Herr Professor Scholl-Latour, in Großbritannien ermitteln die Behörden auf Hochtouren. Die ersten Ergebnisse lassen auf islamische Terroristen als Verantwortliche für die Attentate vom Donnerstag vergangener Woche schließen. Scholl-Latour: Ich würde auf ein pakistanisches Umfeld tippen. Die Pakistaner sind in England zahlreich und gut organisiert. Es gibt unter ihnen eine große Zahl von religiösen Eiferern, die der sogenannten Deobandi-Schule angehören, einer bereits 1851 als Reaktion auf die britische Kolonialherrschaft gegründeten islamischen Erweckungsbewegung, die sich in den letzten Jahrzehnten stark politisiert hat und aus deren Seminaren teilweise auch die Taliban hervorgegangen sind. Dann hat al-Qaida damit nichts zu tun? Scholl-Latour: Osama bin Laden ist angesichts des Verfolgungsdrucks, der auf ihm lastet, kaum noch in der Lage so etwas zu organisieren. Vermutlich sitzt er in einer Höhle an der pakistanischen Grenze und ist voll und ganz damit beschäftigt, sich seinen Verfolgern zu entziehen. „Feste Strukturen in den britischen Großstädten“ Nach einer Meldung des „Independent on Sunday“ halten es die Ermittler für möglich, daß doch al-Qaida mittels einer Art Söldner-Truppe für die Anschläge verantwortlich ist. Letzte Meldungen des Senders Sky News zufolge handelt es sich bei den Attentätern jedoch wohl um britische Staatsbürger. Scholl-Latour: Die Engländer haben während der Zeit des Empire ihre Kolonien bekanntlich nach dem Prinzip des „indirect rule“, also der indirekten Herrschaftsausübung, regiert. Das heißt, sie haben im Gegensatz zu anderen Kolonialmächten die bestehenden Strukturen im Land nicht zerschlagen, sondern lediglich Krone und Kolonialverwaltung an deren Spitze gesetzt. Nach diesem Prinzip der Selbstverwaltung sind sie später auch mit ihren Einwanderern verfahren, was zur Folge hat, daß die Briten wenig Überblick haben über das, was in ihren Einwanderergesellschaften vor sich geht. Also ist die Lage anders als bei den Attentaten vom 11. September 2001 in den USA, als die Täter eher eine Art „Touristen“ waren. Scholl-Latour: Zumindest haben sie in den britischen Großstädten mittlerweile eine fest verwurzelte Struktur, auf die sie zurückgreifen können. Die islamische Präsenz ist so bedeutend, daß sich dort genug Leute finden ließen, die zu Attentaten bereit sind. Laut Times gibt es dreitausend „terrorbereite“ Muslime mit britischer Staatsbürgerschaft, die bereits Aufenthalte in islamischen Trainingslagern durchlaufen haben. In Wirklichkeit sind es wohl nur ein paar hundert. Einige davon dürften allerdings schon im Irak im Einsatz gewesen sein. Eine alte Faustregel besagt: Drei Tage Kampfeinsatz sind drei Monate Ausbildung wert. Großbritannien hat also ein besonderes Problem mit „autochthonen Terroristen“? Scholl-Latour: Das Problem hat nicht nur Großbritannien: Erinnern Sie sich, als vor zehn Jahren die algerische Militärdiktatur extrem blutig gegen die Islamische Heilsfront FIS vorgegangen ist, nachdem diese die Wahlen gewonnen hatte. Damals gab es in Frankreich – weil Paris die Militärs unterstützte – eine ganze Serie von Attentaten, die natürlich auch aus der Deckung der nordafrikanischen Einwanderergesellschaft in Frankreich heraus stattfinden konnten. Wie ist die Lage in Deutschland? Nach Ansicht des ehemaligen FAZ-Journalisten Udo Ulfkotte rüsten auch in Deutschland „radikale Islamisten“ zum „Krieg in unseren Städten“. Scholl-Latour: Auszuschließen ist das nicht, aber konkrete Hinweise dafür liegen nicht vor, sonst hätten unsere Sicherheitsbehörden wohl schon eingegriffen. Wie bewerten Sie unter diesem Gesichtspunkt die Einwanderung von Muslimen nach Deutschland? War sie in dieser