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„Das ist Zensur, ganz klar“

„Das ist Zensur, ganz klar“

„Das ist Zensur, ganz klar“

 

„Das ist Zensur, ganz klar“

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Herr Professor Löw, Ihr Artikel „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“ (vollständige Dokumentation in JF 17/04) in der jüngsten Ausgabe der von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) herausgegebenen Zeitschrift „Deutschland Archiv“(DA) hat deren Redaktion veranlaßt, sich nicht nur in einem Brief an die Leser von Ihrem Beitrag zu distanzieren, sondern auch die gesamte Auflage einstampfen zu lassen (JF berichtete). Löw: Ein ganz außergewöhnlicher Vorgang in der publizistischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Erstaunlicherweise zeigt sich da ein Ungeist, den wir doch seit 1945 überwunden zu haben gehofft hatten. Offensichtlich soll verhindert werden, daß sich Dritte noch eigenständig ein Bild von dem Beitrag machen können. Das ist Zensur, ganz klar. Wie erklären Sie sich diese extreme Reaktion? Löw: Ich bin selbst völlig überrascht und kann sie mir ebensowenig erklären wie all jene – zum Teil namhaften – Persönlichkeiten, die mir in den letzten Tagen die Kopien ihrer Briefe an das DA, in denen sie um Beweise für die in dem Rundschreiben aufgestellten Behauptungen bitten, zugeschickt haben. Wer hat zum Beispiel geschrieben? Löw: Bitte verstehen Sie, daß ich darüber keine Auskunft geben kann, so sehr ich das bedauere. Das DA wird die Richtigkeit meiner Behauptung nicht bestreiten. Haben Sie denn schon versucht, sich mit der Redaktion in Verbindung zu setzen? Löw: Nein, die Leute sind offenbar so hysterisch, daß ein vernünftiges Gespräch unmöglich ist. Ich habe überhaupt erst über Dritte von der Maßnahme des DA erfahren. Man hielt es nicht für nötig, mich vorab zu informieren, geschweige denn, mich zu den Problemen, die hinsichtlich meines Aufsatzes bei einigen entstanden sind, zu befragen. Chefredakteur Marc-Dietrich Ohse schrieb mir schließlich einen Brief, indem er mich über die Distanzierung der Redaktion von meinem Beitrag und über die Makulierung des Heftes informierte – nicht ohne sich noch einmal auch mir gegenüber von meinem Beitrag zu distanzieren und mir anzukündigen, daß ich nie wieder für das DA schreiben werde. Kein Wort, wenigstens des persönlichen Bedauerns Ihnen gegenüber? Löw: Kein Wort. Sind Sie menschlich enttäuscht? Löw: Natürlich, allerdings muß ich klarstellen, daß meine Beziehungen zur Redaktion des DA trotz jahrzehntelanger Zusammenarbeit nicht sehr persönlich war, da die Redaktion zu Jahresbeginn komplett ausgewechselt wurde. Warum? Löw: Ich nehme an, das hängt mit Sparmaßnahmen zusammen. Es kann aber auch andere Gründe dafür geben. Jahrzehntelang stehen Sie auch schon mit der bpb selbst in Kontakt. Kritiker bemängeln bei deren Arbeit seit einigen Jahren einen immer stärker werdenden politisch korrekten Zungenschlag (siehe auch Seite 5). Können Sie das bestätigen? Löw: Dazu kann ich nichts sagen, aber ich bin durch eigenes Erleben erschüttert, wie kläglich Mitarbeiter der bpb sich verhalten, wenn – um nur ein Beispiel zu nennen – die Bundesrepublik Deutschland im Ausland verleumdet wird, was durchaus Rückschlüsse auf die „demokratische Charakterfestigkeit“ der Herrschaften zuläßt. In meinem Buch „Die Schuld“ habe ich ein Beispiel aufgeführt. Nun beeilt man sich seitens der bpb zu versichern, vom Inhalt Ihres Aufsatzes nichts gewußt zu haben. Hat denn die Chefredaktion des „DA“ den Artikel nicht zuvor gelesen? Löw: Doch, Herr Ohse selbst hat den