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„Heimat ist, wo du bespitzelt wirst“

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Herr Klonovsky, in Ihrem neuen Roman „Land der Wunder“, der zur Frankfurter Buchmesse erscheint, schildern Sie unverkennbar autobiographisch inspiriert die Erlebnisse des Johannes Schönbach in den Jahren vor und nach der Wende 1989. Es sind die desillusionierende Erfahrungen mit dem hehren Beruf des Journalisten. Ist der Journalist eine publizistische Prostituierte? Klonovsky: Prostitution gibt es in allen Branchen. Ob und inwieweit jemand gegen sein Empfinden oder seine Überzeugung handelt, muß er mit sich selbst ausmachen. Schönbach wendet sich vom politischen Journalismus aus Aversion gegen die dort praktizierte Meinungsmacherei ab und landet, gewissermaßen aus Reinlichkeitsbedürfnis, bei einem Boulevard-Magazin. Das mag man naiv finden, für den Autor ist es vor allem kurios. Dort kompromittiert man ihn mit immer mehr Geld, was für einen ehemaligen Ostberliner Hinterhofbewohner eine starke Versuchung darstellt. Schönbachs Perspektive ist insofern reizvoll, als er statt der erhofften Freiheit zunächst deren neuerliche Einschränkung und danach die skrupellose Verramschung aller ihm heiligen Dinge kennenlernt. Schönbach erlebt in Ihrem Roman, wie das geistige Niveau verkommt, wie gebildete Menschen in verblödeten Magazinen verschlissen werden, er erlebt den subtilen Zwang der „Political Correctness“. Er reagiert darauf aber nicht mit Rebellion, sondern indem er seine Weinkenntnisse verfeinert. Die einzige Antwort auf diese irrsinnigen Zeiten: Humor und Lebensstil? Klonovsky: Humor und Lebensstil sind immer richtige Antworten. Schönbach ist viel zu elitär, um zu rebellieren. Als er im Oktober 1989 von DDR-Vopos zusammengeprügelt wird, schämt er sich, weil man nun glauben könnte, daß er etwas mit diesen Demonstranten zu tun habe. Er glaubt an das Pathos der Distanz, auch wenn er es oft nur mit Klugscheißerei aufrechterhalten kann. Er ist kein Rebell, aber jemand, der nicht verfügbar ist für politische oder zwischenmenschliche Schurkereien, weder hüben noch drüben. Die Frage des Romans lautet, wofür ein solche Gestalt verfügbar ist. Die Antwort fällt am Ende sehr trivial aus, aber ich habe keine andere. „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz und eine klingende Schelle“, heißt es im Korintherbrief. Übrigens: Jemand, der dreißig Jahre irgendwelche Plörre saufen mußte und nun seine Weinkenntnisse verfeinert, kann nicht auf dem völlig falschen Weg sein. Als Labormaus der Wiedervereinigung verhält sich Schönbach mindestens vorbildlich. „Ich sehe als deutscher Autor mit Grausen mein Publikum schwinden“ Ein Freund Schönbachs fällt der „Political Correctness“ zum Opfer und verliert seinen Job. Schönbach hilft ihm nicht. Handelt so ein integrer Mensch? Klonovsky: Das liegt erstens im Wesen der Sache und hat zweitens mit besagtem Pathos der Distanz zu tun. Er will sich heraushalten im Streit der Meinungen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß ich zwar einen Deutschland-Roman geschrieben habe, in dessen Mitte die Mauer fällt, aber kein primär politisches Buch. Weder Schönbach noch sein Erfinder treten mit dem Vorsatz an, Deutschland zu retten. Ich glaube und hoffe allerdings, mit diesem Buch ein bißchen Rettungsdienst an der deutschen Sprache geleistet zu haben. Das ist auch ein patriotischer Akt. Schönbach und einer seiner Freunde sinnieren an einer Stelle darüber, ob der Untergang der europäischen und deutschen Kultur nicht irreversibel ist. Kommt es jetzt