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Bildungsplan 2015: Vertuschen, tricksen, täuschen

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Bildungsplan 2015: Vertuschen, tricksen, täuschen

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Am 8. April gab Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zusammen mit seinem Kultusminister, Andreas Stoch (SPD), bekannt, er wolle dem Thema „Sexuelle Vielfalt“ im „Bildungsplan 2015“ keine herausragende Rolle mehr einräumen. Das Leitprinzip „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ solle durch die „Leitperspektive Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ ersetzt werden.

Obwohl Kretschmann sich bemühte zu erklären, er sei vor den Protesten gegen den Bildungsplan nicht „eingeknickt“, wurde es von vielen so gewertet. Die Erklärung Kretschmanns erfolgte überraschend und wenige Tage nach einer dritten Demonstration in Stuttgart gegen den Bildungsplan. Zuvor hatten etwa 200.000 Bürger die Petition „Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ unterstützt.

Eine abschließende Bewertung von Kretschmanns Schritt ist aber noch schwierig. Grundsätzlich kann man feststellen: „Sexuelle Vielfalt“ ist immer noch im Bildungsplan vorgesehen, eben unter der neuen „Leitperspektive“. Außerdem entstammt „Vielfalt“ als pädagogischer Begriff der „emanzipatorischen Pädagogik“, die im Zuge der 68er-Revolution entworfen wurde. Insofern könnte nach wie vor ein Bildungsplan mit Inhalten eingeführt werden, die entsprechend der Gender-Theorie konzipiert sind.

Unerwartet breite Gegnerschaft gegen den Bildungsplan

Daß Kretschmann eine reine Vertuschungsaktion plant, ist aber auch unwahrscheinlich. Denn die Wahrheit ist: Der Bildungsplan ist in der jetzigen Arbeitsfassung grob mangelhaft und nach Ansicht vieler nicht durchsetzbar. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)  hatte schon Anfang März empfohlen, das Projekt zu verschieben und das Leitprinzip „Akzeptanz Sexueller Vielfalt“ durch „Anerkennung gesellschaftlicher und kultureller Diversität“ zu ersetzen. Vor kurzem hat sich auch der Deutsche Lehrerverband kritisch geäußert. Die dritte Demonstration am 5. April erhielt wichtige Grußwörter von der CDU und der FDP und wurde von vielen Bürgerinitiativen unterstützt. Die Gegner waren also durchaus in der Lage, eine breite zivilgesellschaftliche Koalition aufzustellen.

Die Befürworter des Bildungsplanes auf der anderen Seite konnten nichts Vergleichbares vorweisen. Zunehmend vermittelte die grün-rote Landesregierung den Eindruck, sie wolle auf Biegen und Brechen ihren Bildungsplan gegen den Willen der Eltern durchdrücken.

So gesehen war der Schwenk Kretschmanns und Stochs vom 8. April so etwas wie eine Notbremse. Irgendeine Entscheidung – ob für oder gegen die vorliegende Arbeitsfassung – mußte bis spätestens Mai fallen. Ansonsten wäre die Einführung des Projektes im Schuljahr 2015/2016 unmöglich geworden. Ein abschließendes Urteil über Kretschmanns Vorgehen kann aber erst getroffen werden, wenn wir schwarz auf weiß haben, was nun konkret vorgesehen ist. Daß die Bürger Baden-Württembergs nichts Gutes ahnen, zeigt die Tatsache, daß für Anfang Mai wieder eine Demonstration in Stuttgart geplant ist.

SPD fürchtet um die Macht, Grüne wollen mehrere Optionen

Für den weiteren Verlauf sind die parteipolitischen Interessen im Hinblick auf die Landtagswahl 2016 nicht unerheblich. Hierbei ist interessant festzustellen, daß sich Kultusminister Andreas Stoch zweimal für eine Beibehaltung des Bildungsplanes ausgesprochen hat. Das erste Mal, als einige Grüne den Vorschlag der GEW unterstützten. Stoch zeigte sich über die Kakophonie empört. Das zweite Mal unmittelbar vor Kretschmanns Treffen am 27. März mit Vertretern des Pietismus und der Evangelikalen: In einem Interview schloß er jegliches Zurückrudern aus.

Möglicherweise fürchtet Stoch, daß die Grünen in Baden-Württemberg „hessische Verhältnisse“ herbeiführen wollen. In Wiesbaden kam nämlich eine schwarz-grüne Koalition nur deshalb zustande, weil die Grünen die Schulpolitik mehr oder weniger der CDU überlassen haben. Der Dogmatismus der hessischen SPD bei den Strukturfragen führte zu einem Scheitern der Koalitionsgespräche mit der CDU. Zwar sind die Grünen von der Gesinnung her linker als die SPD, auch in der Schulpolitik, doch spielt sie strategisch für die Partei keine entscheidende Rolle.

Derzeit ist eine Neuauflage der grün-roten Koalition sehr unwahrscheinlich. Möglicherweise sind die Grünen bereit, den Bildungsplan zu verwässern, um die Koalitionsoptionen zu erweitern.

Sex-Vielfalt in größerem Kontext

Bemerkenswert ist das Wohlwollen der LSBTTIQ-Gruppen in Baden-Württemberg für Kretschmanns Plan. Zwar ist „Sexuelle Vielfalt“ im neuen Konzept nicht definitiv ausgeschlossen, jedoch erheblich verwässert. Dennoch: Wie das Internetportal „Queer“ am 8. April berichtete, sicherte Kretschmann den LSBTTIQ-Gruppen am Abend des 7. Aprils zu, ihre Interessen zu berücksichtigen: „In einem persönlichen Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern des Netzwerks LSBTTIQ sicherte der Ministerpräsident am gestrigen Abend die explizite und verbindliche Verankerung der Vielfalt von Geschlecht sowie der Vielfalt sexueller Orientierung im baden-württembergischen Bildungsplan zu“, so Angelika Jäger, Sprecherin des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg, laut „Queer“.

Auch Kultusminister Andreas Stoch hätschelt die LSBTTIQ-Gruppen. Gegenüber der taz erklärte er am 10. April: „Wir haben uns nun in enger Absprache mit den Lesben- und Schwulenverbänden dazu durchgerungen, das Thema in einen größeren Kontext einzubinden.“

Sind die Ankündigungen vom 8. April also nur ein Täuschungsmanöver? Man muß noch abwarten. Nur eines ist zum jetzigen Zeitpunkt sicher: Die Gegner des Bildungsplanes müssen weiterhin in Alarmbereitschaft bleiben.

 

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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