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Plötzlich gibt es wieder deutsche Kriegsopfer

Plötzlich gibt es wieder deutsche Kriegsopfer

Plötzlich gibt es wieder deutsche Kriegsopfer

 

Plötzlich gibt es wieder deutsche Kriegsopfer

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Herr Dornseif, als Sie 2003 nach Afghanistan gingen, war Ihnen da klar, daß Sie in den Krieg ziehen? Dornseif: Nein, meine Kameraden und ich haben uns den Einsatz dort so vorgestellt wie zuvor in Bosnien, als einen friedenserhaltenden, humanitären Einsatz. Und heute? Dornseif: Heute weiß ich nicht, warum wir in Afghanistan nicht von einem „Krieg“ sprechen sollten. Allerdings würde ich nicht sagen: „Deutschland führt Krieg“, denn das stimmt nicht. Den Krieg führen die Amerikaner und Briten — wir versuchen nur Ordnung zu schaffen. Aber wir stecken damit mittendrin in diesem Krieg, denn die Afghanen unterscheiden immer weniger zwischen uns und den Amerikanern. Wir sind in ihren Augen die Ungläubigen, die das Land besetzen. Also greifen sie uns an. Und ich finde das sogar nachvollziehbar, denn würden moslemische Soldaten Deutschland besetzen, würden unsere jungen Leute ja bestimmt auch mit Waffengewalt zurückschlagen. Obwohl Verteidigungsminister Jung nach dem letzten tödlichen Angriff auf die Bundeswehr Ende Oktober erstmals davon sprach, daß die dabei getöteten Soldaten „gefallen“ seien, lehnt er die Bezeichnung „Krieg“ weiterhin ab. Dornseif: Natürlich, und ich kann auch das verstehen. Kein Politiker kann dem Volk offen sagen: „Wir führen Krieg“ oder „Wir schicken unsere Soldaten in den Krieg“. Da würde das Volk nicht mehr mitmachen. Also ist es legitim zu lügen? Dornseif: Ich würde nicht so weit gehen, es Lüge zu nennen, denn die Politiker unterschlagen ja nichts vom Sachverhalt. Sie nennen ihn bloß nicht beim Namen. Das ist ein Unterschied. Ihr Krieg begann am 7. Juni 2003. Dornseif: Dabei war da unser Einsatz eigentlich schon vorbei. Meine Kameraden und ich waren auf dem Transport vom Camp Warehouse zum Flughafen Kabul, um nach dreieinhalb Monaten in Afghanistan zurück in die Heimat verlegt zu werden, als ein Selbstmordattentäter unseren Bus angriff. Vier Ihrer Kameraden sind dabei … ja, was sind sie? Dornseif: Offiziell hieß es damals, dies sei der erste kriegerische Angriff auf die Bundeswehr seit 1945 gewesen. Also sind sie „gefallen“ und wir, die 29 zum Teil schwer Verletzten, wurden „verwundet“. Am Volkstrauertag am kommenden Sonntag gedenken die Deutschen traditionell ihrer Gefallenen. Bislang schloß das aber nicht die dreißig bisher bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr getöteten deutschen Soldaten mit ein. Dornseif: Ich glaube, es ist wichtig, daß sich das ändert. Nicht nur jetzt am kommenden Sonntag, sondern überhaupt. Schließlich sind wir nicht etwa besoffen vom Panzer gefallen, sondern haben in Ausübung unserer Pflicht Leben bzw. Gesundheit gelassen. Warum ist das wichtig? Dornseif: Ich mußte als Schwerverwundeter erleben, was es bedeutet, Opfer eines Krieges zu werden, den es offiziell gar nicht gibt, kriegsversehrt zu sein in einer Gesellschaft, die gar nicht weiß, was das ist, und die deshalb auch nicht damit umgehen kann. Ich mußte niederschmetternde Erfahrungen machen, die ich nie für möglich gehalten hätte. Und