Hinsicht ein entscheidender Fehler? Scholl-Latour: Der massiven Einwanderung vor allem türkischer Gastarbeiter lag in den sechziger Jahren die Raffgier deutscher Unternehmer zugrunde, die in Istanbul und Ankara regelrechte Anwerbestellen unterhielten. Sie legten Wert darauf, möglichst schlichte Leute vom Lande zu rekrutieren, die gut arbeiten, aber keine Probleme bereiten würden. Sie vergaßen dabei, daß auch diese anatolischen Türken über eine eigene, alte Kultur, über ihre eigenen Ehrbegriffe und über eine tiefverwurzelte Religion verfügten. „Aufstand gegen die militärische Beherrschung“ Ist das Attentat von London Folge des Irak-Engagements der Briten oder hat es stattgefunden, weil die Attentäter „unsere Freiheit und den Pluralismus“ hassen, wie viele Journalisten und Politiker derzeit emphatisch feststellen? Scholl-Latour: Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat es stattgefunden, weil sich Großbritannien beim Angriff auf den Irak – geradezu bedingungslos – auf die Seite der USA gestellt hat. Christoph Keese zum Beispiel, der Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, meint dagegen, die Anschläge seien „ein Angriff auf unsere Freiheit, unsere Bücher, Filme, Gedanken, Gedichte und Musik, auf unsere Zivilisation“. Ob ein Land am Irak-Krieg teilgenommen habe, spiele dagegen „keine Rolle“. Scholl-Latour: Den islamischen Revolutionären – wie wir sie nennen wollen – geht es nicht darum, welchen Lebensstil und welche Sitten die Europäer oder Amerikaner praktizieren. Sie wehren sich jedoch heftigst dagegen, daß diese Gesellschaftsformen, die – ihrer Ansicht nach – mit den koranischen Vorschriften nicht vereinbar sind, in ihre eigenen Länder importiert werden. Gewiß ist der Islam, in seiner ursprünglichen Berufung darauf aus, die gesamte Menschheit zur Lehre Mohammeds zu bekehren. Darin unterscheidet er sich vom Judentum, dem er eng verwandt ist, das aber eine Selbstabgrenzung praktiziert. Das Christentum hingegen war mit der gleichen globalen Bekehrungsmission angetreten. – Vor allem aber richtet sich der Aufstand weiter islamistischer Kreise gegen den Westen auf die militärische Beherrschung, die in zahlreichen Ländern ausgeübt wird und der sich „landeseigene“ Potentaten und Politiker – sogenannte „Feinde Gottes“ – zur Verfügung gestellt haben. Wenn der Anschlag eine Vergeltung für Großbritanniens Irak-Engagement war, warum kommt er dann erst jetzt, nach über zwei Jahren? Scholl-Latour: Diese Terror-Gruppen sind eben nicht allmächtig – auch sie kochen nur mit Wasser. Nach dem 11. September haben viele Experten angenommen, es würde nun eine ganze Serie von Attentaten in den USA stattfinden, doch bislang ist nichts passiert. „Giftgas, Bakterien und schmutzige Bomben'“ Das heißt, mit diesen Attentaten ist die Kapazität der Terroristen bereits ausgeschöpft? Sind also vielleicht weitere, aber keine schlimmeren Attentate zu erwarten? Scholl-Latour: Im Gegenteil, über kurz oder lang wird es islamistischen Terroristen leider wohl gelingen, auch unkonventionelle Mittel einzusetzen, wie etwa Giftgas, Bakterien oder „schmutzige Bomben“, also Sprengsätze, die bei der Explosion radioaktives Material verstreuen. Wir machen immer wieder den Fehler nur auf kurze Fristen fixiert zu sein. Diese Leute hingegen haben sehr viel Zeit. Wird Großbritannien seine Politik ändern? Scholl-Latour: Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Engländer neigen in solcher Lage dazu, zusammenzurücken und die Situation eisern durchzustehen. Auch wir haben einmal den Fehler gemacht, zu glauben, Großbritannien mit Bomben niederzwingen zu können und mußten feststellen, daß die Engländer sich davon nicht beeindrucken ließen. Spanien