Pastor Rüß, Sie haben in einem Kommentar für das evangelische Nachrichtenmagazin „Idea-Spektrum“ geschrieben, „der Fall Hohmann ist ein Fall CDU“. Was meinen Sie damit? Rüß: Die CDU hat offensichtlich akuten Klärungsbedarf sowohl hinsichtlich ihres „C“ als auch ihres Patriotismus- und Nationalverständnisses. Die für den Leipziger Parteitag versprochene Patriotismus-Debatte ist allerdings überraschend abgeblasen worden. Rüß: Das ist fatal, denn eine Diskussion darüber, wo die Grenze zwischen ehrlichem Patritismus und Nationalkonservatismus und Rechtsextremismus gezogen wird, ist ja offensichtlich dringend nötig. Diese Debatte hätte offen und ehrlich und ohne die sonst übliche Political Correctness geführt werden müssen. Hier wurde eine Chance vertan. Martin Hohmann ist neben Antisemitismus von vielen Kritikern auch christlicher Fundamentalismus vorgeworfen worden. Trifft dies vielleicht aus evangelischer Sicht zu? Rüß: Bei Hohmann von christlichem Fundamentalismus zu sprechen, ist abstrus und peinlich. Offenbar wird leider auch in Teilen der CDU die Fundamentalismus-Keule im Sinne der Gutmenschenideologie geschwungen. Die Bezeichnung „Fundamentalist“ für einen Mann wie Martin Hohmann ist zudem schon deshalb mehr als fragwürdig und verletzend, weil der Begriff bei uns gemeinhin mit Assoziationen an islamische Terroristen und Selbstmordattentäter verbunden ist. Zeigt der Fall Hohmann, daß Christen, die ihren Glauben noch mit traditioneller Ernsthaftigkeit ausleben, künftig Gefahr laufen, auch in der CDU in den Geruch des Fundamentalismus zu kommen? Rüß: So pauschal kann man das nicht sagen. Momentan halte ich die Situation in der CDU noch für einigermaßen unproblematisch, da an der Basis viele ernsthafte Christen sind. Darüber kann die Parteispitze bislang noch nicht hinweggehen. Aber in der Tat ist diese Gefahr nicht von der Hand zu weisen. Doch nicht nur in der CDU – Christen, die in der Bindung an die Bibel ernsthaft ihren Glauben leben wollen, werden sich wappnen müssen, künftig in der ganzen Gesellschaft verstärkt dem Fundamentalismusvorwurf ausgesetzt zu sein. Wer so konsequent weiterdenkt, wird Jesus selbst als Fundamentalist einordnen müssen. In den letzten Jahrzehnten sind die nationalen und konservativen Positionen, die zur Zeit etwa Konrad Adenauers noch als selbstverständlich, redlich und vorbildlich galten, in die Ecke gedrängt und mit dem Etikett des Rechtsextremismus versehen worden. Droht nach dieser Art „Säuberung“ – auch durch den Umstand, daß Religion im Zeichen des Multikulturalismus und des „Kampfes gegen den Terror“ politisch einen neuen Stellenwert bekommen hat – nun der christliche Flügel in der CDU an die Reihe zu kommen? Rüß: Das wäre um so verhängnisvoller, weil sich schon im Falle des an den Rand gedrückten Patriotismus und Nationalkonservatismus gezeigt hat, daß dies nur ein latentes Erstarken des extremistischen gesellschaftlichen Saumes bewirkt. Wer also im Namen der Fundamentalismus-Bekämpfung die christliche Komponente wo auch immer unter Druck setzt, der bekämpft den Fundamentalismus nicht, sondern trägt zur weiteren Entchristlichung unserer Gesellschaft bei. Ich vermute, daß auch der Fall Hohmann langfristig leider genau das Gegenteil von dem bewirken wird, was die politisch korrekten Vertreter des „klaren Schnitts“ eigentlich erreichen wollten. Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen unter den konservativen evangelischen Christen bezüglich des öffentlichen Umgangs mit dem Fall Hohmann? Rüß: Nicht wenige haben großes Unverständnis für die Art und Weise, wie der Fall bewältigt wurde. Ihre Enttäuschung richtet sich vor allem gegen die Medien und gegen die Politiker. Denn das Verfahren gegen Hohmann wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Warum ließ man Hohmann in den Medien nicht zu Wort kommen? Warum gab es in der Öffentlichkeit keinen echten Disput? Was an der Rede ist eigentlich wirklich antisemitisch? Statt dessen wurde Hohmann und viele derer, die eine demokratische Diskussion gefordert haben, sofort in eine Schmuddelecke gedrängt. Weder aus christlicher noch aus demokratischer Sicht war dieser Vorgang ein Ruhmesblatt, ganz im Gegenteil! Der neue EKD-Vorsitzende Huber hat das rigorose Vorgehen gegen Hohmann begrüßt. Rüß: Wissen Sie, es wäre besser gewesen, Herr Huber hätte eine christliche statt eine politische Position deutlich gemacht. Pastor Ulrich Rüß ist Vorsitzender der Konferenz bekennender Gemeinschaften, dem Dachverband konservativer Protestanten in der EKD. Geboren 1943 in Braunschweig, ist er seit 1970 im Kirchendienst. Heute betreut er die Gemeinde St. Johannes in Hamburg-Eppendorf. weitere Interview-Partner der JF