doch kann ich den Leuten kaum einen Vorwurf machen, denn wir leben in einer Gesellschaft, die vor der Realität, in die sie ihre Soldaten schickt, die Augen verschließt. Am 7. Juni 2003 zerriß Ihnen die afghanische Bombe beide Trommelfelle, übersäte Ihren Körper mit Splittern, zerfleischte Ihren Oberschenkel und riß Ihnen ein Augenlid ab. Dornseif: Und dabei hatte ich insofern noch Glück, als vier Kameraden starben und andere Arme, Beine oder das Augenlicht verloren. Allerdings verlor ich soviel Blut, daß ich um ein Haar gestorben wäre. Heute wirken Sie fast unversehrt und sind doch zu sechzig Prozent Kriegsinvalide. Dornseif: Heute leide ich an Hörverlust — rechts mittel- bis hochgradig, links hochgradig an Taubheit grenzend —, an Tinnitus, an Schmerzen zum Beispiel im linken Bein, wo ein besonders großes Schrapnell eingedrungen war — sogar in Kopf und Hals stecken immer noch eingewachsene Splitter, die zu entfernen zu gefährlich wäre, die ich spüren kann und die mir immer wieder Beschwerden bereiten. Außerdem habe ich Schmerzen in den Schultern, die unter Trümmern eingeklemmt waren. Und immer wieder werden meine Narben wund. Ihre eigentliche Verwundung aber ist Ihr „innerer Krieg“, wie Sie es nennen. Dornseif: Den führe ich jeden Tag. Ich kämpfe ihn gegen eine sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung — kurz PTBS —, also das, was man früher zum Beispiel „Kriegszittern“ genannt hat und was erst heute allmählich thematisiert wird. Das Problem ist, daß sich die meisten Menschen das Ausmaß einer solchen seelischen Zerstörung gar nicht vorstellen können. Ich konnte das früher auch nicht. Nie hätte ich gedacht, daß ich einmal unter so etwas leiden könnte. Was eine Traumatisierung ist, muß man erleben, sonst hat man keinen Begriff davon. Erklären Sie es. Dornseif: Denken Sie daran, daß es Polizisten, Feuerwehrleute oder Sanitäter — also Profis! — gibt, die sich das Leben nehmen, obwohl ihnen selbst gar nichts widerfahren ist. „Nur“ weil sie Zeuge schlimmer Unfälle oder Unglücke geworden sind. Auch einige der Bundeswehr-Sanitäter und Ärzte, die zum Anschlagsort gerufen wurden, mußten psychologisch behandelt werden. Daran sehen Sie, wie gefährlich eine Traumatisierung sein kann. Wir dagegen haben den Angriff am eigenen Leib erfahren, und die Toten und Verstümmelten waren keine anonymen Opfer, sondern unsere Kameraden. Mich hat diese Erfahrung zerbrochen. Auch eine deutsche Eiche fällt mal um. Die Symptome sind Depressionen, Schlaflosigkeit, Gereiztheit, Nervosität, Abgespanntheit, die Unfähigkeit, sich zu konzentrieren, zitternde Hände, Schweißausbrüche, Magen-Darm-Probleme, Ausschlag etc. Ich nehme seit fast fünf Jahren Schlafmittel und Antidepressiva, sonst ginge es gar nicht. Sie sind deshalb bis heute dienstuntauglich. Dornseif: Ich bin ein Kriegsinvalide, und nach allem, was die Ärzte sagen, werde ich das auch bleiben. Das Schlimmste aber ist, daß ich erleben mußte, wie daran die Kameradschaft zerbrochen ist. Inwiefern? Dornseif: Schon bald begannen viele Kameraden hinter vorgehaltener Hand davon zu sprechen, ich wolle mich doch nur „verpissen“ und „vor dem Dienst drücken“. Absurd! Ich hatte mich zuvor zu allen meinen Auslandseinsätzen freiwillig gemeldet! Aber sie verstanden die psychische Verheerung, die wir erlitten haben, einfach nicht. Bald wurde es noch schlimmer: Unter den Opfern des Angriffs begannen die Neidereien: „Du hast ja eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von vierzig Prozent. Da bekommst du ja 161 Euro im Monat! Ich habe nur zwanzig Prozent!