Beitrag gelesen, für gut befunden und auch für die aktuelle Ausgabe redigiert. Dabei war der Artikel gar nicht bestellt, er wurde also nicht „gezwungenermaßen“ angenommen, sondern weil er offenbar wirklich gefallen hat. Der Artikel geht zurück auf einen Vortrag, den Sie am 5. März im Berliner Roten Rathaus vor gehobenem Publikum für die bis zur Wende von der Bundesregierung finanziell unterstützte Gesellschaft für Deutschlandforschung gehalten haben. Löw: Und wofür ich nicht nur mit Applaus bedacht worden bin, sondern auch von einem ehemaligen Staatssekretär des Ministers Herbert Wehner unbedingte Zustimmung erfahren habe. Kaum hatte sich aber das „DA“ gegenüber seinen Lesern distanziert, begann ein flankierendes publizistisches Begleitfeuer, am heftigsten in der „Welt“. Eine Kampagne? Löw: Der Artikel in der Welt ist um so absurder, als ich selbst immer wieder für das Blatt Beiträge verfaßt habe, zuletzt am 11. Oktober 2003. Ich habe deshalb der Chefredaktion geschrieben und mich dort darüber beschwert, daß der Beitrag kaum einen ganzen Satz aus meinem Artikel zitiert und das, was er bringt, aus dem Zusammenhang reißt. Der einzige Satz, der vollständig zitiert wurde, lautet: „‚Eigenverantwortung‘ und ‚Selbstbestimmung‘ leisten der Selbstsucht Vorschub …“. Aus dem Zusammenhang gerissen, ist er in der Tat geeignet, mich vor den Lesern der Welt zu blamieren. Was der Welt-Artikel jedoch verschweigt, ist, daß es mir an dieser Stelle darum ging, aufzuzeigen, wie das Bundesverfassungsgericht die Worte „Eigenverantwortung“ und „Selbstbestimmung“ im Laufe der Zeit an die Stelle der vom Grundgesetz vorgegebenen Worte „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ und „Sittengesetz“ gestellt hat. Wie bedenklich dieser stille Verfassungswandel ist, habe ich übrigens 1999 in einem Zeitungsartikel ausführen dürfen – und zwar in der Welt! An anderer Stelle stellt der Skribent der Welt meine Bezugnahme auf ein Zitat des jüdischen Chronisten Victor Klemperer („Auf einen solchen (Hitler-)Gläubigen kommen wohl doch schon fünfzig Ungläubige“) absichtlich als meine eigene Schlußfolgerung dar. Ein eindeutiger Versuch, einen „Beweis“ gegen mich wahrheitswidrig zu konstruieren. Offenbar beurteilt man aber den eigenen Artikel in der Chefredaktion der Welt inzwischen selbst als nicht vertretbar, denn ich habe von dort telefonisch Nachricht bekommen, man werde diese Attacke gegen mich zurücknehmen. Was bedeutet das genau? Löw: Das weiß ich noch nicht; ich vertraue aber auf das Wort der Chefredaktion. Wie steht es mit dem Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ über Ihren Fall? Löw: Der ist nicht minder infam, etwa wenn mir ohne Beleg durch Zitate „unverhohlener Antisemitismus“ vorgeworfen wird. Da ich von seiten der SZ keine Reaktion auf meinen Protest bekommen habe, werde ich auf einer Gegendarstellung bestehen. Dem Spiegel, der eine Meldung zu der Angelegenheit gebracht hat, habe ich einen berichtigenden Leserbrief zugeleitet. Nochmal, glauben Sie an eine Kampagne? Löw: Ich vermute, daß die Mitarbeiter des DA nur willige Vollstrecker sind und selbst unter Druck stehen. Wer steckt dahinter? Löw: Das weiß ich nicht, und zu spekulieren wäre unseriös. Die „Welt“ weiß, wen Sie für die Schuldigen halten, ein angebliches „jüdisches Meinungskartell“? Löw: Eine verleumderische Unterstellung. „Welt“ und „SZ“ werfen Ihnen, anders als das „DA“ und die bpb, auch noch „Antisemitismus“ und „Antijudaismus“ vor. Löw: Das ist ein Versuch, mich gesellschaftlich und wissenschaftlich kaltzustellen. Wer meinen Text liest, für den ist die Abstrusität dieses Vorwurfes