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Was Julian Assange treibt

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„Mächtige spüren die Macht der Hackerethik“ übertitelte Christian Stöcker Ende letzter Woche einen Artikel für Spiegel-Online, in dem er unter anderem auf den Hacker-Guru Steven Levy zu sprechen kam. Levy brachte 1984 mit seinem Buch „Hackers. Herores of the Computer Revolution“ der Welt zum ersten Mal die Hackerszene nahe, deren Anfänge bereits in den 1950er Jahren lagen. Beschrieben wird, wie sich mit der schrittweisen Entwicklung des Computers „etwas Neues verdichtete …: eine neue Lebensweise mit einer Philosophie, einer Ethik und einem Traum“.

Levy war es, der wohl als erster so etwas wie eine „Hackerethik“ entwickelte, die unter anderem im Beitrag von Boris Gröndahl zu dem Buch „Netzpiraten. Die Kultur des elektronischen Verbrechens“ (Hannover 2001, S. 145) nachgelesen werden kann. In Kürze lautet die sechs ethischen Prinzipien der Hackerszene:
1. Der Zugang zu Computern sollte unbegrenzt und umfassend sein.
2. Alle Informationen sollten frei sein.
3. Mißtraue Autorität – fördere Dezentralisierung.
4. Hacker sollten nur anhand ihres Hackens beurteilt werden.
5. Mit einem Computer kann Kunst und Schönheit erzeugt werden.
6. Computer können das Leben verbessern.

Offenere Formen des Regierens

Julian Assange, Gründer von WikiLeaks mit einschlägiger Hacker-Vergangenheit, hat aus diesem Kanon der Hackerethik insbesondere die Regel 2 radikal ausgelegt, wie Stöcker feststellt: Wenn alle Information öffentlich sei, so Assange, könne das für die Menschheit nur vorteilhaft sein. Dies deshalb, weil man nur so auf enthüllte Ungerechtigkeit antworten bzw. nur so die Ungerechtigkeit in der Welt bekämpfen könne.

Assange überbietet Levy indes in einem ganz bestimmten Punkt: er äußerte nämlich die Überzeugung, „ungerechte Systeme“ mit Datenlecks kippen zu können – damit sie durch „offenere Formen des Regierens ersetzt werden können“. In diesem Zusammenhang stellt sich unter anderem die Frage, wer darüber entscheidet, was ein „ungerechtes System“ ist. Nimmt man Assange beim Wort, fällt darunter wohl auch die USA, deren „Datenlecks“ er und seine Mitstreiter ohne Beachtung irgendeines Datenschutzes radikal ausnutzten. Assange nimmt in Kauf, daß durch sein Vorgehen unterschiedslos Politiker, Journalisten, Informanten, Botschaftspersonal etc. mit möglicherweise gravierenden Konsequenzen denunziert werden.

Die totale Informationsfreiheit

Polithacker wie Assange wollen – dieser Eindruck drängt sich zumindest auf – eine grundsätzlich andere Welt bzw. andere, „neue“ Menschen. Ein Hebel dazu ist die „totale Informationsfreiheit“. Dafür gibt es bereits einen Begriff, der sich „postprivacy“ nennt. Ein Vertreter dieser Szene, nämlich Michael Seemann, erklärt denn auch ganz lakonisch: „Wir steuern auf eine Gesellschaft zu, in der es keine Geheimnisse mehr gibt. Das wird nicht der Weltuntergang sein, wir müssen uns nur darauf einstellen.“

Stöcker resümiert den dahinterliegenden Kerngedanken wie folgt: „Wenn alles offen ist, muß sich niemand mehr vor Veröffentlichungen fürchten.“ Dieser „ideologische Ansatz“, so urteilte Christian Malzahn in einem Beitrag für Welt-Online, machen den „digitalen Revolutionsführer“ [Assange] „zu einem klassischen Anarchisten. Je mehr Leaks der Internet-Guevara produzieren kann, umso effektiver die digitale Revolution“.

Das Ende der Öffenlichkeit

Es bedarf keiner großen Phantasie, um zu erkennen, daß dieses Szenario nicht zu einer „offeneren Form des Regierens“ führt, sondern in eine menschenfeindliche Gesellschaft, die keine Abgrenzung mehr zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum zuläßt. Wo befürchtet werden muß, daß letztlich alles „öffentlich“ werden kann, gibt es keine Privatsphäre mehr. Es zerfällt dann aber auch die „Öffentlichkeit“ als Forum gesellschaftlicher Erfahrung und kulturellen Austauschs, der auf der Basis bestimmter Konventionen stattfindet.

Ein Austausch indes, der einzukalkulieren hat, daß all das, was auf der Basis gegenseitigen Vertrauens ausgetauscht wird, öffentlich werden kann, findet nicht mehr statt. Was das für die menschliche Kommunikation insgesamt bedeutet, mag man sich unschwer ausmalen. „Cablegate“, also die unterschiedslose (aktuell ins Stocken geratene) Veröffentlichung vertraulicher Diplomatendepeschen durch WikiLeaks, ist vor diesem Hintergrund ein erster Schritt in diese Gesellschaft, in „der es keine Geheimnisse mehr geben soll“.

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