“ Was für ein Vorwurf! Ich war ja nun weder derjenige, der das Attentat verübt, noch der Arzt, der unsere Verwundungen klassifiziert hatte. Von den 28 Kameraden, die ebenfalls verwundet worden sind, habe ich heute zu 26 den Kontakt verloren. Sie besuchen auch nicht mehr die Gedenkfeier zum Jahrestag des Anschlags. Dornseif: Nein, zu der Veranstaltung müssen Soldaten befohlen werden, um den Rahmen zu bilden. Ich kenne sie nicht, und sie kennen mich nicht. Sie schauen uns an, und ich sehe, wie sie denken: „Wegen euch müssen wir jetzt am Wochenende hier stehen.“ Der Esprit de Corps einer Armee sollte ihre Angehörigen davon überzeugen, daß solch ein Dienst eine Ehre ist und einen Sinn hat. Dornseif: Davon habe ich nichts bemerkt. Der Kommandeur hielt eine Ansprache, und ich hatte den Eindruck, er weiß gar nicht, wovon er spricht. Ich empfinde das Ganze als Schauspiel, als ein verlogenes Gemache. Sogar mit dem Truppenarzt gab es Probleme. Dornseif: Als Soldat hat man keine freie Arztwahl, sondern ist auf den zuständigen Truppenarzt angewiesen. Nach einiger Zeit merkte ich, daß ich auch dem Sanitätsbereich unserer Kaserne mit meinen chronischen Problemen zur Last fiel. Irgendwann fielen bissige Bemerkungen. Der Respekt vor mir schwand mehr und mehr. Schließlich nahm man mich nicht mehr als Einsatzverwundeten, sondern nur noch als Störenfried wahr. Normale Soldaten sind irgendwann geheilt, auf das Problem lebenslang Kriegsversehrter ist man nicht eingestellt. Hat sich keiner vor Sie gestellt? Dornseif: Zu meiner großen Enttäuschung, nein. Ich habe mich an den Wehrbeauftragen gewandt, aber das hat die Stimmung nur verschlechtert. Ich weiß nicht, vielleicht habe ich auch zuviel verlangt. Haben auch andere Opfer des Angriffs so schlechte Erfahrungen gemacht? Dornseif: Leider ja, mein Fall ist kein Einzelfall. Wir haben erlebt, was es bedeutet, vom Kameraden zum Problem zu werden. Waren Sie selbst denn ein guter Kamerad? Dornseif: Ich glaube ja. In zwei Einsätzen war ich Vertrauensperson der Unteroffiziere. Und vor allem da sucht man die Vertrauensperson gut aus. Die Bundeswehr, „eine Armee ohne Seele“, wie der Militärhistoriker Martin van Creveld in seinem neuen Buch „Gesichter des Krieges“ diagnostiziert? Dornseif: Ich glaube eher, es liegt daran, daß immer nur rhetorisch davon die Rede ist, für den Ernstfall bereit zu sein — tatsächlich aber wird er tabuisiert. Es war auch für mich verblüffend: Vor dem Angriff war ich 13 Jahre Soldat und habe die Kameradschaft bei der Bundeswehr immer als gut empfunden. Aber dann mußte ich feststellen, daß sie für den wirklichen Ernstfall, also Verwundung und Tod, nicht taugt. Die Bundeswehr kannte sechzig Jahre nur den Frieden und hat sich darin eingerichtet. Ich glaube heute, daß die Kameradschaft in früheren deutschen Armeen besser war. Mein Vater hat in Rußland ein Bein verloren und später andere Erfahrungen gemacht als ich heute. Damals waren eben alle im Krieg, und es war auch der Heimat in etwa klar, in welcher Lage sich die Soldaten befunden haben. Warum sind Sie