Angesichts des momentanen Abhöraffäre der US-Behörde NSA, die ja auch eine des britischen Geheimdienstes GCHQ ist, offenbart sich wieder das unbekümmert sonnige Gemüt vieler „Normalbürger“. Vor allem in den USA scheint dieser Typus am stärksten domestiziert worden zu sein. Alle Jahre läßt man sich da mit einer von Multimillionären finanzierten Politshow namens Präsidentenwahl abspeisen, fühlt sich ansonsten demokratisch sowie futtertechnisch gut gebettet und lebt voll gutem Vertrauen in die Obrigkeit in den Tag hinein.
In Europa ist man da immerhin teilweise noch kritischer, man debattiert über den neuen „Kontrollraum Internet“, und Nils Wegner wies in einer hier veröffentlichten Kolumne bereits unlängst darauf hin, daß die Enthüllungen jedem Informiertem nicht unbedingt Neues berichteten, eher alte Vermutungen nur bestätigten.
Doch dies ist längst nicht bei der Masse angekommen. Die ARD-Tagesschau brachte dieser Tage einen Beitrag, nachdem viele US-Bürger die europäische Aufregung über die globale Ausspähung von E-Mails, Telefonaten und Postverkehr gar nicht nachvollziehen können. Doch die ARD-Leserdebatte zeigt, daß sich durchaus auch hierzulande viele bedenkenlose Stimmen finden. „Die Spionagevorwürfe an die USA sind sachlich vollkommen übertrieben. Warum sollten die USA uns abhören? Es würde überhaupt keinen Sinn machen. Welche Geheimnisse sollten wir vor den Amerikanern haben?“, schreibt einer. Ein anderer ergänzt: „Hallo, das halte ich für sehr unwahrscheinlich, wir sind schließlich Verbündete.“
Es fehlt an Vorstellungsvermögen für Überwachung
Und dabei blubbert auch fast zwangsläufig das beliebte Hauptargument – wenn man es so nennen möchte – nach oben: „Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich auch keine Sorgen zu machen!“
Das erinnert mich an die letztjährige Diskussion mit einer exzessiven Facebook-Nutzerin, die sich überhaupt nicht vorstellen konnte, daß die von ihr geposteten Daten in Zukunft vielleicht irgendwelche negativen Folgen für sie haben könnten. Was bei Facebook nicht freiwillig gegeben wird, holt sich die NSA eben mit Hilfe umfassender Durchleuchtung. Und auch die Pläne zum langfristigen Bargeldverbot, natürlich nur zum Komfort und zur Sicherheit des Bürgers, weisen in den Bereich der fast totalitären Kontrolle, nun auch des privaten Geldflusses. Die 500-Euro-Scheine sowie die 1- und 2-Cent-Münzen werden ja bereits angetestet. Mögliche Folgen sind noch gar nicht absehbar. Es seien einige phantasiert:
Szenario 2030. Herr Schmidt erhält Post von seiner Krankenkasse: „Leider müssen wir Ihren Beitragssatz erhöhen, da wir bei Ihren Einkäufen feststellen mußten, daß sie die von uns festgesetzte Norm an gesundheitlich beeinträchtigenden Lebensmitteln der Kategorie Rot deutlich überschritten haben. Zudem müssen wir Ihnen leider mitteilen, daß wir die Kosten für Ihre Zahnkrone nicht übernehmen können, da von Ihnen der festgesetzte Höchstwert an konsumierter Schokolade und zuckerhaltigen Getränken im letzten Kalenderjahr zu 80 Prozent überschritten worden ist.“
Szenario 2030
Szenario 2031. Herr Schmidt ruft einen Freund an: „Ich habe Streß mit einer Freundin, weil sie meine Kontoauszüge in die Hand bekam. Da hat sie gesehen, daß mir im letzten Jahr 100 Teuro von einer Amanda König vom Massage-Haus ‘l’amour’ abgebucht worden sind.“
