Vertrauen Sie noch dem staatlichen Schulwesen? Viele Eltern haben dieses Vertrauen verloren. Einige schicken ihre Kinder auf private Schulen. Wenige haben sich für den Unterricht zu Hause entschieden, für die Heimschule. Auf dem Deutschen Heimschultag in Siegen, der am Pfingstmontag stattfand, hatte ich die Gelegenheit, nach meiner Rede über die „Schöne deutsche Sprache“ den beeindruckenden Kampf dieser Eltern kennenzulernen.
Während der Staat die Kinder für immer längere Zeit aus den Familien nimmt und im ganzen Lande immer mehr Ganztagsschulen einrichtet, gehen diese Eltern den entgegengesetzten Weg. Dabei stellen sie sich gegen das Gesetz der allgemeinen Schulpflicht. Im schlimmsten Fall kann ihnen daher der Staat sogar die Kinder wegnehmen und die Familie auseinanderreißen.
Aus diesem Grund sind einige der insgesamt rund 200 Familien, die der Heimschulbewegung angehören, bereits aus Deutschland ausgewandert. In unseren Nachbarländern Belgien, Frankreich, Dänemark oder Österreich zum Beispiel gibt es nämlich keine Schulpflicht, sondern eine Unterrichtspflicht, über deren Einhaltung der Staat wacht. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Vernor Muñoz, rügte sogar für die strenge Handhabung in Deutschland die Bundesregierung. Diese hielt ihre Befürchtung entgegen, daß sich Parallelgesellschaften entwickeln könnten, die sich dem Einfluß des Staates entziehen.
Zunehmende Gewalt und Ächtung von Lernwilligen
Die Zweifel an der staatlichen Schule, in der zehn Prozent eines Jahrgangs keinen Schulabschluß erreichen, sind verständlich: zunehmende Gewalt, Ächtung von Lernwilligen als „Streber“, zu große Klassen, überforderte Lehrer, undurchdachte Reformen, schädlicher Einfluß durch schlecht erzogene, schlecht Deutsch sprechende und konsumbesessene Altersgenossen, Gruppenzwang, möglicherweise Zugang zu Drogen. Für christlich-konservative Eltern spielt auch die Sexualisierung an den Schulen eine Rolle, sowie die aus ihrer Sicht mangelnde Ehrfurcht vor Gott.
Auf der anderen Seite steht die starke Belastung durch den Heimunterricht und den Kampf mit den Behörden. „Parallelgesellschaften“, wie sie die Bundesregierung befürchtet, sind nicht zu erwarten, es sei denn, Großfamilien, in denen die meisten Heimschulkinder aufwachsen, gelten bereits als Parallelgesellschaften. Heimschüler zeichnen sich entgegen den Vorurteilen durch eine überdurchschnittlich hohe soziale Verantwortung aus und setzen sich sehr häufig selbstlos für die Allgemeinheit ein.
Auf dem Heimschultag wurde die folgende Geschichte erzählt: Drei Monate vor dem Amoklauf am Gymnasium in Erfurt bot der Gideonbund der Schulleitung an, an alle Schüler Bibeln zu verschenken. Die Schulleitung habe geantwortet: „Wir brauchen keine Bibeln, und wir brauchen auch keinen Gott.“ Ganz gleich, ob das Verteilen von Bibeln das Morden verhindert hätte: Solche Geschichten bestätigen die Heimschulfamilien nur in ihrer Entscheidung.
Der Staat sollte danach streben, für möglichst alle Kinder eine gute Schulbildung zu gewährleisten. Er sollte lieber die Bedingungen an den Schulen verbessern, statt bildungswillige konservative Minderheiten zu verfolgen.