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Über Grenzen

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Unwort, Umfrage, Alternativ

„Über Grenzen“ ist eine jener positiv belegten, nichtssagenden Floskeln, wie man sie aus dem täglichen Erleben zur Genüge kennt. Man könnte damit ein neues Allradauto bewerben oder einen Bausparvertrag, eine Fluglinie genauso gut wie einen beliebigen Politiker. Jeder kann damit verbinden, was er möchte. Das dachten sich auch die Organisatoren des 48. deutschen Historikertags und wählten „über Grenzen“ als Motto für diese Veranstaltung, die im Jahr 2010 in Berlin stattfand.

Wenn Sie nun finden, das sei vielleicht etwas zu lange her, um im Mai 2012 zum Gegenstand einer Internetkolumne zu werden, dann überschätzen sie die Geschwindigkeit, mit der im Fach gearbeitet wird. Erst in diesen Tagen verschickt der Historikerverband den Berichtsband zur Tagung. Es war Zeit. Schließlich steht in wenigen Monaten der nächste Historikertag an, diesmal in Mainz (Motto: „Ressourcen und Konflikte“).

Historikertag ein Markt der Eitelkeiten

So ein Historikertag ist natürlich ein steter Markt der Eitelkeiten und der Seilschaftspflege, hat aber davon abgesehen immer auch seine interessanten Seiten. Dennoch gab es in den letzten Jahren gute Gründe, eher nicht mehr hinzufahren. Die Beliebigkeit des Mottos spiegelt nur allzu gut die Beliebigkeit der Debatten wieder. Ein Fachbereich, dem der Glaube an die Möglichkeit der Wahrheitsfindung mittels der historischen Methode abhanden gekommen ist, gibt sich schnell damit zufrieden, wenn nur die jeweils modischen Wörter fallen. Damit werden dann Inhalte überspielt, die gar nicht selten erheiternden oder banalen Charakter haben.

Eine Sektion unter Stalinismusforscher Jörg Baberowski untersuchte mottogetreu die „Entgrenzung und Begrenzung der Gewalt“ in Europa des 20. Jahrhunderts und wartete dabei mit der Erkenntnis auf: „Wer Gewalt ausübt, begibt sich in Gefahr, diese zu erleiden.“ Das meinte man schon mal irgendwo gelesen zu haben, denn wer zum Schwert greift…

Verfolgte die deutschpolnische Schulbuchkommission keine Agenda?

In der Abteilung „Historische Deutungskonflikte und Entgrenzung nationaler Geschichte“ hatte jemand die Chuzpe für die Behauptung, die deutsch-polnische Schulbuchkommission, die seinerzeit bekanntlich die geschichtspolitischen Rahmenbedingungen für die Brandtsche Ostpolitik schaffen sollte und dabei die Grenzen der Geschichtsfälschung austestete, hätte keine „dezidiert politische Agenda verfolgt“.

Der Verband der Geschichtslehrer konnte noch einmal einen Antrag abschmettern, in dem ernsthaft die Forderung nach geschichtlichen „Bildungsstandards ohne Inhalte“ gestellt wurde. Der Zusammenhang zwischen Kompetenz und Kenntnis ist aber alles andere als selbstverständlich und so verwahrte man sich zugleich energisch gegen den Vorwurf „bloße Sachkenntnis“ vermitteln zu wollen. Was sollte denn auch schlimm daran sein, wenn ein standardgebildeter Abiturient sich kritisch-kompetent über die Verfolgung Luthers durch Julius Cäsar äußert?

Es müsse das Ziel des Unterrichts sein, daß die „Schülerinnen und Schüler erläutern können, daß Geschichte nicht an sich existiert, sondern nur durch interessegeleitete Auslegung von Überlieferungen aus der Vergangenheit entsteht“. Dies war eigentlich der Kernsatz der ganzen Veranstaltung. Das Fach verleugnet die Existenz seines ureigenen Untersuchungsgegenstands – jedenfalls so lange kein Schüler diese „interessegeleitete Auslegung“ mit Fragen an das offiziöse Geschichtsbild der Bundesrepublik verbindet, das täglich die „Last unserer Geschichte“ beschwört, als hätte sie tatsächlich existiert.

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