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ESN-Fraktion, Europa der souveränen Nationen

„Eine Art Dreißigjähriger Krieg“

„Eine Art Dreißigjähriger Krieg“

„Eine Art Dreißigjähriger Krieg“

 

„Eine Art Dreißigjähriger Krieg“

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Herr Raufer, ein offenbar gewöhnlicher – wenn auch tödlicher – Autounfall hat genügt, um in französischen Vorstädten erneut eine Art Bürgerkrieg auszulösen.

Raufer: Der Unfalltod der beiden Jugendlichen ist nicht die Ursache dafür, sondern nur der Anlaß. Die Situation in den Banlieues, den Vorstädten, ist inzwischen so gespannt, daß den gewalttätigen Jugendlichen im Grunde schon der schiefe Blick eines französischen Polizisten als „Rechtfertigung“ ausreicht.

Was ist los mit Frankreich?

Raufer: Das ist exakt die richtige Frage, denn dieses Phänomen ist ein spezifisch französisches.

Wieso das? Denken Sie zum Beispiel an die Rassenkrawalle 1992 in Los Angeles oder …

Raufer: … die schweren Krawalle in London in den frühen achtziger Jahren. Aber diese Ausschreitungen dauerten nur ein oder zwei Jahre, verebbten, flackerten zwar 1985 noch einmal auf, erloschen dann aber ganz – zumindest bis heute. Das einzige Land in Europa, in dem dieses Phänomen nicht wieder verschwunden ist, ist Frankreich.

Seit nunmehr 28 Jahren, nämlich seit 1979, kommt es hierzulande regelmäßig zu solchen Ausschreitungen! Nicht immer haben sie Dimensionen wie 2005, aber es vergeht kein Jahr ohne Krawalle. Und man vergißt, daß alleine 2005 bis zum Beginn der großen Unruhen 23.106 Autos in Brand gesetzt worden waren. Man könnte also zugespitzt formulieren, Frankreich erlebt inzwischen eine Art „Dreißigjährigen Krieg“.

„Seit nunmehr 28 Jahren ignorieren wir die Krise“

Das heißt, es handelt sich mitnichten um den Ausnahmefall, sondern um einen Normalzustand?

Raufer: Auch wenn manche Franzosen das vielleicht nicht wahrhaben wollen, aber so ist es. Sie haben das Phänomen über mehrere Jahre als Autor des Enzyklopädie-Bandes „Urbane Gewalt und Unsicherheit“ beobachtet.

Wie konnte es zu diesem Zustand kommen?

Raufer: Weil sich die französischen Regierungen – und zwar ganz gleichgültig, ob sozialistisch oder konservativ – seit 28 Jahren beharrlich weigern, Konsequenzen zu ziehen. Unglaublich, aber wahr: Nach jedem Aufstand schlief die Debatte wieder ein, kehrte die Regierung schließlich zur Tagesordnung zurück. – Und war folglich völlig unvorbereitet und überrascht, wenn im nächsten Jahr erneut der Aufruhr entbrannte.

Haben Sie in Deutschland nach den Ausschreitungen hierzulande im Oktober 2005 nicht gedacht, die französische Regierung würde bestimmt alles unternehmen, um eine erneute Entgleisung dieses Ausmaßes zu verhindern? Und waren Sie nicht überrascht, daß dem offenbar, wie man nun in Villiers-le-Bel sehen konnte, nicht so war? Das ist es, was ich meine. Regierungen können sich solches Verhalten nur erlauben, wenn sie bei Wahlen nicht dafür bestraft werden.

Die Wähler sind wie kleine Kinder

Warum also lassen die französischen Wähler das zu?

Raufer: Das ist in der Tat die zentrale Frage. Die Wähler sind in dieser Hinsicht wie kleine Kinder: Brechen die Aufstände wieder los, fordern sie lauthals von der Regierung: „Sorgt dafür, das es aufhört! Sofort!“ Verstehen Sie? „Sofort“, nicht „endgültig“. Wie kleine Kinder wollen sie, daß das Problem „weggeht“, sie wollen es nicht wirklich lösen.