Szenario 2032. Mittlerweile ist durch Rücksicht auf die islamische Rechtssprechung Homosexualität wieder strafbar. Lehramts-Referendar Herr Schmidt erhält folgende Mitteilung beim Bewerbungsgespräch in einer Schule: „Lieber Herr Schmidt, uns wurde mitgeteilt, daß sie in den letzten drei Jahren elf mal in einem Bekleidungsgeschäft T-Shirts eingekauft haben, das offenbar von Homosexuellen betrieben wird und nach behördlicher Angabe auch als beliebter Treffpunkt Homosexueller dienen soll. Können Sie dazu eine Stellungnahme abgeben? Denn schließlich sind Sie als Beamter in einer besonders sensiblen Position.“
Szenario 2033. Herr Schmidt erhält Besuch vom Staatsschutz und kann sich keinen Reim auf die Vorwürfe machen: „Nach Überprüfung Ihrer Kontodaten ist uns aufgefallen, daß sie im letzten Jahr drei mal Fahrkarten für einen ICE in Richtung Hamburg gekauft haben. Zu allen drei Fahrten buchte auch der in unserer Extremismus-Datei geführte Ralf W. Tickets. Stehen sie in irgendeiner Verbindung zu Herrn W.? Wir haben nämlich auch überprüft, daß sie offenbar bestimmte Konsumgewohnheiten mit Herrn W. teilen. Sie wissen schon, daß sie das dem Verdacht aussetzt, Konsumgüter für Herrn W. über Ihre Karte erworben, somit Beihilfe bei extremistischen Bestrebungen geleistet zu haben.“
Nichts zu verbergen? Dummschwätzerei!
„Republikaner“-Mitglied Ralf W. ist derweil übrigens fast am Verhungern und mit einem Bein in der Obdachlosigkeit. Er kann seine Miete nicht überweisen und nichts einkaufen, weil seine Bankkarte offenbar seit Wochen gesperrt ist. Und Bargeld gibt es ja keines mehr, daß er hätte zu Hause lagern können. Nach Auskunft der Bank handelt es sich aber nur um einen vorübergehenden technischen Defekt, der bald behoben sein dürfte…
Nein, der Spruch „Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich auch keine Sorgen zu machen!“ ist ein Dummschwätz naiver Menschen, die vermutlich noch nie in ihrem Leben über irgendetwas intensiver nachgedacht haben. Oder bin ich ein Schwarzmaler? Na gut, wir haben nichts zu verbergen, wir machen uns keine Sorgen, aber das müßte dann ja zumindest auch in die andere Richtung gelten. Deshalb dürfen die Geheimdienste gerne weiter sammeln, aber dann auch transparent.
Machen wir als Bürger es doch mal so: Wir möchten hiermit die Namen, Adressen und den kompletten E-Mail- und Telefonverkehr sämtlicher US-amerikanischer, britischer und deutscher Behördenmitarbeiter, die Einblick in unsere jeweiligen privaten Daten vorgenommen haben. Zudem möchten wir den kompletten E-Mail- und Telefonverkehr des US-Präsidenten, des britischen Premiers, der Leiter der jeweiligen Geheimdienste sowie sämtlicher in Verbindung mit den Regierungen stehender Großfinanziers. Das betrifft auch sämtliche private Daten von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und der Leiter von Google Inc. Zudem Konsumgewohnheiten, Kontoauszüge und fotografische Aufnahmen der privaten Wohnverhältnisse all dieser Personen, um möglichen Mißbrauch von Steuergeldern überprüfen zu können. Zudem auch so genannte „heikle“ Areale wie sexuelle Gewohnheiten, familiäre Situationen und Krankheiten, um mögliche Sicherheitsrisiken für den Bürger transparent zu machen.
Das wäre doch ein Angebot, oder? Alle gleich. Denn: „Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich auch keine Sorgen zu machen!“