nur noch darauf an, bei Laune zu bleiben? Klonovsky: Für mich oder für Schönbach? Jetzt mal für Sie. Klonovsky: Untergang ist ein großes Wort. Es geht doch immer weiter. Nicht Entwicklung, sondern Unaufhörlichkeit werde das Menschheitsgefühl des 21. Jahrhunderts sein, hat Gottfried Benn prophezeit. Ich bin nur pessimistisch, was den längerfristigen Erhalt der deutschen Kultur und Sprache angeht. Ich bin ein deutscher Autor und sehe mit Grausen mein Publikum schwinden. Für einen Großteil der bekanntlich immer weniger werdenden Nachwachsenden dürfte nach dem, was man so zu Ohren bekommt, die Lektüre bereits am deutschen Satzbau oder an der Verwendung von Metaphern scheitern. Wie klingt da all das marketingmäßige „Du bist Deutschland“-Geschrei in Ihren Ohren? Klonovsky: Hilflos. Aber besser als nichts. Ich fand es nur ein bißchen gaga, daß ein paar der Fernsehspot-Protagonisten vor dem Berliner Holocaust-Denkmal stehen, das ist ungefähr so einleuchtend, als wenn ich ein Partnersuche-Video vor dem Friedhof aufnehme. Was haben Sie sich 1989/90 vom neuen Deutschland und seiner Gesellschaft erwartet? Klonovsky: Ich habe, offen gestanden, gar nichts erwartet, die Zeit war viel zu hektisch für Erwartungen, speziell für einen Grottenolm wie mich, der sich erst mal ans Licht gewöhnen mußte. Außerdem war zunächst die DDR zu beerdigen. „Diese Republik ist mitunter auf sanft-perverse Art DDR-nah“ Arnulf Baring sprach davon, die Bundesrepublik sei in Gefahr, sich in eine „DDR light“ zu verwandeln. Haben Sie dieses Gefühl auch schon gehabt? Klonovsky: Ja, aber insofern ich hier jederzeit raus kann: mit starker Betonung auf „light“. Weit vor Baring hat einer meiner Ostberliner Bekannten gesagt: „Die da drüben reden immer davon, wenn der Osten das West-Niveau erreicht. Die sollten sich besser fragen, wann sie unser Level erreicht haben.“ Das war erstaunlich hellsichtig. Rot-Rot-Grün hat heute theoretisch die absolute Mehrheit, es sitzt der erste Stasi-Mitarbeiter im Bundestag – also zumindest der erste, der es zugibt -, und Herr Gysi sagt im Spiegel, alle Demokraten müßten gemeinsam gegen Rechts kämpfen. Diese Republik ist mitunter auf eine sanft perverse Weise DDR-nah. Etwa wenn ein Bundestagspräsident bei einer Kranzniederlegung im Berliner Bendlerblock zum Gedenken an den 20. Juli 1944 mehr Engagement gegen Rechtsextremismus fordert, während ihn die Polizei vor randalierenden Linksextremisten schützt. Oder ein Ministerpräsident den Vertretern der Sinti und Roma versichert – kein Wort hier über den Begriff, „Raider heißt jetzt Twix“ und basta -, daß Angehörige ihrer Volksgruppe in Polizeiberichten nicht mehr als solche benannt werden dürfen, obwohl oder eben weil Angehörige dieser Volksgruppe bis dato durchaus gehäuft in den Polizeiberichten auftauchten. Oder wenn Themen wie der EU-Beitritt der Türkei, Einwanderung, die negative Bevölkerungsentwicklung, das Bildungsfiasko, das Abdriften ganzer Stadtteile in die Desintegration im Wahlkampf nicht vorkommen. Diese Art von Wirklichkeitszurechtbiegerei ähnelt der früher im Osten praktizierten durchaus. „Jeden Tag schwarze Messen um den Mann aus Braunau“ Üblicherweise gelten die Medien als Garanten und Spiegel der offenen Gesellschaft. Falsch? Klonovsky: So funktioniert Öffentlichkeit allenfalls in den Schriften von Herrn Habermas, der in Wirklichkeit bezeichnenderweise ein wandelndes Dementi seiner Theorie ist, eine Art Diskurs-Jago. Medien sind auch nur Wirtschaftsunternehmen, die Produkte verkaufen und von Leuten gemacht werden, die sich gern profilieren wollen und zugleich dem Zeitgeist