt, sie reklamiert und sich um ihren Bestand sorgt, muß sie auch unweigerlich die Verantwortung für den Umgang mit ihrer Vergangenheit übernehmen:

Botho Strauß formulierte hier treffend: „Die Verbrechen der Nazis sind jedoch so gewaltig, daß sie nicht durch moralische Scham oder andere bürgerliche Empfindungen zu kompensieren sind. Sie stellen den Deutschen in die Erschütterung und belassen ihn dort, unter dem tremendum; ganz gleich, wohin er sein Zittern und Zetern wenden mag, eine über das Menschenmaß hinausgehende Schuld wird nicht von ein, zwei Generationen einfach ‘abgearbeitet’.“

Rafael Seligmann beklagte vor ein paar Jahren, „Deutschland degeneriert zu einer Republik der Betroffenen. Die Menschen neigen in kollektiver Schamhaftigkeit ihr Haupt.“ Wie leicht fällt es uns, diesen Satz zu unterschreiben. Zwischen dem von Seligmann kritisierten neurotischen Verhältnis zur eigenen Nation und der Geschichtsverleugnung wie sie rechts gelegentlich – seien wir ehrlich – tonangebend ist, muß es einen dritten Weg geben.

Debatte kann zu Klärungen führen

Vor diesem Hintergrund hielt ich es im vergangenen Jahr auch für notwendig, den Kurs der Deutschen Burschenschaft zu kritisieren, die sich im Zuge eines Streites um die Haltung zum deutschen Widerstand und der Verbandstradition aus meiner Sicht in eine rechtsreaktionäre Ecke manövrierte.

Die Burg Ludwigstein hat übrigens entschieden, die Burg unter Bedingungen wieder zu öffnen, alle Bünde sind momentan wieder zugelassen. Ein mutiger Schritt. Es ist jedoch absehbar, daß die Debatte um das Selbstverständnis der Bünde nicht beendet ist. Roland Wehls letzten Satz halte ich für mißverständlich: Nicht die Leitung der Burg Ludwigstein sollte von den Bünden mehr fordern als bisher, die Bünde sollten dies selbst tun. Die der Wahrung des Erbes der Jugendbewegung verpflichtete Burg kann dabei helfen, indem sie eine faire und schützende Auseinandersetzung unterstützt.

All das ist eine schmerzhafte Debatte. Sie kann zu Zerwürfnissen, aber auch zu Klärungen führen. Ein kleiner Jugendbund steht dabei nicht allein, er ist Teil eines deutschen Dilemmas, das uns alle betrifft.

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