Der USA-Besuch des israelischen Premiers Ariel Scharon vor einer Woche und die Verkündung des Bush-Scharon-Plans, die Ermordung Abdel Asis Rantisis, des neuen Chefs der palästinensischen Hamas, und Israels Ankündigung, die Politik der „gezielten Tötungen“ auch auf andere Staaten auszuweiten, werfen ein grelles Schlaglicht auf den Zustand des „Friedensprozesses“ im Nahen Osten. Für fast alle Beobachter sind „Oslo-Plan“, „Road Map“ und „Genfer Initiative“ damit so gut wie am Ende. Das kann gut so sein. An die zweihundert „gezielte Tötungen“ seit Beginn der zweiten Intifada vor dreieinhalb Jahren, 2.500 „zur Strafe“ zerstörte Häuser von Palästinensern und die Vertreibung ihrer Bewohner: Allein diese Zahlen zeigen, daß Scharons Konzept, Terror durch Terror zu bekämpfen – wie schon so oft in der Geschichte – Sicherheit und Frieden jedenfalls nicht produziert. Denn Rache-Anschläge in Tel Aviv, Haifa oder Jerusalem und sonstwo auf der Welt sind immer nur eine Frage der Zeit. „Wir können warten, bis die Restaurants in Israel wieder voll sind“, hörte man von Hamas-Terroristen nach der Tötung Rantisis. Die Frage nach Ursache oder Wirkung, nach Henne oder Ei, stellt sich in diesem Kreislauf der Gewalt schon lange nicht mehr. Die letzten Jahre haben gezeigt, daß Scharon gar nicht so viele Terroristen, Kamikaze-Attentäter oder „Hintermänner“ umbringen lassen kann, wie gerade durch seine Politik nachgewachsen sind. „Tickende Zeitbomben“, sagt Scharon, müsse man eben entschärfen. Offenbar stört es ihn nicht, daß ausgerechnet Israel, das sich zugute hält, die einzige Demokratie in der nahöstlichen Region zu sein, die aus dem demokratischen Anspruch erwachsenden rechtsstaatlichen Normen und Pflichten damit über Bord wirft. Scharon sieht sich im Recht, wenn er wirkliche, mutmaßliche oder potentielle Urheber von Terrorakten gegen Israelis präventiv umbringen läßt. Das stellt jedoch nach ziemlich einhelliger Auffassung der Völkerrechtsexperten einen schweren Bruch der Völkerrechtsnormen dar, vor allem der Genfer Konvention von 1949 und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte von 1966, dessen Mitglied auch Israel ist. Dementsprechend hat etwa die UN-Menschenrechtskommission bereits 2003 Israels Liquidierungen und seine „außergerichtlichen Hinrichtungen“ verurteilt. Eine Verpflichtung des Rechtsstaats ist es ja gerade, sich nicht derselben Mittel zu bedienen wie seine Feinde. Hat es Israel, das angeblich über die fünftstärkste Armee der Welt verfügt, wirklich nötig, wie zum Beispiel vor fünf Wochen, einen gelähmten und erblindeten Greis, den geistigen Führer des islamischen Palästina, Scheich Jassin, in einer „gezielten Tötungsoperation“ umzubringen, statt ihn ganz einfach zu verhaften? „Das ist schlimmer als ein Verbrechen – es ist eine Dummheit!“ kommentierte der israelische Publizist und Scharon-Kritiker Uri Avnery die Tat. Israel muß sich der mörderischen Anschläge auf seine Zivilbevölkerung natürlich erwehren. Aber es muß dies mit rechtsstaatlichen Mitteln und im Einklang mit dem Völkerrecht tun, um nicht mit denen auf derselben Stufe zu stehen, die es Terroristen nennt. Leicht könnte mit den „gezielten Tötungen“ ein neues Kapitel des israelisch-palästinensischen Konflikts aufgeschlagen sein. Es bringt ihn von der Ebene eines lösbaren politischen auf die Ebene eines existentiellen und religiösen Konflikts gleichsam apokalyptischer Art, die auf „Endlösungen“ zusteuert, ein Armageddon des Nahen Ostens. Daß aber Kontakte und Dialog auch zwischen Feinden möglich sind, zeigt gerade ein Rückblick auf die Gründungsjahre der Hamas ab 1988: Damals wurde sie von den israelischen Besatzungsbehörden unterstützt, der Aufbau ihrer Milizen und ihrer Sicherheitsdienste begünstigt – um ein Gegengewicht zu Arafat und der PLO zu schaffen. Irgendeine Art von Zusammenarbeit schien also möglich. Heute würden manche Hardliner der Hamas in ihren Fieberträumen die Israelis gern wieder „ins Meer“ treiben, und israelische Irrwische fänden an einem „palästinenserfreien“ Palästina Gefallen. Was wird also gebraucht? Ein Wunder? Es soll im einst Heiligen Land viele gegeben haben. Ob US-Präsident George W. Bush und Scharon – wie wenige Optimisten meinen – eines zuwege bringen, ist mehr als zweifelhaft. Sicher: Daß 1978 der Rechtsextremist Menachem Begin aus Tel Aviv zu Jimmy Carter nach Camp David kam, auf den 1967 eroberten Sinai verzichtete und sein Minister Scharon für die Räumung der dortigen Siedlungen zuständig war. Oder daß George Bush senior nach dem gewonnenen Golfkrieg 1991 von Israel etwas verlangen konnte, was es nicht freiwillig geben will, als er Yitzak Schamir zur Friedenskonferenz nach Madrid zwang – so etwas hat es schon gegeben. Aber ähnliches von dem geistig eher schlichten Bush junior zu erwarten, der in einem Wahlkampf steht, und von Scharon, dessen Charakter ihn eher dazu verleitet, die neue US-Position als Freibrief zu verstehen – das wäre mehr als ein Wunder.