gehorchen. Die Selbstdarstellung der Bundesrepublik via Medien konnte ich in der DDR gut studieren. Es war das Land, an dessen Tor warnend der kummervolle Herr Bednarz stand. Ich wollte dort anfangs nicht einwandern, ich wollte nur, daß die DDR verschwindet. Nun sind Sie „drin“. Was halten Sie denn für die geheimen gesellschaftlichen „Grundgesetze“ der bundesdeutschen Gesellschaft unterhalb dieser Selbstdarstellung? Klonovsky: Weiß ich nicht. Ich meine, ein völlig verheerender Grundzug ist die sozusagen latente Allpräsenz des Menschen aus Braunau. Dessen letzter Wunsch war bekanntlich, die Deutschen mögen den Volkstod sterben. Unsere Gesellschaft ist, Spaßrhetorik hin, Jugendwahn her, zutiefst nekrophil. Alle Wege führen irgendwie in die braune Vergangenheit, sie ist der Subtext fast aller gesellschaftspolitischen Debatten. Dabei kann leider nichts Zukunftsweisendes herauskommen. Wer jeden Tag schwarze Messen veranstaltet, auf denen der Teufel zwar nicht angebetet, sondern verflucht wird, bleibt doch trotzdem in seinem Bann, oder? Ich würde das gern abschaffen, aber ich weiß nicht, wie. Es gibt doch so viel Eindrucksvoll-Großartiges in der deutschen Geschichte, auf das man sich berufen könnte. Wir waren mal das Land des Geistes, das Land der Universitäten! Vor meinem Bücherregal, in dem allein zwei laufende Meter Hitler-Biographien stehen und ein laufender Meter über Auschwitz, sage ich mir oft: Warum schmeißt du das alles nicht einfach weg? Es wird dir danach besser gehen. Aber ich hab’s bis heute nicht getan. Mich wundert übrigens, wie leichtfertig viele Öffentlichkeitsarbeiter mit dem Begriff Auschwitz herumfuchteln. Mir ist spätestens bei der Lektüre der Erlebnisberichte von dort klargeworden, daß sich der Begriff im Kontext Bundesrepublik nicht sinnvoll und erst recht nicht moralisch verwenden läßt. Diese Absurdität versuche ich in einem Kapitel, welches „Château Auschwitz“ heißt, darzustellen. Ich gebe denen recht, die zu den Mordstätten des 20. Jahrhunderts nur ein theologisches Verhältnis für möglich halten. Sich hinstellen und „Nie wieder!“ rufen, das ist, als riefe man: „Ich will, daß die Erde sich weiterdreht!“ Gleichwohl wird in der Öffentlichkeit fortwährend mit Totschlagargumenten gearbeitet, die meist einen Bezug zur NS-Vergangenheit herstellen. „Populist ist immer der andere, und sollte das nicht reichen, greift man tief in den Sack der ‚Political Correctness‘. Nationalist, Ausländerfeind, Rechtspopulist heißt dann der Gegner, und es ist unerheblich, ob das irgendeinen realen Bezug hat“, kritisiert (ausgerechnet) die ehemalige FDJ-Zeitung „Junge Welt“. Klonovsky: Der Redakteur hat den Antisemiten vergessen, wofür er hoffentlich schwer gerüffelt worden ist. Man sollte die verbindlichen Formulierungen am besten in den Computersystemen fixieren. Zum Beispiel sollten deutsche Verbrechen nie mehr ohne das Attribut „beispiellos“ auftauchen, was sie unter anderem von jenen Maos, Stalins oder Pol Pots unterscheidet, die – man sieht’s schon an ihrer Häufung – nicht beispiellos sein können. Wahlweise sind noch „unvergleichlich“ und „einzigartig“ zugelassen. Das ist übrigens das Angebervokabular der Wilhelminischen Ära, ich finde es wunderbar, daß Deutschland sowohl seinen Platz an der Sonne als auch seinen Platz im Orkus mit identischen Begriffen beansprucht. Wobei „deutsche Verbrechen“ beinahe ein Pleonasmus ist. Ich hielt unlängst ein Buch namens „Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert“ in der Hand, da waren von vierzig Beispielen 24 deutsche. Wohl unter solchen Eindrücken schlägt in meinem