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Von Subjektivität und Objektivität

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Höre ich heute die Kritiker des Islams und die Kritiker dieser Kritiker, erinnere ich mich häufig an Gespräche mit einem mittlerweile verstorbenen Bekannten, einem Bündel cholerischer Gelehrsamkeit. Wir konnten über dieses und jenes sprechen, berührte aber einer von uns das Thema Islam und was dieser für die Zukunft der deutschen und europäischen Kulturentwicklung bedeuten könnte, so empörte sich mein gegenüber: „Ja sollen wir denn jetzt wieder lauter Kirchtürme bauen?“

Was dann folgte war meistens ein nicht enden wollender Vortrag über die kriminelle Karriere eines Intensivtäters mit Namen „katholische Kirche“. Ein offensichtlich besonders gemeingefährlicher Verbrecher, dem man gar nicht mißtrauisch genug auf die Finger schauen kann. Später erfuhr ich dann, daß mein Bekannter als Kriegswaise in einem katholischen Internat aufwuchs. Aufsässig, wie er schon damals war, dürfte man ihn reichlich durchgeprügelt haben.

Solche Biographien gibt es viele. Aus ihrem subjektiven Standpunkt heraus haben sich diese Menschen ihre Sicht auf die katholische Kirche, auf die Christenheit insgesamt, gebildet. Das ist zunächst auch völlig legitim, denn von was soll man denn sonst ausgehen, wenn nicht von seinem subjektiven Standpunkt? Problematisch wird es jedoch, wenn es einem nicht gelingt, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, seine subjektive Befangenheit abzustreifen und das Vergangene neu und objektiv zu betrachten.

Das Vergangene im Hier und Jetzt

Derjenige schleppt dann sein Vergangenes auch im Hier und Jetzt mit sich herum, wird ständig von diesem neu bedrängt, gequält, und alles Gegenwärtige erscheint ihm nur wie ein Ausdruck dieser seiner inneren Kämpfe. Der Alt-Achtundsechziger, der seinem Vater noch immer nicht den Ledergürtel verziehen hat, und stellvertretend für diesen gleich die ganze Nation entsorgen will. So wird das Subjektive der Vergangenheit, der innere Kampf, zum scheinbar Objektiven, zum äußeren Kampf der Gegenwart.

Doch dieser Kampf ist völlig sinnlos. Derjenige kann ihn gar nicht gewinnen, da er es in Wirklichkeit selbst ist, gegen den er in seinem blinden Haß anrennt. Er selbst legt sich aus seinem Wieder- und immer Wiedererleben der Vergangenheit stets neu die Zerrbilder zurecht, gegen die er bis zur völligen Erschöpfung ankämpfen muß. Hier, in diesem Kampf, kann nur zerstört werden und sonst gar nichts. Aus diesem circulus vitiosus gibt es nur einen Ausweg – die Wahrheit, denn die Wahrheit wird euch frei machen.

Leicht ist es, eine Verbrechensgeschichte der Christenheit zu schreiben, oder eine Verbrechensgeschichte der Deutschen. Aber das ist bloß biographischer Zufall. Denn ich könnte auch genauso leicht eine Verbrechensgeschichte der Aufklärung, oder eine Verbrechensgeschichte der Franzosen, oder – wenn ich schon einmal dabei bin – eine Verbrechensgeschichte der Menschheit schreiben. Doch ich gewänne dadurch rein gar nichts an Erkenntnis, außer die, daß der Mensch eben so ist, wie er ist.

Doch erkennen soll der Mensch. Er soll erkennen, was ihm als Ewiges verhaftet bleiben und was ihm als Vergangenes vergehen soll. Er soll erkennen, was ihm an einem Menschen, einer Institution, einer Idee, als Ewiges entgegentritt und was – wohlgeschieden von diesem – als Vergängliches dahinsterben wird. Was ist also ewig am Christentum, und was ist dem Leben dieser Zeit zugestanden mit Menschen, die eben so waren, wie sie waren. So muß ein Mensch fragen, der erkennen will. Alles andere ist ein Bad bloßer Beliebigkeit.

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