Als Morgengabe seines AfD-Beitritts fordert der frühere stellvertretende Bild am Sonntag-Chef Nicolaus Fest ein faktisches Verbot der öffentlichen islamischen Religionsausübung (Kopftuchverbot in der Öffentlichkeit, Schließung aller Moscheen) in Deutschland. Wenn es nach ihm geht, gehört der Islam genauso geächtet wie der Nationalsozialismus. Der Enkel eines von den Nationalsozialisten mit Berufsverbot belegten Zentrumspolitikers will sich damit in guter, antitotalitärer Familientradition sehen, so trägt er es vor. Er hält den „Islam nicht für eine Religion, sondern für eine totalitäre Bewegung“.
Diese Thesen sind haarsträubend: Linke Extremisten haben Ähnliches auch schon von der katholischen Kirche behauptet. Sei’s drum. Die negativen Gefühle, die der Islam bei vielen (und bei weitem nicht nur politisch rechtslastigen) Deutschen hervorruft, sind nachvollziehbar. Der maßgebliche internationale Terrorismus fußt auf dem Islam, weltweit gelten Muslime als die am schwersten zu integrierenden Einwanderer, die Kriege und Bürgerkriege im „Grünen Gürtel“ von Nordafrika bis Persien bedrohen den Frieden an den europäischen Grenzen, Millionen islamisch geprägte Einwanderer die europäische Kultur.
Worthülsen der schönen neuen Welt
Wie reagiert unsere Gesellschaft auf diese Herausforderung? Das Problem wird von den Eliten systematisch heruntergespielt und hinter Worthülsen aus der schönen neuen Welt versteckt: Deutschland bunt und weltoffen.
Es ähnelt dem Pfeifen im dunklen, nächtlichen Wald. Dann gibt es Strömungen, die sich offen und erklärtermaßen gegen den Islam stellen – ergänzt um die Schweiger, die sich aus politischer Korrektheit die Lippen zunähen. Darunter gibt es viele, bei denen die Furcht direkt in Haß umschlägt.
So kann auch Nicolaus Fest darauf spekulieren, daß für jeden Journalisten, der sich jetzt degoutiert von ihm abwendet, tausend Wähler ihr Kreuz hinter seiner neuen Partei machen werden – vielleicht nicht gleich morgen, aber nach dem nächsten Terroranschlag, nach der nächsten demographischen Schreckensnachricht, nach der nächsten Flüchtlingswelle. Die Wette auf den wachsenden Islamhaß ist derzeit die sicherste Wette in der Bundesrepublik.
Wenig zielführend
Diesen aus Angst gewachsenen, überschießenden Haß zu bedienen, wie Nicolaus Fest es praktiziert, ist allerdings kaum zielführend. Zum einen ist die freie Religionsausübung in allen westlichen Staaten, also auch in Deutschland, ein über Jahrhunderte mühsam erkämpftes Verfassungsrecht. Daran sollten wir uns gebunden fühlen. Fest meidet den Widerspruch, indem er dem Islam schlicht den Religionscharakter abspricht – ein mutiges Unterfangen bei einer 1.400 Jahre alten Glaubensgemeinschaft mit 1,6 Milliarden Anhängern weltweit. Goethe oder Lessing hätten seine Behauptung jedenfalls nicht unterschrieben.
Es gibt einen anderen Grund, der vor allem in der Realität stichhaltig ist, stichhaltiger als die Hirngespinste, die Fest konstruiert (Islam keine Religion, Verbotsforderung). In Deutschland leben mindestens vier Millionen Muslime, fünf Prozent der Bevölkerung. Diesen vier und mehr Millionen die freie Religionsausübung verbieten zu wollen ist schlicht weltfremd.
Die Diskussion der vergangenen Monate und Jahre macht deutlich, daß bei der Auseinandersetzung mit dem Islam der Bezug zur Realität abhanden gekommen ist. Der Islam hingegen, unbeirrt, streng, bisweilen fanatisch, hält unserer Gesellschaft den Spiegel vor. Einer Gesellschaft aus fröhlichen, freien, immer unverbindlicher vor sich hinlebenden Individualisten. Der Spiegel zeigt die Realität, und die sieht so aus, daß kein Politiker ihr ins Auge schauen und keinem Wähler davon etwas erzählen möchte. Wohlgemerkt keinem, ob rechts oder links.
Linke (und grüne) Utopien
Die Politik irrt, wenn sie glaubt, in ein, zwei Generationen genössen unsere Kinder und Enkel die vielen Freiheiten, die uns heute selbstverständlich sind. Und die Rufer nach Verboten irren, wenn sie glauben, dieser Prozeß sei umkehrbar. Wenn die bundesrepublikanische Gesellschaft irgendwann in der zweiten Jahrhunderthälfte zur Hälfte muslimisch oder muslimischstämmig ist, steht unser heutiger Lebensstil, allem voran jener der Frauen und sexuellen Minderheiten, zur Disposition.
Die Stabilität der vergangenen Jahrzehnte, der wir unsere naive Selbstgewißheit verdanken, ist vorüber. Die linken (und grünen) Utopien der totalen Selbstverwirklichung laufen ebenso ins Leere wie extreme Forderungen nach einem Verbot dessen, was nicht verboten werden kann.
Vergewissern, was noch zur Verfügung steht
Demographie ist so gut wie eine exakte Wissenschaft; die Sache ist gelaufen. Unsere Chance liegt darin, sich dessen zu vergewissern, was noch zur Verfügung steht. Und daraus das Beste zu machen.
Als da wären: Ein Staat, der (wenn er will) immer noch stark genug ist, von den Gläubigen aller Religionen Respekt und die Einhaltung der öffentlichen Ordnung einzufordern. Gesellschaftliche Traditionen, die zu Teilen brachliegen, aber durchaus auch bei Einwanderern auf positive Resonanz stoßen: Anpassungsbereitschaft und Disziplin. Und Autoritäten, die zwar nach 1968 geschleift wurden, ohne die eine Gesellschaft aber nicht existieren kann: Richter, Lehrer, Polizisten, Mütter, Väter.