hat nach den Anschlägen in Madrid 2004 seine Truppen zurückgezogen. Scholl-Latour: Oppositionsführer Zapatero hatte bereits vor dem 11. März, dem Tag des Anschlags, angekündigt, im Falle eines Wahlsieges der sozialistischen Partei die spanischen Truppen heimzuholen. Das Attentat hat diese Absicht allenfalls beschleunigt. Immerhin lag der damalige Regierungschef Aznar vor der Attacke laut Umfragen in der Wählergunst leicht vorn, hat dann aber in den wenigen Tagen nach dem Anschlag die entscheidenden Prozente verloren. Scholl-Latour: Was vor allem auf sein irreführendes Krisenmanagement zurückzuführen war. Er hatte versucht, daß Attentat der baskischen Organisation ETA in die Schuhe zu schieben. Damit hat er das Vertrauen der Wählern eingebüßt. Ist das „Schwert des Islam“ – der Terror der Islamisten – also letztlich doch nur eine stumpfe Waffe? Scholl-Latour: Der Ausdruck „Schwert des Islam“ bezog sich ursprünglich auf die Waffe, die der Freitagsprediger bei seiner Khutba in der Faust hielt. Die Islamische Revolution Khomeinis und insbesondere der Ajatollah Montazeri hat dieses altertümliche Schwert des Islam bei seinen Freitagspredigten durch die Kalaschnikow ersetzt. Man sollte sich jedoch davor hüten, das Töten von unbeteiligten Zivilisten als eine gottgefällige Tat hinzustellen. Auch der Islam wendet sich gegen solch wahllose Massaker. Mit solchen Anschlägen können sich die allermeisten Muslime nicht identifizieren. Der Islam-Wissenschaftler Hans-Peter Raddatz sieht das anders. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sprach er davon, es sei ein „weitverbreiteter Irrtum, zu glauben, daß man den gewalttätigen Islamismus vom eigentlichen Islam trennen könne“, zudem bezeichnete er den Islam als eine „Ideologie“. Scholl-Latour: Ich will mich da auf keinen Disput einlassen. Immerhin hat Herr Raddatz die Mehrzahl der deutschen Orientalisten darauf verwiesen, daß sich die islamische Umma nicht den westlichen Gesellschaftsvorstellungen anzupassen bereit ist, sondern auf der Beibehaltung ihrer eigenen Werte besteht. Der Islam ist zweifellos eine kämpferische Religion. Denn der Prophet Mohammed war im Gegensatz zu Jesus Christus nicht nur Verkünder einer Offenbarung, sondern Gesetzgeber, Staatsgründer und Krieger. Da jeder fromme Muslim dem Beispiel des Propheten nacheifern soll, ist der Kampf um die Erhaltung des wahren Islam durchaus in der koranischen Lehre enthalten und wird immer wieder betont. Die letzten Entwicklungen haben wohl auch jener Tendenz unter gewissen Orientalisten ein Ende gesetzt, die sich in übertriebenem Maße auf die Milde und gewaltlose Mystik der Sufiya beriefen und eine Art „Herz-Jesu-Islam“ propagierten. „Demokratische Wahlen stärken Islamisten“ Raddatz spricht von Umfragen „im Nahen Osten“ nach denen nach dem 11. September 2001 bis zu 88 Prozent der befragten moslemischen Durchschnittsbürger die Attacke gegen die USA goutiert haben sollen. Scholl-Latour: Zweifellos hat eine große Zahl von Muslimen den Anschlag auf das World Trade Center und das Pentagon als gewalttätige Schläge gegen die Symbole amerikanischer Macht und des amerikanischen Kapitalismus empfunden. Ich glaube aber nicht, daß die zahlreichen Menschenopfer, die dabei verursacht wurden, auf allgemeine Zustimmung gestoßen sind. Es ging eher um die symbolische Vernichtung des „Goldenen Kalbes“. Die westliche Welt fordert immer wieder die Einführung der parlamentarischen Demokratie in den islamischen Staaten. Darin steckt ein gutes Stück Heuchelei. Gäbe es nämlich im islamischen Raum freie Wahlen, dann wären in den meisten Ländern nicht die derzeit herrschenden Diktatoren und Militär-Cliquen an der Macht. Sozial