Es kann eben doch nützlich sein, eine Euro-kritische Opposition zu haben, auch wenn sie in sich zerstritten ist – hätte es in den neunziger Jahren die AfD mit ihren zweistelligen Wahlergebnissen schon gegeben und dazu Pro-D-Mark-Demonstrationen vom Kaliber Pegida, dann wäre den Deutschen die Kunstwährung Euro erspart geblieben.
Ohne Zweifel trug die bloße Existenz der für das Parteienkartell so bedrohlichen Lucke-Partei dazu bei, daß die Bundesregierung zum Jahresanfang einen Warnschuß in Richtung Athen abfeuerte. Die Kanzlerin und ihr Finanzminister, so sickerte durch, seien neuerdings zuversichtlich, daß der Euro einen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion überleben würde.
„Niemand wird fallengelassen“
Besonders originell ist diese Erkenntnis nicht. Schon am 11. Dezember 2010 hatte das in solchen Dingen sehr kompetente britische Wirtschaftsmagazin Economist vorgerechnet, daß das europäische Bankensystem einen Zusammenbruch nicht nur Griechenlands, sondern auch Spaniens, Portugals und Irlands überleben würde. Professor Hans-Werner Sinn sekundierte und meinte, wir könnten doch nicht die Schulden anderer Länder übernehmen – und doch gab Angela Merkel damals, am 15. Dezember, die fatale Zusage: „Niemand wird fallengelassen.“
Damit machte sie Deutschland erpreßbar mit den bekannten Folgen im Zuge der schier endlosen Euro-Rettung, und jetzt versucht sie in einer scheinbaren Kehrtwende die frühere Garantie zu kassieren. Als Joachim Starbatty, der mittlerweile verstorbene Wilhelm Hankel, Bernd Lucke und andere sich ähnlich äußerten, galten sie als schlimme Störenfriede.
Athen, Berlin und Brüssel betreiben Insolvenzverschleppung
Haben Merkel und Schäuble mit diesem Schachzug ihre Euro-Politik grundlegend revidiert? Keineswegs. Sie bauen zunächst nur eine Verhandlungsposition für den vorhersehbaren Fall auf, daß Alexis Tsipras, der Chef des Bündnisses der Radikalen Linken (Syriza), die griechischen Parlamentswahlen am 25. Januar gewinnt. Tsipras, ein ebenso gerissener wie unberechenbarer Demagoge, wird sich als formidabler Kontrahent erweisen. Was er genau will und tun wird, bleibt offen – nicht zuletzt deswegen, weil er auf einen oder zwei Koalitionspartner angewiesen sein wird. Und doch liegt eine gewisse Logik hinter seinem Aufstieg: Es war nicht zu erwarten, daß die Griechen sich auf Dauer mit dem Status eines EU-Protektorats abfinden würden.
Das Land war schon vor Tsipras bankrott, genauer: seit dem Mai 2010, als das erste Rettungspaket geschnürt wurde, das laut Schäuble das erste und letzte sein sollte. Seitdem betrieben Athen, Berlin und Brüssel Insolvenzverschleppung. Seitdem wachsen und wachsen die griechischen Staatsschulden, und alle Beteiligten wissen, daß sie nie mehr zurückgezahlt werden können.
Schulden werden weiterhin vergemeinschaftet
Fragt sich nur, wer in diesem Spiel die besseren Karten hat: der Schuldner oder seine Gläubiger, darunter Deutschland mit etwa 65 Milliarden Euro, die zumindest teilweise so oder so verloren sind. Der clevere Tsipras glaubt, am längeren Hebel zu sitzen. Vorhersehbar ist ein Showdown im ersten Halbjahr 2015. Er wird in monatelangen Verhandlungen münden, und am Ende muß entweder Griechenland die Währung, die für das Land ungeeignet ist, verlassen, oder die neue Regierung in Athen wird sich mit einem beachtlichen Teil ihrer Forderungen durchgesetzt haben. Wahrscheinlich, aber nicht sicher, ist letzteres. Denn eine Insolvenzverschleppung läßt sich durchaus perpetuieren, indem die Laufzeiten der Schulden noch einmal verlängert und die Zinsen noch einmal herabgesetzt werden.
Das würde allerdings nichts daran ändern, daß die Euro-Strategie der Bundesregierung gescheitert ist. Diese bestand ganz einfach darin, die Schulden der Krisenländer irgendwie, wenn auch nicht mit Hilfe von Eurobonds, zu vergemeinschaften und im Gegenzug die Schuldner mit dem Fiskalpakt von 2012 zu verpflichten, ihre Wirtschaft zu reformieren und die Schulden in Richtung 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts abzubauen.
Ein bequemer Ausweg aus der Euro-Katastrophe steht nicht mehr offen
Bereits im vergangenen Jahr zeichnete sich ab, daß zwei Schwergewichte in der Währungsunion, Italien und Frankreich, die von Merkel verordnete Austeritätspolitik aufkündigen würden. Frankreich und Italien unter Kuratel stellen zu wollen, oder gar für Verstöße gegen den Fiskalpakt zu bestrafen, war von Anfang an eine dumme Idee. Dafür sind die Romanen zu selbstbewußt. Sie lassen sich von den Deutschen nicht disziplinieren – und die Griechen haben schnell begriffen, woher der Wind weht. Wie aber soll Merkel ihren europäischen Schuldensozialismus den Deutschen jetzt noch verkaufen, nachdem die geforderte Gegenleistung, das Sparen nämlich, nicht mehr erbracht wird?
Ein bequemer, billiger Ausweg aus der Euro-Katastrophe steht nicht mehr offen. Dafür hätte Merkel im Mai 2010, als der Rettungswahnsinn begann, nein sagen müssen. Damals, als die Bild-Zeitung am 11. Mai die halbe Seite eins opferte, um zu titeln: „750 Milliarden für Pleite-Nachbarn, aber Steuersenkungen gestrichen. Wir sind wieder mal Europas Deppen!“
Durchschlagen läßt sich der gordische Knoten nur noch mit einer radikalen Umkehr. Die sähe so aus, daß jedes Euroland für seine Schulden selbst haftet, wie im Vertrag von Maastricht vorgesehen, und daß Merkel Mario Draghi und seinem Vorhaben, für 1.000 Milliarden Euro Geld zu drucken, die Unterstützung entzieht und Jens Weidmann endlich die Rückendeckung gibt, die er verdient.
Nur daran wird sich Merkel messen lassen müssen. Griechenland ist ein Nebenkriegsschauplatz, wenn auch ein hochinteressanter.
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Dr. Bruno Bandulet ist Publizist und Herausgeber des DeutschlandBriefs (erscheint in eigentümlich frei). Als Journalist war er unter anderem bei der Welt tätig.
JF 03/15