Das würde ja Unannehmlichkeiten, Gefahr und Opferbereitschaft erfordern und vielleicht das gute Gewissen strapazieren. Also suchen die Politiker nach schnellen statt nach langfristigen Lösungen. Ist dann das Feuer erstmal gelöscht, ziehen sich die Bürger hinter die Fernseher und die Politiker hinter die Kabinettstische zurück, statt sich um die weiterglostende Glut zu kümmern.

Sie meinen, die Franzosen haben kein republikanisches Verantwortungsgefühl mehr für ihr Gemeinwesen, sondern reagieren nur noch auf unmittelbare Bedrohungen?

Raufer: Reden wir doch mal Klartext: Es ist doch nicht so, daß wir nicht die Macht hätten, das Problem zu lösen. Nur um das einmal zu verdeutlichen: Wenn beim nächsten Mal nur einige tausend Bürger in Rage vor das Präsidentenpalais ziehen und dem Staatspräsidenten unmißverständlich klarmachen, daß sie sich das nicht länger bieten lassen und bei seinem erneuten Versagen den Élysée-Palast, das Hôtel Matignon und die Nationalversammlung niederbrennen – ich sage Ihnen, das Probleme wäre in Kürze gelöst!

Ebenso, wenn alle Franzosen, die eine Jagdwaffe besitzen, das sind etwa zwei Millionen, beim nächsten Mal losziehen und die Sache in Wildwest-Manier erledigen. – Ich schlage das nicht vor, ich will nur deutlich machen, wie die eigentlichen Machtverhältnisse sind.

Die französische Gesellschaft läßt sich also auf der Nase herumtanzen?

Raufer: Offenbar.

Vertrauen in den Front National ist geschwunden

Auch in Holland hat es – von den deutschen Medien überwiegend beschwiegen – dieser Tage Krawalle gegeben, bei denen laut niederländischen Medienberichten junge Muslime gar öffentlich forderten, Juden zu vergasen. Der holländische Schriftsteller Leon de Winter machte für dieses Gewährenlassen unlängst unsere Unfähigkeit zu Diskriminieren verantwortlich, gespeist aus der Angst, als intolerant zu erscheinen. Doch der Multikulturalismus, so de Winter, führe zum Ende aller Regelen.

Raufer: In der Vergangenheit haben viele Bürger aus Protest gegen die Untätigkeit der Regierung bei Wahlen ihre Stimme Le Pen und seinem Front National gegeben. Aber auch das Vertrauen in den Front National ist geschwunden.

Warum?

Raufer: Le Pen ist alt geworden, und nun ist da dieser junge, dynamische Nicolas Sarkozy, der emphatisch verspricht, die Probleme zu anzupacken. Die Leute sagen sich: „Klingt vielversprechend, geben wir ihm eine Chance.“

Wird er denn das Problem lösen?

Raufer: Das kann ich nicht vorhersagen.

„Die Jugendlichen in Vorstädten lachen sich über uns kaputt“

Bereits 2005 hat Sarkozy – damals noch Innenminster – vollmundig versprochen, das Problem „auszukärchern“. Nun ist er Präsident, und es gibt wieder Straßenschlachten.

Raufer: Man muß bedenken, daß man für die Lösung dieses Problems in der Lage eines Generals sein muß. Will sagen, ein General braucht viele Bataillone – die Polizei alleine reicht da nicht. Man braucht dazu auch die Unterstützung der Medien, der gesellschaftlichen Gruppen und auch des sozialen Apparates, denn natürlich ist soziale Prävention neben der polizeilichen Repression ein wichtiges Glied in der Kette.

Also ist der von Sarkozy inzwischen angekündigte „Marschall-Plan“ für die Vorstädte die Lösung des Problems?

Raufer: Ohne Repression ist Prävention lächerlich: Die Jugendlichen in den Vorstädten lachen sich darüber kaputt! Wenn man leichtes Geld mit Drogen verdient, sind Programme für ehrliche, aber harte und niedrig bezahlte Arbeit unattraktiv.