ausgerichtete islamische Bewegungen würden die Mehrheit erringen. Diese Entwicklung wurde bei den Wahlen in Algerien, aber auch bei den jüngsten Wahlen im Iran bestätigt, wo der neue Präsident Mohammed Ahmadinedschad, sich auf die „Enterbten und Entrechteten“ stützt, auf die „Mustazafin“, wie der Ajatollah Khomeini sie liebevoll nannte. Wir sollten auch nicht vergessen, daß die Wahlen im Irak, die von dem dortigen Großajatollah Sistani gefordert wurden zur Parlamentsmehrheit der schiitisch-religiösen Parteien im Parlament von Bagdad geführt haben. Dann ist die Strategie, auf die auch Premierminister Tony Blair gleich nach den Anschlägen gesetzt hat, nämlich zu betonen, daß Islam und Islamisten nicht identisch sind, die richtige? Scholl-Latour: Tony Blair hat zu Recht eine Unterscheidung zwischen radikalen Islamisten und frommen Muslimen gemacht. In England besteht bereits die Gefahr, daß sich die britische Volkswut gegen die Einwanderer entlädt. Es müßte allerdings weltweit die Konsequenz aus der Erkenntnis Blairs gezogen werden. Und die wäre? Scholl-Latour: Der Ungerechtigkeit in der islamischen Welt zu begegnen. Sozialer Ungerechtigkeit zu begegnen, zum Beispiel was die Stellung der Frau angeht, wird aber schnell als Angriff auf die islamische Kultur betrachtet. Scholl-Latour: Wir sollten uns vor einer einseitigen Betrachtung des Islam hüten. Es ist zweifellos eine gewisse Erstarrung eingetreten, weil der Koran im Gegensatz zu den Evangelien von den Muslimen als das ungeschaffene Wort Gottes von Ewigkeit her verehrt wird und deshalb keinen Veränderungen unterliegen darf. Daraus ergeben sich Lebensbedingungen, vor allem für die Frauen, die zur Zeit Mohammeds durchaus als fortschrittlich galten, die der heutigen gesellschaftlichen Situation aber kaum noch angepaßt sind. Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, daß diese Gesetzgebung, die einen wesentlichen Teil des Koran ausmacht, auf eine Hirten- und Kaufmannsgesellschaft zugeschnitten ist, die im damaligen Hedschas vorherrschte. „Bei einer solchen Attacke, müssen wir zurückschlagen“ Ist das Problem nicht, daß wir sowohl zu einem Kulturkampf zur Verwestlichung des Islam blasen, als auch mit der islamischen Welt Frieden schließen wollen. Ist das nicht ein fundamentaler Zielkonflikt? Scholl-Latour: Wenn wir so attackiert werden, wie in New York, Madrid oder London, dann müssen wir zurückschlagen. Ein Zurückweichen wäre ein fatales Signal. Ein eventueller Rückzug aus dem Irak oder Afghanistan müßte den Eindruck vermeiden, daß er unter dem Druck von Terroristen stattfindet. Es muß sich um die Erkenntnis der zuständigen westlichen Regierungen handeln, daß eine militärische Präsenz fremder Streitkräfte in dieser Region nicht mehr zeitgemäß ist. Auf jeden Fall müssen wir uns für heftige Auseinandersetzungen der Zukunft vorbereiten. Deshalb muß immer wieder die Forderung erhoben werden, daß die Europäer eigene Spezialkräfte aufstellen, und sich im Falle einer fortschreitenden nuklearen Proliferation auch die Mittel einer atomaren Abschreckung zulegen. Noch ein paar Tage vor Ausbruch des Krieges hatte mir der stellvertretende irakische Regierungschef Tarik Aziz gesagt, daß er die Europäer keinesfalls einschüchtern oder bedrohen wolle, daß die Europäer jedoch mit einem Blick auf die Landkarte feststellen könnten, wie viel näher sie am Islam sind, und daß sie gewissermaßen bereits mit der islamischen Gesellschaft verwoben sind, während Amerika durch die Weite der Ozeane vor diesem unmittelbaren Kontakt geschützt ist. Daraus ergibt sich auf lange Sicht, daß die weiterhin unter amerikanischer Führung operierende Nato nicht mehr das geeignete Instrument ist, um mit der