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Marc Jongen, ESN Fraktion

„Die ganze Welt umgestalten“

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Herr Clemons, die USA haben Saddam Hussein besiegt und verhaften derzeit täglich weitere Mitglieder der ehemaligen Regierung. Können sich die Amerikaner entspannt zurücklehnen und neuen Aufgaben zuwenden? Clemons: Wir haben den Krieg mit großer Präzision geführt, kaum Verluste gehabt und den Gegner in kürzester Zeit besiegt. Im Bewußtsein der Amerikaner haben wir einen Erfolg errungen. Doch wo sind die Massenvernichtungswaffen, wegen derer wir diesen Krieg überhaupt geführt haben? Fehlanzeige! Also haben die USA ihr Kriegsziel verfehlt? Clemons: Nun, wir haben uns international äußerst unbeliebt gemacht, haben unsere Verbündeten vor den Kopf gestoßen und die internationalen Institutionen brüskiert. Wofür? Ich sehe keinen Erfolg. Saddam war ein Menschenschinder, und grundsätzlich ist es positiv, daß er entmachtet worden ist, doch andererseits war er berechenbar, denn Saddam konnte man abschrecken und damit die Situation im Irak unter Kontrolle bringen. Das ist nun vorbei. Das Verhängnis ist, daß dieser Krieg der Krieg der Neokonservativen – sprich „Neocons“ – ist. Inwiefern? Clemons: Natürlich haben die herkömmlichen Interessengruppen, also etwa die Öl-Lobby oder jene, die schiere Machtdemonstrationen der USA jederzeit befürworten, diesen Krieg unterstützt, doch deren Vertreter hätten ihn nicht von sich aus begonnen. Dieser Krieg hätte ohne die ideologische Wegbereitung durch die Neocons – Öl und Macht hin oder her – nicht stattgefunden. Leider herrschen über die Neocons einige grundlegende Irrtümer vor: Erstens, die Neocons seien scharf berechnende Denker. Nein, leider sind sie Fundamentalisten, sie denken ideologisch und nicht rational, sie berechnen nicht, sie riskieren. Zweitens, die Neocons seien lediglich die geistigen Rechtfertiger der US-Öl-Lobby, doch das verkennt ihr Wesen noch mehr. Die Neocons verschleiern nicht ihre Interessen, sie glauben an ihre Mission, sie sind Überzeugungstäter. Drittens, inzwischen wird gerne vorschnell jede kritikwürdige Politik der USA im Ausland den Neocons zugeschrieben. Doch das trifft nicht zu, neben den Neuen Konservativen, gibt es auch noch die Neuen Realisten. Und hier schließt sich der Problemkreis: Die Neuen Realisten führen Kriege, um unsere Verbündeten enger an uns zu binden, nicht um sie abtrünnig zu machen, sie führen Kriege, um eine Situation für die USA unter Kontrolle zu bringen, nicht um sie unkontrollierbar zu machen, wie das jetzt der Fall ist. Dennoch existiert eine Schnittmenge? Clemons: Nun, es geht den Neuen Realisten darum, Amerikas Macht auszudehnen, um unsere Interessen besser wahrnehmen zu können. Sie gehen davon aus, dies nicht zu tun, würde ein Vakuum erzeugen, das dann andere füllen. Sie denken also machtpolitisch, aber rational. In der Frage der Ausdehnung amerikanischer Macht treffen sich Realisten und Neocons, doch sie unterscheiden sich in Motiven, Methoden und Zielen. Vertreter der Neocons sind zum Beispiel Denker wie Richard Perle oder Robert Kagan, die Neuen Realisten verstehen sich in der Tradition des Denkens Henry Kissingers, zum Beispiel Condoleezza Rice. Oder Colin Powell? Clemons: Nein, Powell ist einfach ein vorsichtiger Mann. Ist er bei einer Beratung im Zimmer, dann rät er zur Vorsicht, doch ist er nicht im Zimmer, spielt er keine Rolle, weil er, anders als Rice, für nichts steht. Derzeit gelten allerdings die Neocons als am einflußreichsten. Was ist ihr Ziel? Clemons: Die amerikanischen Neocons mißtrauen dem Rest der Welt dermaßen, daß sie es für unabdingbar halten, die Welt moralisch und politisch unseren eigenen Maßstäben anzupassen. Natürlich sind einige ihrer Inhalte aller Ehren wert, wie etwa die Menschenrechte oder die Demokratie, aber sie dienen nicht der Befreiung von Menschen, sondern stellen ein quasi-religiöses, fundamentalistisches Glaubensbekenntnis dar. Insofern ist der Begriff Kreuzzug für diese Art Ausbreitung dieser Form von Demokratie durchaus angemessen. Was verstehen die Neocons unter Demokratie? Clemons: Nicht etwa Volksherrschaft, wie unbedarfte Zeitgenossen vielleicht glauben, sondern die Etablierung von politischen Parteien, die amerikahörige politische Führer hervorbringen. Wie es etwa in Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg gelungen ist. Wird das auch im Irak gelingen? Clemons: Das