Vor Jahren stellten mir Polizisten einen jungen Algerier in der Resozialisierung vor, dem man Arbeit anbot. Entlohnung: 500 Euro. Er entgegnete: „Pro Tag?“ – „Nein, pro Monat!“ Sie können sich ausmalen, wie er sich entschieden hat. 

Mythos von den „Verdammten dieser Erde“

Für die Linke sind für die bürgerkriegsartigen Zustände soziale Ursachen verantwortlich, für die Rechte Einwanderung und der Multikulturalismus. Staatspräsident Sarkozy wiederum hält das ganze lediglich für eine Frage der Kriminalität.

Raufer: Auch wenn das immer wieder mit Nachdruck behauptet wird, aber diese Aufstände haben ihre Ursache nicht in der sozialen Lage, in der sich die Vorstädte befinden! Man muß einmal mit dem Mythos von den Vorstadt-Bewohnern als den „Verdammten dieser Erde“ Schluß machen.

Ich will die prekäre Lage vieler dieser Menschen gar nicht beschönigen, aber die wirklich armen Menschen in Frankreich leben überwiegend gar nicht dort, sondern auf dem Lande: Es sind die Landarbeiter in den Kleinstädten und Dörfern.

Diese kommen übrigens nicht aus dem islamischen Maghreb wie die Aufständischen in den Vorstädten, sondern sind ganz überwiegend Europäer, etwa aus Spanien, Portugal oder Polen. Verglichen mit ihnen  geht es den Bewohnern der Vorstädte noch gut. Dennoch zünden die Landarbeiter keine Autos an, brennen keine Schulen nieder, plündern und prügeln nicht und schießen auch nicht auf Polizisten.

„Linke Journalisten sind Teil des Problems“

Wie kommt es dann, daß in der medialen Debatte fast ausschließlich die soziale Frage als Schlüssel für das Problem diskutiert wird?

Raufer: Weil es in Frankreich „Einheitsmedien“ gibt, in dem Sinne, daß alle mehr oder weniger das gleiche schreiben. Kein Wunder: Umfragen belegen, die politische Vielfalt, die im Volk herrscht, gibt es unter den Journalisten nicht. Diese sind in ihrem politischen Selbstverständnis viel weiter links positioniert als das Volk.

Das Problem kann nicht gelöst werden, weil politisch korrekte Medien das Bild verzerren?

Raufer: Das ist in der Tat ein Teil des Problems. Aber beteiligt an dieser Irreführung sind nicht nur die Journalisten, sondern auch zahlreiche der Sozialwissenschaftler, die lieber Politik treiben, als Wissenschaft zu machen.

Was die Frage der Armut angeht, so sieht die Lage in den Vorstädten so aus: Tatsächlich existiert dort eine Art Untergrund-Ökonomie, die aus dem Handel mit illegalen Gütern besteht – vornehmlich Drogen, die dort in erheblichen Mengen kursieren. Damit erwirtschaften die Beteiligten eine Menge Geld!

Dazu kommt die staatliche Unterstützung für soziale Schwache, die zusätzlich erhebliche Geldbeträge in die Vorstädte leitet. Dazu kommen Vergünstigungen, denn sozial Schwache zahlen für vieles keine Gebühren, sondern bekommen Leistungen umsonst, für die andere Bürger zahlen müssen.  

Französisches Staatsgebiet mutiert zu rechtsfreien Räumen

Was ist dann die eigentliche Ursache?

Raufer: Der wahre Grund ist ganz einfach, daß der französische Staat es zuläßt! Studiert man die Polizeiberichte, stellt man fest, daß es immer die gleichen fünfzig bis sechzig Wohngebiete sind, die dort in diesem Zusammenhang auftauchen.

Und der Grund dafür ist, daß man zugelassen hat, daß sie von französischem Staatsgebiet zu rechtsfreien Räumen mutiert sind: Man hat Straßengangs die Kontrolle übernehmen lassen. Man sieht dort eher eine fliegende Untertasse am Himmel als ein Polizeiauto in den Straßen.

Wenn sich aber doch ausnahmsweise die Polizei einmal blicken läßt, dann nehmen die Jugendlichen die Beamten schon gar nicht mehr als Polizisten wahr, sondern als so etwas wie eine rivalisierende Gang.Und was macht man, wenn eine rivalisierende Gang im eigenen Revier auftaucht? Man verpaßt ihr eine Lektion und schmeißt sie raus!

