„Ich dachte, so etwas wäre heute nicht mehr möglich“, stöhnt ein Sprachwelt-Leser. Fassungslos berichtet er von dem neuen Schlecker-Werbespruch, den er eben entdeckt hat: „For You. Vor Ort.“ Schmutzigstes 90er-Jahre-Denglisch mit einem Schuß Bergarbeitersprache, ein Schlag ins Genick für alle sprachempfindlichen Mitbürger.
Das Schlimme ist, daß dieser Spruch ab Mitte dieses Monats dem Volk massiv um die Ohren gehauen wird. Die Drogeriekette Schlecker hat nämlich ihre Werbestrategie geändert – weg von den Druck-Erzeugnissen, hin zur Fernsehwerbung. Volker Schurr, der neue Vermarktungsleiter von Schlecker, droht: „Unsere Kampagne wird an Sichtbarkeit, Dauerpräsenz und Durchdringung den anderen großen Handelskampagnen ganz sicher in nichts nachstehen und gerade in unserem Fokusbereich der Drogerie einzigartig sein.“
Der unsympathische Nahversorger
Dabei hätte Schlecker allen Grund, seinen Ruf aufzupolieren. Über das Unternehmen erscheint eine Negativschlagzeile nach der anderen. Es ist die Rede von lieblos-schmuddelig eingerichteten Märkten und von schlechten Arbeitsbedingungen für Angestellte. Über mißliebige Mitarbeiter soll Schlecker sogar Abschußlisten angelegt haben.
Die neue Werbestrategie erweist sich als von oben aufgesetzt. Sie scheint nicht von einem Wandel innerhalb des Unternehmens geprägt zu sein. Wäre sonst Schlecker auf den aberwitzigen Gedanken verfallen, mit Hilfe eines deutsch-englischen Sprachmischmaschs die Nähe zum Kunden zu suchen? Schurr behauptet nämlich allen Ernstes: „Der Claim [der Leitspruch, T.P.] soll mit einem Augenzwinkern vermitteln, was Schlecker ist: der sympathische Nahversorger.“
Warum vor Ort und nicht am Ort?
Im Schatten des unsympathischen, aufdringlichen, anbiedernden Allerwelts-„for you“ steht der Modeausdruck „vor Ort“, über den sich schon viele Sprachpfleger erzürnt haben. Er kommt bekanntlich aus der Sprache der Bergleute und bezeichnet den Punkt, vor dem der vorderste Bergmann arbeitet. „Ort“ hat hier die alte Bedeutung von „Spitze“, hat also nichts mit „Ort“ im Sinne von „Stelle“ zu tun.
Nach dem studentischen Kneipenkommando „Chargen, Schläger an den Ort“ sausen die Schläger der Chargierten – möglichst gleichzeitig – an die Spitze, ans äußerste Ende der Scheide, die am Gehänge getragen wird. Wer „vor Ort“ ist, der ist folglich noch nicht am Ziel angekommen, er befindet sich gewissermaßen erst im Vorort. Auch Schlecker ist offensichtlich noch lange nicht am Ziel, sondern noch weit vor Ort.
Geheimnisvolle „Tests“
Wie viele andere Sprachpanscher begründet auch der Vermarktungsleiter von Schlecker die Wahl seines mißlungenen Werbespruches mit Ergebnissen aus der Marktforschung: „Wir haben verschiedene Claims getestet, und dieser hat mit Abstand am besten abgeschnitten.“ Der Geschäftsführer der Markenagentur Endmark, Bernd M. Samland, erklärte mir einmal auf einer Veranstaltung, daß derartige Untersuchungen meist wenig repräsentativ und aussagekräftig sind. Auch bei Samland ist der neue Schlecker-Spruch durchgefallen: „Das schleckert nicht“, schreibt er. Es gebe außerdem bereits 285 „Four you“-Marken, dazu kommen 82mal das noch blödere „4U“ und 56 „Vor Ort“-Marken.
Samland weiß, wovon er spricht. Die regelmäßigen Umfragen seiner Agentur über die Verständlichkeit von Werbesprüchen haben schon so manches Unternehmen zur Besinnung gebracht. Der vielzitierte Klassiker ist der Douglas-Spruch „Come in and find out“, der oft als „Komm rein und finde wieder raus“ verstanden wurde. Die Parfümerie hat sich dann bald für einen deutschen Spruch entschieden („Douglas macht das Leben schöner“). Der Titel des neuen Buches Samlands lautet übrigens: „Übersetzt du noch oder verstehst du schon?“
Schlecker geht mir auf den Wecker!
Was wäre nun an „Für dich in deiner Nähe“ so schlimm gewesen? Wäre etwa der offensichtliche Widerspruch von Schein und Sein zu groß gewesen? Also bleibt mir nur der Spruch übrig: „Schlecker geht mir auf den Wecker!“ (Ein anderer hat sich weitaus drastischer ausgedrückt.)