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Lager und Erinnerung

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Wenn Weltpolitiker diplomatische Protokollstrecken zu absolvieren haben, dann ist in Deutschland ein Besuch an Schuld-und-Sühne-Stätten obligatorisch, ebenso wie anderswo an den Orten der Siege oder der Opfer. Buchenwald und Yad Vashem sind antipodische Orte – hier die mörderischen Verfolger, „Hitlers willige Vollstrecker“ (Goldhagen), dort die Verfolgten, in deren friedliche Gemeinschaft, so die Lesart, die Wölfe einbrachen.

Die Schrecknisse des 20. Jahrhunderts übertrafen die Phantasien Dante Alighieris in der „Divina Commedia“, die Visionen Kafkas „In der Strafkolonie“ und die Alptraumgesichte Kubins. Das „Lager“ wurde zum Topos. Die schwierige Frage aber, inwiefern Alexander Solschenizyn und Elie Wiesel Opfer im Schicksalzusammenhang sind, warf nur Ernst Nolte auf.

Ein grundsätzliches, also philosophisches Denken, das nach den Gründen fragt, ist tabuisiert, selbst wenn es gerade nicht entschuldigen will, sondern um Formulierungen ringt. Es rührt unweigerlich an den Mythos der Unvergleichbarkeit deutscher Schuld, dessen eine Politik bedarf, die beim Einfachen bleiben möchte. Sie mag allenfalls schmale lineare Kausalitäten wohl anerkennen, vorzugsweise die für Lehrbücher konstruierten, aber keine umfassenden, und niemals jene, die eine Substanz im Anthropologischen zu bestimmen suchen, welche als Nachtseite fatalerweise verdrängt werden soll.

Ritual statt Erklärung

Es ist offiziell unerwünscht, Zusammenhänge aufzurufen, ohne die das Geschehen aber nie faßlich ist, schon gar nicht für die Nachgeborenen in ihrem Bedürfnis nach bedingtem Verständnis. Das Nachdenken über die Ursachengefüge des Grausamen steht nicht nur im Verdacht des Relativierens und Vergleichens gegenüber dem neurotisch zum unvergleichbar Erklärten, sondern würde ja tatsächlich der notwendigen Methode kritischen Erkennens folgen, also dem Herleiten und Urteilen. Es soll aber gerade nicht erklärt und erkannt, sondern es soll ritualisiert und liturgisiert werden – ganz ähnlich wie bei Ängsten oder Traumata. Hier jedoch gründet die wahre Unfähigkeit zu trauern.

Ernst Nolte gilt nicht nur deswegen als Skandal, weil er das Phänomen Faschismus in einem historisch übergreifenden Sinne beschrieb. Nein, allein schon sein zugkräftiger Begriff „kausaler Nexus“ erscheint als Sakrileg, das die politischen Sirenen aufheulen läßt. Er öffnet dort etwas, wo es verschlossen werden soll. Inhalte werden durch Begriffe politischer Bildung  zugedeckt: „SS-Staat“ ist ein solcher Begriff, „SED-Unrechtsstaat“ ein anderer.

Webfehler einer fatalen Nation

Schuld, zumal deutsche, soll im Geruch des Einmaligen, mithin Pathologischen, Abnormen bleiben, also den genetischen Webfehler einer fatalen Nation diagnostizieren, die sich humanitär nicht im Griff hat und daher mit Blick auf sogar „zwei Diktaturen“ der Beschwörungen bedarf. Obama sagte in Buchenwald: „Dieser Ort lehrt uns, daß wir stets wachsam bleiben müssen, damit sich das Böse nicht verbreitet! Dieser Ort ist voller Schrecken.“ – Solche Sätze sind nachvollziehbar, aber es sind nahezu schamanische Formeln, die über einen Ort gesprochen werden. Analytische Aussagen mögen aus Pietätgründen an Gedenkstätten nicht zu erwarten sein, sind aber wissenschaftlich und publizistisch notwendig.

Ansonsten verbleibt man auf einem Diskursniveau, das der Wiener Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann beschreibt: „In dem Maße etwa, in dem Auschwitz zum absoluten Unrecht erhoben wird, wird auch alles dagegen eingesetzte Unrecht Recht. Das macht den Diskurs über die Verletzung von Menschenrechten im Zuge des Krieges gegen Deutschland auch so schwierig.“

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