offensichtlich. Aber deshalb hat man die Auflage schließlich vernichtet, damit ich nicht mehr oder nur über einen Zerrspiegel wahrnehmbar bin. Die „DA“-Redaktion hält Ihren Beitrag „lediglich“ für „geeignet, die deutschen Verbrechen während der nationalsozialistischen Diktatur zu verharmlosen“. Weiter ist von „Relativierung“ und „Abstreiten der deutschen Urheberschaft an den Verbrechen des Nationalsozialismus“ die Rede sowie davon, die „deutsche Schuld abzustreiten“. Löw: Auch das sind absurde Vorwürfe, wo sind die Beweise? Mein Aufsatz endet vielmehr mit einem entschiedenen „Bekenntnis“ zu den Verbrechen des NS-Regimes. Also verfolgt Ihr Artikel eine bestimmte Absicht? Löw: Ja, jeder Geschichtsklitterung entgegenzuwirken und anhand der Quellen zu zeigen, wie es wirklich war – soweit ein Forscher das überhaupt leisten kann. Ich habe mich – nicht nur, aber vor allem – auf den allseits anerkannten Victor Klemperer gestützt. In seinen Tagebüchern heißt es zum Beispiel für das Jahr 1941: „Fraglos empfindet das (deutsche) Volk die Judenverfolgung als Sünde“, oder für das Jahr 1943: „Immer wieder beobachte ich das durchaus kameradschaftliche, unbefangene, oft geradezu herzliche Benehmen der Arbeiter und Arbeiterinnen den Juden gegenüber. Irgendwo wird immer ein Spitzel unter ihnen sein, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß sie in ihrer Gesamtheit bestimmt nicht Judenhasser sind.“ Da wird deutlich, daß die heutzutage allzu oft unreflektiert verbreiteten Thesen à la Goldhagen – die Deutschen als „eleminatorische Antisemiten“ und willige Vollstrecker Hitlers etc. – nicht haltbar sind. Es wird offensichtlich versucht, die Deutschen hinter einem Tabu einzumauern. Also geht es nicht um Geschichte, sondern um Politik? Löw: Mir geht es um die historische Wahrheit, anderen ganz offensichtlich um Politik. Stichwort „Kollektivschuld“: Zwar wird stets in Abrede gestellt, daß es Kollektivschuld gibt, aber dennoch wird sie permanent suggeriert, so wenn immer wieder von „die Deutschen“ die Rede ist, obwohl es heißen müßte: „Deutsche“ – also ohne den bestimmten Artikel. Dabei geht es doch um den Vorwurf, an einem der schwersten Verbrechen der Geschichte beteiligt gewesen zu sein. Ein in Kreisen der politischen Bildung weithin bekannter Mann schreibt im Vorwort eines Buches von „der Schuld aller, die damals geschwiegen haben“. Ich fragte ihn unter vier Augen nach seinen eigenen Eltern. Er: „Meine Eltern haben von den Verbrechen nichts gewußt“, und wollte damit ihre Unschuld dartun. Ich weiter: „Und was hätten sie getan, wenn sie es gewußt hätten?“ Darauf Schweigen. Auch eine Antwort. – Das ist meine allgemeine Erfahrung: Fast alle, die öffentlich eine kollektive Schuld „der Deutschen“ bekennen und die ich dann nach dem Verhalten ihrer eigenen Angehörigen in der Zeit des Nationalsozialimus frage, nennen gute Gründe, um sie zu entlasten. Für die Opfer des Holocaust ergibt sich daraus eine bizarre Konsequenz: Je bereitwilliger die Kollektivschuld zugegeben wird, desto „geringer“ wird die Schuld „der einzelnen“. Die wahren Täter waren aber natürlich einzelne Personen, wobei ich jene in die Schuld miteinbeziehe, die von den Verbrechen wußten und sie billigten. Das unreflektierte Kollektivschuld-Bekenntnis ist also gesellschaftlicher Comment? Löw: Immer unausgesprochen, aber stets nahegelegt, ja. Dabei ist es doch eine Entlastung der wirklichen Täter, wenn sie fast auf eine Stufe mit den Unwissenden oder den Ohnmächtigen gestellt werden. Wem nützt dieser Comment? Löw: Allen, die damit Erwartungen entsprechen und so ihre Position in Gesellschaft, Politik