Dann hätte Sarkozy recht mit seiner Interpretation des Problems als eines kriminellen?

Raufer: Es ist schon ein großer Schritt, daß er sich traut, nicht die Leier von den sozialen Ursachen nachzubeten, sondern den eigentlichen Grund benennt: der Verfall der Staatsautorität, wofür ihm der politisch korrekte Wind heftig ins Gesicht bläst.

Und dennoch befürchte ich, daß die nächsten Ausschreitungen nur eine Frage der Zeit sind. Denn die Politik neigt dazu, die Dinge lediglich vor den Wahlen zu beruhigen: keine Aufstände und kein Terrorismus vor den Wahlen! Dafür zahlt man sogar Geld.

„Es spielt keine Rolle, daß diese Jugendlichen aus Afrika kommen“

Sie sagen, die französische Regierung zahlt Schutzgeld?

Raufer: Ja, so hat man es etwa im Fall korsischer Terroristen gemacht: Geld gegen Ruhe vor Bomben vor der Wahl.

Welche Rolle spielen Einwanderung und Multikulturalismus für das Problem?

Raufer: Dieser Faktor spielt natürlich eine Rolle, aber nicht in der Art, wie es etwa der Front National nahelegt: Wenn man von der Gewalt als einem Problem der Einwanderung spricht, dann denken viele Leute dabei an den Faktor Rasse.

Das ist aber Unsinn. Tatsächlich spielt es keine Rolle, daß diese Jugendlichen aus Afrika kommen. Die schlimmste Welle der Kriminalität erlebten die USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts – durch irische Immigranten. Die Iren sind Europäer, sie sind Christen, sie sind weiß, und sie sind englisch geprägt – und trotzdem waren sie ein Riesenproblem.

„Auch in Deutschland gibt es Anzeichen für eine Krise“

Liegt die Tatsache, daß die jugendlichen Kriminellen die französische Gesellschaft nicht akzeptieren, nicht auch in ihrem islamisch-arabischen Selbstbewußtsein und der voraufklärerischen Prägung ihrer Kultur begründet?

Raufer: Nein, es ist eher die Tatsache an sich, daß sie Migranten sind. Wer wandert aus? Vor allem junge Männer! Das heißt, Einwanderer weisen immer einen Jungmänner-Überschuß auf, die zudem im Einwanderungsland naturgemäß zunächst am unteren Ende der gesellschaftlichen Hierarchie stehen. Diese zahlreichen unzufriedenen jungen Männer darf man nicht unterschätzen.

In Deutschland gibt es ebenfalls viele muslimische Einwanderer – aber bislang keine Aufstände. Warum?

Raufer: Das stimmt, aber unterschätzen Sie nicht, daß es auch Ihrem Land Anzeichen für die Krise gibt, die in Frankreich schon zu solchen Explosionen geführt hat. Deutschland hat es glücklicherweise aber bisher nicht zugelassen, daß ganze Stadtteile der staatlichen Kontrolle entgleiten.

Aber auch Sie haben das Problem, daß sich die Türken bei Ihnen nicht als Deutsche, sondern höchstens als deutsche Türken fühlen. Es wäre besser, die Deutschen und ihre Politiker würden sich in dieser Frage nichts vormachen.

Xavier Raufer ist Leiter des Instituts für Kriminologie an der Universität Paris II und Dozent an Universitäten in Großbritannien und China. Seine publizistische Karriere begann der 1946 geborene „einflußreiche Kriminologe“ (Newsweek) als Journalist bei L‘Express, dem ältesten und auflagenstärksten französischen Nachrichtenmagazin.

Immer wieder tritt er in Rundfunk und Fernsehen auf. Zu den Themen Terrorismus, soziale Gewalt, Kriminalität und Islamismus veröffentlichte er zahlreiche Bücher: etwa den Studienband „Violences et insécurité urbaines“ („Urbane Gewalt und Unsicherheit“) der Presses Universitaires de France, den er von 1998 bis 2003 betreute.

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