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Die säkulare Geburt des Denkens

Die säkulare Geburt des Denkens

Die säkulare Geburt des Denkens

 

Die säkulare Geburt des Denkens

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Unabhängig vom jüdischen Monotheismus und dessen großartigen Mythen, lange vor den Ereignissen von Golgatha und sogar über tausend Jahre bevor ein haschemitischer Schafhirte und Karawanenführer die Hybridreligion des Islam schuf, kommt es zum Erwachen des europäischen Menschen und des abendländischen Geistes, der die großen Rätsel des Seins in philosophischer Sprache zu fassen versucht, also das Wagnis unternimmt, ohne Rückgriff auf Offenbarungswahrnehmungen und nicht verifizierbare Zeugnisschaften aus dem ursprünglichen Staunen und Denken heraus Aussagen zu Chaos und Kosmos zu fassen, die bis in die moderne Philosophie und Physik hinein ihre grandiose Fortsetzung finden. 

Es sind die alten Vorsokratiker beziehungsweise milesischen Naturphilosophen, die jetzt in einer gründlich durchgearbeiteten und schönen Neuerscheinung verdiente Würdigung finden. Sie suchten durchaus nach dem, was – mit Faust – die Welt im Innersten zusammenhält, ihren Urstoff, den Grund aller Mannigfaltigkeit, den Hintergrund des Gestaltwandels. Der englische Philosoph und Mathematiker Whitehead beschrieb ihren Ansatz so: „Was ist das Substrat der Natur? Feuer, Erde oder Wasser, eine Kombination zweier von ihnen oder aller drei? Oder ein bloßer Fluß, der sich nicht auf ein statisches Material reduzieren läßt?“

Wenn etwa Thales den Ursprung von allem im Wasser erkennt, so kann der moderne Mensch das naiv finden, wenngleich Wasser in seiner Wandelbarkeit und als Lebenselixier allerlei metaphorische Deutungen zuließe, aber das Neue dieses Fragens und Denkens mag eher in der Sichtweise und im Verfahren liegen und kommt durchaus zu weittragenden Aussagen, wenn es etwa bei Heraklit heißt: „Dieses ordentliche Gebilde hier, dasselbe für alle, schuf weder einer der Götter noch einer der Menschen, sondern es war immer und ist und wird sein; ewig lebendiges Feuer, entflammend nach Maßen und erlöschend nach Maßen.“

Denken ohne Glaube und Mythos

Für eine tiefe Metaphysik ließ diese frühe Philosophie genügend Raum. Heraklit: „Der Ursprung … pflegt, verborgen zu bleiben.“ Für die Philosophie! Weniger für die Religion, die mehr Antworten hat und mehr Trost bereithalten mag, vermutlich auch mehr wohltuende Illusionen. 

Whitehead weiß, daß die Vorsokratiker nicht zur „wissenschaftlichen Mentalität“ durchbrachen, sieht aber gerade darin ihren Reiz, weil sie aufs Ganze gehend fragen konnten, anstatt sich in Spezialisierungen zu zerspleißen.

Friedrich Nietzsche unterstreicht mit Blick auf Thales von Milet die Bedeutung dieses frühen Denkens, das erstmalig ohne den Glauben und Mythos auszukommen versucht und insofern freihändig agiert: „Ist es wirklich nöthig, hierbei stille zu stehen und ernst zu werden? Ja, und aus drei Gründen: Erstens weil der Satz (Ursprung von allem sei das Wasser – H.B.) etwas vom Ursprung der Dinge aussagt und zweitens, weil er dies ohne Bild und Fabelei thut; und endlich drittens, weil in ihm, wenngleich nur im Zustande der Verpuppung, der Gedanke enthalten ist: alles ist eines.“ Dieser mystische Gedanke wird ja von einem anderen dieser Frühen, von Parmenides, dem gedanklichen Widerpart Heraklits, auch explizit gefaßt. 

Geistesgeschichtlicher Glücksfall

Mich reizt daran, daß diese früheuropäische Sicht aufs Seinsganze ohne das große Wunder auskommt, aber gerade deswegen die Welt bewundert, bestaunt und erkennend liebt. Ohne daß ein Engel erschiene, ohne daß eine Dimension fehlte. Tiefes Denken kommt offenbar von Anfang an ohne Erweckungen, „ohne Fabelei“, aus, erwacht aber gerade dadurch selbst.

Ich unterstelle: Thora, Bibel und Koran mögen eingängiger zu lesen sein als Darstellungen zu Relativitätstheorie, Quantenphysik und Stringtheorie, die durchaus an des Bestreben der Vorsokratik anschließen; sie haben deshalb jedoch keine geringere Befugnis, als Grundlage für Welt-Anschauung herangezogen zu werden. Vielleicht ein geistesgeschichtlicher Glücksfall, daß das Christentum das Erbe der Griechen rezipierte und weitertrug. Allerdings nehmen Religionen für sich den Schutz durch die Pietät und den Respekt im Sinne einer Immunität in Anspruch, haben aber ihrerseits Schwierigkeit damit, ein Denken zu tolerieren, das der Bekenntnisse und des Dogmas nicht bedarf.

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