Wenn in der Weihnachtszeit christliche Würdenträger Friedensgebete in die entlegendsten Weltgegenden senden, so ist daran natürlich nichts auszusetzen. Befremdlich ist jedoch bei der ganzen Hinwendung zum Fernliegenden, daß dabei das Nächstliegende geflissentlich übersehen wird. Arabischen Aufständischen wird gedacht, den Hungernden Ostafrikas, überall wo uns Gewalt und Elend begegnet. Nur ein Gebet wird man nicht hören, obwohl es in diese Zeit gehört, und das vielleicht so lauten könnte:
„Wir gedenken im Gebet unserer Glaubensbrüder und Schwestern in Nordkorea, die um Christi Namens willen verfolgt, umgebracht und in Lagern verschleppt werden. Wir gedenken im Gebet unseren Glaubensbrüdern und Schwestern im Irak, die um Christi Namens willen angefeindet, deren Söhne erschlagen und Töchter geraubt werden. Wir gedenken im Gebet…“ Eine endlose Kette von Schrecknissen, denen die Christenheit ausgesetzt ist. Doch hierzulande will man davon nichts wissen. Warum?
Selbstlosigkeit als Maske der Selbstliebe
Blickt man in die Herzen derjenigen, die sich selbst Christen nennen, die aber mit Sorgfalt das Schicksal derer ausblenden, die durch ihr Bekenntnis zu Christus Leid erfahren, wird man vieles sehen. Man wird Trägheit sehen, die Bequemlichkeit, es allen recht und sich selbst ganz klein zu machen. Auch die uneingestandene Furcht, daß es einem selbst auch bald so ergehen könnte und man daher gar nicht so genau hinschauen möchte. Vor allem aber wird man eine ungeheure Selbstliebe sehen, die sich in die Maske der Selbstlosigkeit kleidet.
Erlöse uns von dem Bösen? Warum, ich selbst bin doch schon ganz gut. Schau nur, was für ein anständiges Leben ich führe. Ach, gäbe es nur mehr Menschen wie mich. Das Böse würde von ganz alleine verschwinden. Dein Reich komme? Wozu, die Welt mit meinen Werken, sie ist doch schon ganz gut. Was ich alles schaffe, wo ich überall bin: Erdbeben, Hungersnöte, Friedensbewegungen, überall ist meine helfende Hand. Kaum ein Aktivist, der vor meiner Umarmung sicher wäre. Ach, gäbe es nur mehr Menschen wie mich.
Es ist schon so. Was als Zeichen von Demut und Selbstlosigkeit daher kommen mag, auch wirklich geglaubt wird, dahinter kann sich durchaus eine ungeheure Selbstgefälligkeit und der krasseste Egoismus verbergen. Die Welt, sie ist mir untertan. Der glühende Ofen, das brennende Deckenlicht, alles ist mir zum Wohlgefallen zubereitet. Nur ein Griff zum Telefonhörer, und ich lasse einen Lahmen gehen, einen Blinden sehen, einen Hungrigen essen. Fürwahr, in dieser Welt bin ich Gott.
Furcht vor einer höheren Welt
Was brauche ich da noch eine andere Welt? In der ich nicht herrsche, sondern zu einem Nichts werde? In der ich keine Werke tun kann, sondern um Erlösung bitten muß? Wer ehrlich zu sich ist, der muß sich eingestehen: Ich will meine Welt, so wie sie ist, mit ihren Bequemlichkeiten, ihren schmeichelnden Genüssen, nur mit weniger Leid. Diese andere Welt aber, sie ängstigt mich, ich will sie gar nicht haben. Daher vermeide ich alles, was mich an sie erinnert. Wie aber müßte das Gebet weitergehen?
„Wo wir auch sind, in welchen Zungen wir auch sprechen, in welchen Rassen, Völkern, Geschlechtern zersplittert wir auch auf Erden leben. Zu dir, oh Herr, erheben wir unsere Herzen, damit wir durch dich werden ein Leib und ein Blut. Und widerfährt einem unter uns ein Leid, so widerfährt es allen.“ Bekennen wir uns als Christen, so bekennen wir uns zu Christus. Damit bekennen wir uns aber zu einem Reich nicht von dieser Welt, in welches wir erst hineinwachsen müssen. Davor aber fürchten sich viele.