Vor 30 Jahren läutete Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (FDP) das Ende der Regierung Schmidt-Genscher ein. Das am 9. September 1982 publiziertes „Lambsdorff-Papier“ mit seinen Forderungen nach drastischen Einschnitten im Sozialstaat kündigte faktisch das Bündnis mit der SPD auf.
Als frischgebackenes Mitglied der Jungen Union fieberte ich am Bildschirm mit, als die Bundestagsdebatte zum konstruktiven Mißtrauensvotum am 1. Oktober übertragen wurde und Oppositionsführer Helmut Kohl (CDU) zum neuen Bundeskanzler gewählt wurde.
Als JU-Mitglied wollte ich mich für die deutsche Wiedervereinigung einsetzen, für Lebensschutz und eine konservative Familien-, Schul- und Wehrpolitik. Als Sohn eines Berufssoldaten empfand ich die wachsende gesellschaftliche Distanz zur Bundeswehr als ehrenrührig.
Heiße Luft
Die Enttäuschung, die auf die Wahl Kohls zum Bundeskanzler folgte, war ernüchternd. Die Hysterie, mit der von links vor Kohl und dem CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß gewarnt wurde, hatte die Erwartung genährt, daß ein gesellschaftspolitischer Richtungswechsel folgen würde.
Straßenschlachten tobten im alternativen Freiburg im Breisgau, wenn der bayerische Ministerpräsident es „wagte“, dort sprechen zu wollen. Das ganze Gerede von einer „geistig-moralischen Wende“ entpuppte sich als heiße Luft.
Mit Geißler und Süssmuth schob Kohl die Partei durch den Windkanal. Die Abspaltung der 1983 gegründeten konservativen „Republikaner“ durch zwei CSU-Bundestagsabgeordnete ist herausragendes Beispiel für den wiederkehrenden Wechsel aus Hoffnung und Enttäuschung, der die Union bis heute kennzeichnet.
Die CDU gestaltet nicht
Dennoch kristallisieren sich immer wieder Persönlichkeiten und Strömungen heraus, die erneut Hoffnung nähren. Man verkennt aber die CDU, wenn man ihr einen weltanschaulichen Kern zubilligt, den sie um den Preis schwerer Verluste zu verteidigen bereit wäre. Sie ist die wahrscheinlich anpassungsfähigste und damit – was die Regierungszeit angeht – erfolgreichste Partei Nachkriegsdeutschlands.
Die CDU gestaltet nicht, sie ist Medium einer sich wandelnden Gesellschaft, deren ideologische Neuausrichtung andere bestimmen. Sie paßt sich dabei, soweit es von ihr besonders aufmerksam beäugte Meinungsumfragen zulassen, mit geschmeidiger Verzögerung den Entwicklungen des Zeitgeistes an.
Der virulente Punkt ist, daß dieser Zeitgeist in einem metapolitischen Sinne fast ausschließlich von links bestimmt wird – weil es ein von den Unionsparteien unabhängiges und sich explizit als konservativ oder „rechts“ verstehendes intellektuelles Hinterland nur in Gestalt versprengter Inseln gibt; wozu CDU und CSU wiederum tatkräftig beigetragen haben. Vor einer politischen steht deshalb eine geistige Reorganisation dieses Hinterlandes.
JF 36/12
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