und Kultur absichern. Es geht nicht nur darum, durch eigenes Wohlverhalten jedes Anecken zu vermeiden, es geht auch darum, mittels Tabus alle auszuschalten, die das Tabu und damit die gesellschaftliche oder moralische Legitimität der Tonangebenden in Frage stellen. Solche Tabus gibt es nicht nur in puncto Zeitgeschichte und Politik. Denken Sie nur an die neureligiösen Gemeinschaften. So ist es für einen seriösen Wissenschaftler nicht möglich, zum Schutze solcher Gemeinschaften gegen leichtfertige Diskriminierung seine Stimme zu erheben, weil er sonst seine Karriere riskiert. Als Beispiel nenne ich einen renommierten Wissenschaftler wie Gerhard Besier, Leiter des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung in Dresden, der in Verruf kommt, weil er die wohlfeilen Vorurteile gegenüber manchen Sekten nicht nachplappern will. Ein junger, noch unbekannter Wissenschaftler wäre nach dem, was man Besier vorgeworfen hat, nie mehr „auf die Beine“ gekommen. Die gesellschaftliche Ächtung ersetzt heutzutage ansatzweise die staatliche Verfolgung. Die „Welt“ bringt Sie in Verbindung mit dem Fall Hohmann, zu Recht? Löw: Inhaltlich unterscheiden wir uns, aber wir haben natürlich einen gemeinsamen Punkt: die Ablehnung von Kollektivschuld zu Lasten ganzer Völker. Hohmann hat das deutlich gesagt, auch in bezug auf das jüdische Volk – hätte man seinen Text nur zur Gänze gelesen! Daß gleiche Maßstäbe für alle gefordert werden, ist es, was die „politisch Korrekten“ auf die Palme treibt. Ist Ihr Fall – ebenso wie der Fall Hohmann -im Grunde ein Nachhutgefecht des Historikerstreits von 1986? Löw: Diese Annahme dürfte wohl richtig sein. Aber leider geht es nicht nur um längst geschlagene Schlachten. Zu befürchten ist vielmehr, daß wir am Anfang einer großen Kampagne gegen die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit stehen. Zumindest kann man all diese Fälle von Nolte über Jenninger und Walser – die meisten Opfer bleiben unbekannt – bis hin zu Löw in eine Reihe stellen. Prof. Dr. Konrad Löw ist Verfasser des jüngst umstrittenen Aufsatzes „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“ in Ausgabe 2/2004 der Zeitschrift Deutschland Archiv. Der Herausgeber, die Bundeszentrale für politische Bildung, die Chefredaktion sowie der W. Bertelsmann Verlag haben sich Anfang April von Löws Aufsatz distanziert, da er angeblich „geeignet ist, die deutschen Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus zu relativieren“, und überdies die Restauflage der Zeitschrift vernichten lassen. Löw ist Staatsrechtler und Professor emeritus für Politikwissenschaft an der Universität Bayreuth, zuvor lehrte er an der Universität Erlangen-Nürnberg. Von 1960 bis 1972 war er Beamter, zunächst im Dienste des Freistaates Bayern, dann der Bundesrepublik Deutschland. Wissenschaftlich machte er sich vor allem als Marxismus-Kritiker durch zahlreiche Veröffentlichungen einen Namen (zum Beispiel „Rotbuch der kommunistischen Ideologie“, 1999). Geboren 1931 in München, stammt Löw aus katholisch-antinationalsozialistischem Milieu. Sein Vater, Finanzamts-Angestellter, der wegen seiner Weigerung, der NSDAP beizutreten, nicht verbeamtet wurde, galt anerkanntermaßen als Gegner der Nationalsozialisten seit 1930. Dem KZ entkam der Vater nur durch „Flucht in die Wehrmacht“, nach 1945 war er Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Bild: Installation „Writer’s Block“ von Sheryl Oring: „Anfang einer Kampagne gegen die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit“ weitere Interview-Partner der JF

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