glaube ich nicht, dort wird es vermutlich zu einer demokratischen Praxis kommen, die die Neocons nicht gewillt sind, als Demokratie anzuerkennen. Das Volk wird voraussichtlich antiamerikanisch orientierte, wenn nicht gar fundamentalistische Politiker an die Macht wählen. Doch die Neocons sind enorm mißtrauisch gegenüber demokratisch gewählten Politikern, die ihnen nicht ins Konzept passen, sie werden wohl versuchen, solche Ergebnisse zu korrigieren. Wenn Demokratie Volksherrschaft bedeutet, dann sind die Neocons demzufolge Antidemokraten? Clemons: Aber sicher. Und das im Namen der Demokratie, das ist schon bizarr. Welche Rolle spielt der Irak-Krieg für die Neocons? Clemons: Er ist ein wichtiges Kapitel ihrer Lehre vom Präventivschlag, der sogenannten „Bush-Doktrin“, und soll die Botschaft vermitteln, wir erobern den, der uns in die Quere kommt. Und da sich die neokonservativen Stichwortgeber auf einem Kreuzzug befinden, werden sie nicht ruhen, bevor nicht die ganze Welt in ihrem Sinne erleuchtet ist. Sie kennen kein Maß, außer das ihrer eigenen Überzeugung, und so etwas ist immer – unabhängig vom Inhalt dieser Überzeugung – höchstgefährlich! Der US-Politologe Chalmers Johnson sprach in einem Interview mit dieser Zeitung (JF 4/03) vom Projekt eines amerikanischen Imperiums. Clemons: Das trifft zu. Chalmers Johnson machte diese These populär, vor ihm sprach – außer Paul Kennedey – niemand von der Expansion der USA als einem imperialen Ausgreifen. Jedoch ist es wichtig, zu verstehen, daß es sich um ein Imperium aus scheinbarer Notwendigkeit handelt, nicht um eines, daß aus dem Willen zur Weltmacht entsteht. Es entspringt der Paranoia der Neocons, die sich von Feinden umstellt und nur dann sicher fühlen, wenn sie wissen, daß ihre Werte aktiv in aller Welt verbreitet werden – sie finden keine Ruhe, bis nicht die ganze Welt nach dem Modell der USA umgestaltet worden ist. Die Annahme, es handle sich beim amerikanischen Imperialismus lediglich um eine Maximalformulierung US-amerikanischer Interessen, ist zu simpel. Also ist ein Begriff wie „Neues Rom“ verharmlosend, da die Römer die kulturelle Identität ihrer Vasallen nicht angetastet haben? Clemons: So ist es. Natürlich behaupten die Neocons, sie unterschieden zwischen Islam und Islamismus, tatsächlich aber halten viele von ihnen den Islam an sich für eine so bedrohliche Gefahr für den jüdisch-christlichen Kulturkreis, daß sie wünschen, den Islam an sich entscheidend zu treffen. Das fassen sie in der Formel zusammen: „Versucht sie zu überzeugen – notfalls mit der Waffe in der Hand!“ Sie haben stets vorgegeben, es ginge ihnen nur um den Sturz des Regimes Saddam Husseins. Es geht aber nicht um das Regime im Irak, Uran oder sonstwo, sondern darum, eine Art politisches Buschfeuer im Orient zu entfachen, in der Hoffnung einen Dominoeffekt zu erzielen. Der ganze Orient soll in Zukunft „demokratisch“ statt islamisch sein. Wer wird also das nächste Angriffsziel sein? Die Baath-Diktatur in Syrien? Clemons: Ich tippe eher auf den Iran, denn Syrien ist vergleichsweise unbedeutend, der Iran dagegen wäre eine echte Herausforderung. Zu Beginn sprachen die Neocons ständig von China, denn dort sahen sie am ehesten das Potential für eine Gegnerschaft zu den USA. Doch mit dem 11. September – die Neocons warteten geradezu sehnsüchtig auf eine große Gefahr, die die USA herausfordern würde – bot sich der Islam an, und seitdem haben sie ihren Gegner gefunden. Einen viel geeigneteren und komfortableren Gegner als China. Handelt es sich bei den Neocons mit ihrem ideologischen, globalen Anspruch einer „demokratischen“ Weltrevolution genaugenommen nicht um eine Spielart der Linksliberalen, die diese Idee schließlich im 19. Jahrhundert in die Welt gebracht haben? Clemons: Ja und nein, ich würde sie lieber rechtsgerichtete Wilsonianer – nach dem ehemaligen US-Präsident Woodrow Wilson – nennen, im Gegensatz zu den linksgerichteten Wilsonianern, den Liberalen. Beiden ist gemeinsam, daß sie den konservativen Isolationismus ablehnen und sich in der Pflicht sehen, sich international einzumischen bzw. Verantwortung zu übernehmen. Doch während das die Liberalen multilateralistisch im Gedanken internationaler Kooperation praktizieren, basiert es bei den Neocons unilateral auf dem Gedanken der Machtentfaltung. Was ist an den Neocons überhaupt konservativ? Clemons: Eine berechtigte Frage: Nahezu gar nichts, besonders nicht im europäischen Sinne. Sie glauben an