Tatsache dieser zwei grundsätzlich unterschiedlichen Ausgangspostionen fertigzuwerden. Daraus ergibt sich, daß die Europäer ihre eigene Politik und Strategie finden und gegenüber der Nachbarschaft und auch einer eventuellen Bedrohung gerüstet sein müssen. Da die Amerikaner offenbar aus psychologischen Gründen nicht befähigt sind, sich mit dem Islam konstruktiv auseinanderzusetzen und dessen profunde Beweggründe zu begreifen, müssen die Europäer aktiv werden und neue Konzepte der Koexistenz mit den repräsentativen Schichten dieser Länder erarbeiten. Die wie aussehen sollte? Scholl-Latour: Vor allem sollten wir endlich mit denen sprechen, die wirklich die islamischen Massen repräsentieren. Weder die Staatschefs der islamischen Staaten, noch die meisten Verbandsvertreter der Moslems hier bei uns in Deutschland können den Anspruch erheben, für die Masse der einfachen und frommen Muslime zu sprechen. Wir greifen immer wieder bei Diskussion und Lösungsversuchen auf weitgehend verwestlichte Gesprächspartner zurück, die sich zwar in unseren politischen Talkshows und Regierungskonferenzen vorteilhaft darstellen, aber keinen organischen Kontakt zur „Basis“ haben. „Akute Gefahr für die Deutschen am Hindukusch“ New York, Madrid, London. Wann kommt der Terror auch zu uns? Scholl-Latour: Die Deutschen genießen immer noch sehr große Beliebtheit in der islamischen Welt, was nicht nur auf Hitler und Kaiser Wilhelm zurückzuführen ist, sondern auf die Tatsache, daß wir lange Zeit stets gegen die Mächte standen, die die islamische Welt beherrscht haben. Aber auch dieser Kredit könnte eines Tages aufgebraucht sein. Wir stehen mit der Bundeswehr in Afghanistan, ohne daß die Truppe dort mit einer präzisen Mission ausgestattet wäre. US-Operationen im Irak stützen sich wesentlich auf Deutschland als Drehkreuz für ihre Luftwaffe und die Ausbildung irakischer Offiziere, die wir in der Nato-Schule Oberammergau vornehmen, sollte nicht im Nato-Rahmen stattfinden. Das heißt, die Politik der Bundesregierung bringt uns in Gefahr? Scholl-Latour: Sie ist geprägt von Dilettantismus und Unkenntnis der Situation. Inwiefern? Scholl-Latour: Die Bundesregierung und auch die Opposition müßten hinlänglich gewarnt sein, etwa hinsichtlich der akuten Gefahren, die der deutschen Truppenpräsenz am Hindukusch drohen. Ähnlich wie die Angelsachsen vor Ausbruch des Irak-Krieges wollen sie diese Risiken aber offenbar nicht zur Kenntnis nehmen. Würde die Politik einer Regierung Merkel/Westerwelle – sollten CDU/FDP die voraussichtlichen Bundestagswahlen im Herbst gewinnen – die Gefahr für uns weiter verschärfen oder verringern? Scholl-Latour: Obwohl heute bereits die Mehrheit der Amerikaner die Entscheidung, den Irak-Feldzug zu unternehmen als Irrtum betrachten, glauben viele deutsche Politiker noch, ihre Pflicht gegenüber dem transatlantischen Verbündeten zu erfüllen, indem sie längst überholten Konzepten anhängen. Prof. Dr. Peter Scholl-Latour Der Nahost-Experte warnt seit langem vor der unterschätzten Gefahr eines islamistischen Terrorismus auch in deutschen Städten. Geboren wurde der Afrika-, Arabien- und Ostasienexperte 1924 in Bochum. Er studierte in Mainz, Paris und Beirut und ist seit 1950 als Journalist tätig. 1969 wurde er Direktor des WDR, 1971 Chefkorrespondent des ZDF, 1983 Herausgeber des Stern. Unter seinen zahlreichen Veröffentlichungen widmete er sich vor allem in den letzten drei der Weltmacht USA: „Kampf dem Terror – Kampf dem Islam?“ (Propyläen, 2002), „Weltmacht im Treibsand. Bush gegen die Ayatollahs“ (Propyläen, 2004) und „Koloß auf tönernen Füßen. Amerikas Spagat zwischen nahem und fernem Osten“ (Propyläen, 2005). weitere Interview-Partner der JF