Stattdessen konnten sie ungestört das ausleben, weswegen sie einst Mitglied wurden. Warum wird ein Mensch Mitglied einer sozialen Bewegung? Zum einen, weil ihn Mißverhältnisse in einer Gesellschaft empören. Das ist der eine Trieb, nennen wir ihn Gerechtigkeitstrieb. Zum anderen, weil er fürchtet, durch diese Mißverhältnisse sein persönliches Auskommen zu verlieren. Nennen wir diesen anderen Trieb den Selbsterhaltungstrieb. Aus diesen beiden Trieben heraus entwickelt sich nun der Funktionär.
Der eine Funktionär, der sich aus einem Gerechtigkeitstrieb heraus mit einer Bewegung verbunden hat, der wird zum Ideologen. Der Ideologe, egal auf welche Verhältnisse er stößt, er weiß nun alles ganz genau und noch viel besser. Denn in diesem abstrakten, wirklichkeitsfremden Nirgendwo, in dem er sich jetzt entfaltet, wird nichts so sehr gesteigert, als die eigene, intellektuelle Eitelkeit. Was bist du groß, was bist du gerecht, was hat die Welt nur in dir für einen Weisen geschenkt bekommen. So denkt der Ideologe und ist beleidigt, wenn man ihn auslacht.
Der andere Funktionär, der sich aus einem Selbsterhaltungstrieb heraus mit einer Bewegung verbunden hat, der wird dagegen zum Pragmatiker. Der Pragmatiker, egal auf welche Verhältnisse er stößt, nichts ist ihm zuwider, um die eigene Position zu stärken. Denn in diesem abstrakten, wirklichkeitsfremden Nirgendwo, in dem er sich jetzt entfaltet, wird nichts so sehr gesteigert, als sein Egoismus. Gebe ich dir dieses Pöstchen, gibst du mir jenes Pöstchen. Bist du gut zu mir, bin ich gut zu dir. Und bist du mir zu nichts mehr nütze, vergesse ich dich sogleich.
Geeint durch Furcht und Haß
Wo also eine soziale Bewegung erstarrt ist, da sieht man Ideologen und Pragmatiker auftauchen. Sie streiten sich, halten diesen Streit für etwas ganz besonderes. Der Ideologe ist tief betrübt, wenn irgendeiner seiner Sätze aus dem Parteiprogramm genommen wird, um dieses „mehrheitsfähiger“ zu machen. Der Pragmatiker ist entsetzt, wenn andere an ihm irgendeine Eigenschaft finden, derentwegen sie ihn nicht zum Spitzenkandidaten wählen könnten. Sie beide aber sind in Wirklichkeit geeint. Geeint durch Furcht und Haß.
Denn die Wahrheit ist doch: sie beide, der Ideologe und der Pragmatiker, sie fürchten diese Welt dort draußen. Diese Welt, in der sie sich überhaupt nicht zurechtfinden würden. Und sie hassen diejenigen, welche die Macht besitzen, sie in diese Welt hineinzustoßen. Wie Vertriebene aus dem Paradies müßten sie im Schweiße ihres Angesichtes ihr Auskommen finden. Und was sich ihnen unter Schmerzen an Idealen der Brust entringt, sie müßten es an der Wirklichkeit messen lassen. Darum fürchten und hassen die Funktionäre diejenigen, in deren Namen sie sprechen.