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Vergessene Geschichte

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Selbst für Kenner der unerzählten und verschwiegenen Geschichten hinter der Geschichte dürfte die Dokumentation „Zum Nazi verdammt“, die am 16. Juli um 21.50 Uhr auf Arte ausgestrahlt wird, verblüffendes Material bereithalten, das darüber hinaus lehrreiche Einblicke in die Polarisierungsdynamik des Krieges überhaupt bietet.

Die Autorinnen Michaela Kirst und Frauke Levin haben sich auf die Spur jener Deutschamerikaner begeben, die von 1941 bis 1948 als „feindliche Ausländer“ in US-Internierungslagern festgehalten wurden. Während inzwischen ein Monument in Washington an die internierten amerikanischen Staatsbürger japanischer Herkunft erinnert, ist dieses Kapitel bisher von der offiziösen Geschichtsschreibung  nahezu völlig unterschlagen worden.

Die von Regisseurin Kirst befragten Deutschamerikaner Art Jacobs, Ocke Bohn, Eb Fuhr und Lothar Eiserloh waren noch Kinder, als sie schlagartig aus ihrer heilen Welt gerissen wurden. Als Söhne deutscher Einwanderer wuchsen die vier als normale amerikanische Jungen mit Begeisterung für Baseball, Football und die Boy Scouts auf. Bereits vor Beginn des Krieges wurde in US-Medien eine gewisse „Infiltrationsangst“ geschürt, als der obskure „German-American-Bund“ Naziaufmärsche im Nürnberger Stil, zum Teil mitten in New York City, organisierte.

Hexenjagdartige Atmosphäre

Nach der deutschen Kriegserklärung an die USA am 11. Dezember 1941 wurden die Propagandaklischees des Ersten Weltkriegs reaktiviert. Die Deutschamerikaner waren mit einem Schlag als „Heinis, Nazis, Krauts“ abgestempelt, gezielte Desinformation und „Hetze gegen alles Deutsche“ führte zu hexenjagdartiger Atmosphäre.

Ocke Bohn erinnert sich beispielsweise, daß in einem Zeitungsbericht sein vom FBI verhafteter Vater als „hailing milkman“ porträtiert wurde, während man den Zehnjährigen als jugendlichen Hitlerverehrer hinstellte: „Aber mein Idol war Joe DiMaggio, der Baseballspieler!“

Die Deutschamerikaner mußten sich kafkaesken Verhören ohne jeglichen Rechtsbeistand unterziehen, es folgten Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und schließlich die Deportierung. Die Familien verloren ihr ganzes Hab und Gut und ihre Freiheit ebenso wie ihre gesellschaftliche Reputation. Die Lebensbedingungen in den über das Land verstreuten Lagern waren verschieden.

<---newpage---> „This is hell“

Während Karen Ebels Vater die Worte „This is hell“ in sein Tagebuch notierte, erinnern sich manche an eine nahezu unbeschwerte Kindheit in Internierungs-„Dörfern“ wie Crystal City in Texas. Ein weiteres Lager befand sich etwa auf Ellis Island, der symbolbeladenen Insel vor New York mit Blick auf die Freiheitsstatue, die einst die zentrale Sammelstelle für Millionen von Immigranten aus aller Welt war.

Ironischerweise kamen viele Deutsche erst in den Lagern in Berührung mit der NS-Ideologie. Erhaltene Lagerzeitungen zeugen von der politischen Heterogenität der Insassen. Es gab drei Hauptgruppen: pro-NS, pro-deutsch bzw. pro-„Vaterland“, sowie eine pro-amerikanische Fraktion. Die Scheinidylle hinter Stacheldraht in Crystal City und anderen Lagern war jedoch für viele auf die Dauer unerträglich.

Hier beginnt der wohl spannendste und unglaublichste Teil der Geschichte: etwa 3.000 der insgesamt 11.000 Internierten meldeten sich freiwillig zu Repatriierungsprogrammen der Regierung. Das schwedische Schiff Gripsholm transportierte noch bis Januar 1945 (!) Deutschamerikaner in das eingekesselte Reich.

Krieg gegen „Nazis“ wurde zum „Krieg gegen die zivile Bevölkerung“

Ocke Bohns Vater entschloß sich Ende 1944 zur Rückkehr nach Deutschland, das zu diesem Zeitpunkt längst auf verlorenem Posten stand. Die Familie begab sich in Lebensgefahr: der Film betont, daß der alliierte Krieg gegen „Nazideutschland“ längst zum „Krieg gegen die zivile Bevölkerung“ geworden war.

Als Lothar Eiserlohs Familie im zerbombten München von deutschen Soldaten aufgegriffen wurde und ihre Odyssee zu erklären versuchte, entfuhr dem befehlenden Offizier: „Sind Sie verrückt!?“ Im Heimatort der Mutter angekommen, wird Lothars Vater wegen Spionageverdacht von einem SS-Trupp verprügelt und verschleppt. Er wurde schließlich von US-Truppen befreit.

Der Sieg über Deutschland bedeutete keineswegs die Freiheit für die internierten Deutschamerikaner. Ihre Gefangenschaft war bis zur Unterzeichnung eines Friedensvertrags gesetzlich erlaubt – und „einen Friedensvertrag gibt es bis heute nicht“, wie der Kommentar des Films anmerkt.

<---newpage---> Auf die Wahrheit kommt es an

Zermürbt vom Warten, entschlossen sich weitere Familien zur Rückkehr ins zerstörte Deutschland, wo sie zum Teil erneut, diesmal zum Zwecke der Entnazifizierung, verhaftet wurden. Die letzten Internierten kamen erst im Sommer 1948, drei Jahre nach Kriegsende, frei.

Inzwischen gibt es in den USA Initiativen, die vergessene Geschichte der „feindlichen Ausländer“ zu würdigen und öffentlich anzuerkennen. „Sie sollen nur die Wahrheit sagen“, fordert Eb Fuhr, der bis September 1947 auf Ellis Island festgehalten wurde. Er wolle von der Regierung weder Entschädigungen noch Entschuldigungen: „Truth is what matters“, auf die Wahrheit kommt es an.

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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