ein großes Amerika und wollen eine starke Regierung, das ist der Grund, warum man sie so nennt. Was aber echte Konservative wie etwa Pat Buchanan natürlich ablehnen. Ich halte den Begriff ebenfalls für unglücklich und irreführend. Historisch gehen die Neocons sogar auf ehemalige stalinkritische Kommunisten zurück. Das war allerdings die erste Generation, die zweite, die heute den Einfluß ausübt, war selbst nie linksradikal, kommt aber aus diesem Stall. Gemeinsam ist ihnen trotzdem immer noch ihr ganz und gar nicht konservatives, sondern revolutionäres Denken. Ergo müßte es doch auch auf der Linken Neocons geben? Clemons: Das trifft zu, denken Sie zum Beispiel an die Grünen in Deutschland vor ihrer Regierungsbeteiligung 1998. Und selbst heute findet sich dort noch solches Denken, nicht bei Joschka Fischer, ich denke zum Beispiel an Ralf Fücks, den Chef der Heinrich-Böll-Stiftung. Das mag Sie überraschen, aber die Grünen denken in Deutschland am ehesten in Kategorien wie Interventionen im Namen eines moralischen Fundamentalismus, wie zum Beispiel die Befreiung der Frau in Afghanistan. Was ist mit der CDU, die mehr oder weniger offen die Politik der US-Regierung in Deutschland verteidigt hat? Clemons: Nein, die CDU ist einfach nur amerikahörig. Hätten hierzulande gerade nicht die Neocons das Sagen, sondern deren innenpolitische Gegner, so wären die Christdemokraten ebenso deren Politik brav gefolgt. Sie hat aber auch Exponenten wie Friedbert Pflüger. Clemons: Pflüger ist ein leidenschaftlicher Atlantiker, zwar würde er am liebsten jeden Tag in der deutsch-amerikanischen Partnerschaft ein Bad nehmen, aber er ist kein Kreuzritter. Wie konnte es einer Gruppe ehemaliger Kommunisten gelingen, sich ausgerechnet in der Ära Ronald Reagans in der politischen Nähe des Weißen Hauses einzunisten? Clemons: Die Neocons an sich sind nicht mächtig, sie sind vielmehr auf Grund ihrer in den achtziger Jahren errungenen geistigen Vorherrschaft einflußreich geworden. Die Politik des Ausgleichs der Ära Nixon/Kissinger wich der Idee, die Sowjetunion unter ständigen Druck setzen zu müssen. Unter anderem wurde die Menschenrechtsfrage dabei als ein geeignetes Instrument zu diesem Zweck entdeckt. Die Neocons haben den alten Eliten und ihren Interessen, deren Ideen keine Schlagkraft mehr besaßen, erneut den Weg geebnet. Jedoch nicht im Sinne, daß sie von diesen benutzt worden wären. Die Neocons haben sich vielmehr geschickt in die Schlüsselpositionen manövriert. Wird dieser Versuch einer amerikanischen Weltrevolution gelingen? Clemons: Nein, das Unterfangen wird scheitern. Die Politik der Neocons wird zwangsläufig zu einer Belastung führen, die die Amerikaner irgendwann nicht mehr gewillt sind hinzunehmen. Das kann eine Eskalation des Terrorismus sein oder eine Überlastung der Wirtschaftskraft unseres Landes mit Krisenfolge oder auch ein Feldzug, der statt mit einem Sieg wie im Irak in einem Schlamassel enden wird. Die Neocons werden zwar nicht siegen, aber diese Lehre wird für Amerika wahrscheinlich bitter sein. Mit viel Glück jedoch beendet einfach eine Präsidentenwahl das neokonservative Projekt vorzeitig. Falls das nicht der Fall sein sollte, besteht aber doch die Gefahr, die allen Revolutionen eigen ist: Macht die Realität den Revolutionären einen Strich durch die Rechnung, neigen diese dazu, sich durch Flucht nach vorne zu retten: Durch Intensivierung der Revolution. Clemons: Das ist richtig, aber vergessen Sie nicht, daß die Neokonservativen selbst nicht an der Macht sind. Sie sind lediglich diejenigen, die derzeit entscheidenden Einfluß auf jene im Weißen Haus haben, die im Besitz der Macht sind. Präsident Bush selbst ist kein Neokonservativer, er läßt sich derzeit nur von ihnen anleiten. Sollte sich die politische Situation entscheidend ändern, können die Neokonservativen ihren Einfluß recht schnell wieder verlieren. Wenn die Träume der Neocons den Vereinigten Staaten über den Kopf wachsen, endet ihre Zeit. Steve C. Clemons ist Vize-Präsident des unabhängigen „New America Foundation“-Instituts in Washington D.C., dem auch Kapazitäten wie Francis Fukuyama oder Fareed Zakaria angehören. Der Politik- und Wirtschaftsberater veröffentlicht in zahlreichen internationalen Zeitungen und Zeitschriften, in Deutschland unter anderem im Berliner Tagesspiegel und der Welt. Geboren wurde Clemons 1962 in Salina/Kansas. weitere Interview-Partner der JF

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