Roman jene sich vergeblich gegen die PC-Gaunerei zur Wehr setzende Person vor, man möge in der Schule das Fach Geschichte doch in „Deutsche Verbrechenskunde“ umbenennen. „Verfassungsschutz? Für mich als Ostler hat das was Anheimelndes“ Die „Zeit“ ging in einem Aufsatz von Jens Jessen sogar noch weiter – freilich ohne Konsequenzen aus den Erkenntnissen ihres Autors zu ziehen. Da heißt es: „Heilig ist der Status Quo der Bundesrepublik; wer an ihm rüttelt, gilt schon als totalitär … Als Faschist gilt heutzutage jemand schneller, als er blinzeln kann … Der siegreiche Liberalismus hat die Mentalität eines Staatsschutzes angenommen.“ Klonovsky: Da hat er wohl recht, der Herr Jessen. Wird Ihre Zeitung eigentlich immer noch vom NRW-Verfassungsschutz überwacht? Also ich fände es eine frivole Vorstellung, daß der Verfassungsschutz jetzt mitliest. Für mich als alten Ostler hat das was Anheimelndes: Heimat ist, wo du bespitzelt wirst. Wenn es das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nicht gäbe! Das hat im April mit seinem Urteil in der Causa JUNGE FREIHEIT den ehemaligen SPD-Landesfürsten von NRW daran erinnert, daß wir in einem Rechtsstaat leben. Klonovsky: Ein Verfassungsgericht, das die Stasi zurückpfiff, gab es in der DDR nicht. Punkt für die Bundesrepublik! Warum heißt Ihr Buch eigentlich „Land der Wunder“? Ein Sarkasmus der enttäuschten Erwartungen kann es nicht sein, nachdem Sie vorhin klargestellt haben, daß Sie solche nie gehegt haben. Klonovsky: „Land der Wunder“ nannten die Griechen in der Spätantike das alte Ägypten, ein Land, das verfiel, dessen riesige Monumente aber noch von vergangenem Glanz zeugten, wenngleich niemand mehr die Religion verstand, um deretwillen sie einst errichtet worden waren. Unterscheidet sich eigentlich die Zunft der Autoren von der der Journalisten? Ist der autonome Schriftsteller eine Fiktion? Klonovsky: Nein, aber eine Seltenheit. Heutzutage herrscht ein gewisser Demiurgenwahn, alle Welt schreibt Bücher. Wer Verkaufszahlen und Kritiker im Kopf hat – ich meine, solange er noch schreibt -, ist schon korrumpiert. Von Schopenhauer stammt die schöne Idee, daß man mit Büchern kein Geld verdienen dürfen sollte. Dann würde der ganze Schund automatisch verschwinden, nur die Verrückten und die Genialen blieben noch übrig. Doch dann würden die Dummen noch mehr Fernsehen schauen, und deshalb ist es gut, daß ihnen der Markt wenigstens eine Grundversorgung an gedruckten Buchstaben bereitstellt. Und wir anderen müssen uns halt auf die Suche nach den wahrhaft unabhängigen Autoren begeben. Michael Klonovsky Der Schriftsteller und Journalist spiegelt in seinem Roman „Land der Wunder“ Realität und moralischen Anspruch von Journalismus und Öffentlichkeit im wiedervereinigten Deutschland mit ernüchternder Bilanz. Geboren 1962 in Schlema im Erzgebirge, arbeitete er zunächst als Maurer, Gabelstaplerfahrer und Sportplatzwart, bevor er 1990 bei der ehemaligen Blockpartei- Tageszeitung Der Morgen unterkam und zu einem der profiliertesten investigativen Journalisten der Wendezeit avancierte. Für die Aufdeckung von Menschenrechtsverbrechen durch DDR-Justiz und Stasi erhielt er den Wächterpreis der Tagespresse. 1993 wechselte er zum Nachrichtenmagazin Focus, wo er inzwischen als Chef vom Dienst tätig ist. Wichtigste Veröffentlichungen: „Land der Wunder (Kein & Aber, 2005). „Welcher Wein zu welcher Frau?“ (Hallwag, 2001), „Der Ramses-Code“ (Rütten & Loening, 2001), „Stalins Lager in Deutschland 1945-1950“ (Ullstein, 1991) weitere Interview-Partner der JF

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