Die Senkung des Spitzensteuersatzes gibt es für die Besserverdiener unseres Landes nicht umsonst. Nachdem sie in den vergangenen Jahren mit Genugtuung registrieren durften, daß man aus ihrem Einkommen die Schlußfolgerung zog, sie wären Leistungsträger und würden sozusagen das Rückgrat unserer Wirtschaftsnation bilden, sehen sie sich nun einer ungewöhnlichen Neidkampagne ausgerechnet aus den Reihen jener Partei ausgesetzt, die seit 1998 den Kanzler der Bosse stellt. Scharfe Worte fand hier sogar der ansonsten eher sanftmütige Wolfgang Thierse, der selber in Gestalt der Bundestagsverwaltung quasi einen Betrieb mit knapp 2.200 abhängig Beschäftigten führt und sich daher wohl – vielleicht auch mit dem Blick auf seine eigenen, eher bescheidenen Bezüge – berufen fühlte, die Gehälter deutscher Vorstände in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ als „irrsinnig“ zu bezeichnen. Rund 1,25 Millionen Euro hätten die Spitzenkräfte der DAX-Unternehmen allein 2002 im Durchschnitt kassiert – und damit 7,4 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Dies sei angesichts der Predigten, die über eine „Verzichtkultur“ aus den Vorstandsetagen zu vernehmen wären, schlichtweg „obszön“. Noch weiter ging der Kanzler höchstpersönlich, der in der „Bild am Sonntag“ gar die Acht über all jene Subjekte forderte, die diesem Land steuerlich den Rücken kehren. Solche Leute, so der Kernsatz seiner fiskalnationalistischen Tirade, seien „unpatriotisch“. Mit ihnen könne „man keinen Staat machen“. So befremdlich klassenkämpferische Töne von führenden SPD-Politikern in der heutigen Zeit auch sind: Man muß akzeptieren, daß die Kanzlerpartei nur dann ihren Reformkurs fortsetzen kann, wenn möglichst viele Bürgerinnen und Bürger sie als sozialdemokratisch verstehen. Wo die Praxis dafür wenige Belege liefert, müssen die Worte um so deutlicher ausfallen. Überdies darf man darf bei aller Verärgerung nicht undankbar sein: Nie hätten die Anstöße zur Demontage des Sozialstaats von einer Regierung ausgehen können, die als eine der Reichen verschrien gewesen wäre. Nur wenn sich die Massen der Besitzlosen und Geringverdiener in der Staatsführung repräsentiert fühlen, sehen sie eine gegen ihre Interessen gerichtete Politik als Schicksal und nicht als manipulierbares Menschenwerk an. Dies ist traditionell die Aufgabe der Linken in der bürgerlichen Demokratie. Man muß sich allerdings davor hüten, daß Neidkampagnen zu Selbstläufern werden. Selbst die letzten Apostel der Sozialen Marktwirtschaft werden irgendwann einsehen müssen, daß ihre Zeit abgelaufen ist. Den Schaden im von oben geführten Klassenkampf kann nur eingrenzen, wer die Forderungen an eine Neubestimmung der eigenen Ansprüche freiwillig erfüllt. Gerhard Schröder wird diesen Bewußtseinswandel nur fördern können, wenn er wieder staatsmännische Töne anschlägt. Er muß zu seiner Aufgabe stehen: nicht mit den Menschen, die er kritisiert, sondern für sie „Staat zu machen“.
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