Soldat geworden? Dornseif: Ich habe mich freiwillig gemeldet, bin also nicht wie andere einfach während des Wehrdiensts hängengeblieben. Sicher, ich wollte nicht ewig Bäcker bleiben, aber auf der anderen Seite war ich nie der Typ, der nur eine Uniform spazierenträgt. Für mich war klar, daß ich meinem Land dienen will. Deshalb habe ich mich ja auch freiwillig zu den Auslandseinsätzen gemeldet. Ich wollte da sein, wo Deutschland mich braucht. Sind Sie nun von Ihrem Volk enttäuscht? Dornseif: Nachdem ich erleben mußte, wie viele Leute auf dem Standpunkt stehen: „Wer zum Bund geht, hat seine Wahl getroffen. — Passiert was, selbst schuld: Berufsrisiko!“, bin ich schon enttäuscht. Die Leute schieben die Verantwortung der Gesellschaft für ihre Soldaten ab: Das wird einfach auf die individuelle Ebene gerückt. Außerdem habe ich erleben müssen, daß viele zivile Freundschaften mit meiner Kriegsversehrtheit plötzlich zu Ende waren. Wenn das aber die Beziehung des Volkes zu seinen Soldaten ist, dann stimmt ganz gewaltig was nicht. Könnte der Volkstrauertag helfen, diese Kluft zu überwinden? Dornseif: Das würde ich mir sehr, sehr wünschen. Aber der Volkstrauertag ist ja selbst vom größten Teil des Volkes vergessen worden. Wenn es gelänge, ihn mit neuem Leben zu erfüllen, dann könnte uns das vielleicht wirklich helfen. Wir wollen ja keine Extrawurst und auch kein Mitleid. Sondern einfach ein bißchen Verständnis und Anerkennung für unsere Situation. Ich würde mir wünschen, daß die Deutschen wieder lernen, sich mit ihren Soldaten zu identifizieren, und daß sie eine Vorstellung davon entwickeln, daß einige von ihnen heute wieder das Unvorstellbare erleben müssen. Nach 63 Jahren gibt es eben plötzlich wieder Kriegsopfer in Deutschland. Das ist es, was wir begreifen müssen.   Frank Dornseif: Der Hauptfeldwebel der Eloka-Truppe (Elektronische Aufklärung) wurde am 7. Juni 2003 in Kabul bei einem Angriff islamischer Kämpfer schwer verwundet. Selbstmordattentäter rammten einen Autobus der Bundeswehr auf dem Weg zum Flughafen. Mit vier Toten und 29 Verwundeten gilt dies bis heute als der schwerste Angriff auf die Bundeswehr in ihrer Geschichte. Frank Dornseif überlebte als Invalide. Der gelernte Bäcker meldete sich 1990 freiwillig zur Bundeswehr, geboren wurde er 1969 bei Marburg Volkstrauertag: 1922 eingeführt, sollte er an die Gefallenen des vor neunzig Jahren zu Ende gegangenen Ersten Weltkriegs erinnern. Wegen der hohen Zahl ziviler Toter im Zweiten Weltkrieg weitete man die Widmung nach 1945 auf alle Opfer von „Krieg und Gewaltherrschaft“ aus. Angesichts steigender Verluste bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr — allein in Afghanistan sind bislang 14 deutsche Soldaten gefallen (weitere 16 auf andere Weise zu Tode gekommen), 89 wurden verwundet — drängt sich eine Rückbesinnung auf das ursprüngliche Gefallenen- gedenken auf. Foto: Anschlag auf eine Bundeswehr-Patrouille in Kabul 2005 (ein deutscher Soldat gefallen), britische Truppen zur Unterstützung herbeigeeilt: „Bei der Bundeswehr ist immer davon die Rede, für den Ernstfall bereit zu sein. Doch das ist nur Rhetorik, tatsächlich wird er tabuisiert … Die Gesellschaft verschließt die Augen vor der Realität, in die sie ihre Soldaten schickt“

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