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Im Nebel der Ideologien

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Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der vergangenen Woche hat ein beachtliches Echo ausgelöst, unter anderem durch die Würdigungen für den scheidenden Ratsvorsitzenden Bischof Wolfgang Huber und durch die Wahl seiner Nachfolgerin, Bischöfin Margot Käßmann (siehe auch Seite 3). Verlauf und Ergebnisse dieser Synode haben tatsächlich die Bereitschaft zu einer kritischen Überprüfung des bisherigen Weges der EKD und eine deutlich erkennbare Orientierung an den Kernaufgaben kirchlichen Handelns erkennen lassen: Mission, Evangelisation, Religionsunterricht, Umgang mit den Evangelikalen und Verkündigung des Evangeliums auch den Moslems – samt und sonders selbstverständliche Erinnerungen, die aber in weiten Kirchenkreisen nicht mehr selbstverständlich sind. Man stelle sich einen Zahnärztekongreß vor, auf dem den Ärzten „Mut zum Bohren“ gemacht wird. Huber hat seine Überzeugungen im Laufe der Amtszeit wiederholt deutlich erkennen lassen und sie unter den Bedingungen einer gründlich desorientierten multikulturellen/pluralistischen Gesellschaft vertreten.

Nun kommt es bei der Beurteilung kirchlicher Verlautbarungen nicht allein darauf an, was gesagt und beschlossen wird, sondern auch darauf, was nicht gesagt und nicht beschlossen wird. Es muß bedacht werden, daß es in Theologie und Kirche nicht nur um den „rechten Glauben“ geht (dies selbstverständlich „allermeist“), sondern immer auch um das Problem der Glaubwürdigkeit.

Die innere Verfassung der evangelischen Kirche wird bis heute im wesentlichen bestimmt durch grundsätzliche Auseinandersetzungen um die sogenannte Stuttgarter Schulderklärung vom Oktober 1945. Die damals noch Vorläufige Leitung der EKD bekannte in dieser Erklärung die Mitschuld der evangelischen Kirche am Aufkommen des Nationalsozialismus und am Antikommunismus in Deutschland. Damit wurde ein wesentliches – wenn nicht das wesentliche – Zeichen der theologischen und politischen Auseinandersetzungen um die Neuordnung in Kirche und Staat gesetzt. Zentrale Aussagen des christlichen Glaubens zur Frage der „Schuld und Schuldvergebung“ und zur Buße wurden aus ihrer traditionellen theologischen Verankerung gelöst und zum überzeugenden Beweis ihrer Glaubwürdigkeit auf ideologisch-politische Entscheidungen bezogen.

Dazu gehörte nach Meinung des maßgebenden Schweizer Theologen Karl Barth die Bereitschaft zu einem radikalen Bruch mit allen Traditionen, die angeblich das Heraufkommen des Nationalsozialismus und des Antikommunismus begünstigt haben. Dazu gehörte weiter die Bereitschaft, „dem russischen Kommunismus aufgeschlossen und verständniswillig entgegenzugehen“ – ausdrücklich auch dem Kommunismus Stalinscher Prägung. Jede Erinnerung an die kommunistischen Verbrechen oder gar jeder Vergleich Stalins mit Hitler wurde und wird ausdrücklich abgelehnt. Karl Barth verstieg sich noch 1960 zu dem Diktum, daß Antikommunismus ein „Indiz auf den Hitler in uns“ sei.

Es ist richtig, daß diese Bußgesinnung zunächst nur von einer kleinen, aber eben einflußreichen Minderheit in der evangelischen Kirche vertreten worden ist und damals auch noch harten Widerspruch fand. Allerdings breitete sie sich spätestens seit 1968 rasch und gründlich aus und beherrschte in zunehmendem Maße das Meinungsklima in der evangelischen Kirche mit allen Konsequenzen für den theologischen Nachwuchs, zu dem damals auch der junge Theologe Wolfgang Huber gehörte. In der Einleitung zu einem Sammelband mit dem programmatischen Titel „Brücken der Verständigung“ (1986) begründete er die Notwendigkeit ständiger Erinnerung an deutsche Schuld wie folgt: „Nur dann ist die Staatsform des Bonner Grundgesetzes eine gelebte Demokratie, wenn sie von der Erinnerung geprägt ist, die sich auch dem Grauen stellt und es zum eigenen Inneren macht.“

Wie stark der Grad der „Verinnerlichung“ tatsächlich war – und für viele noch immer ist –, läßt sich in den Einstellungen namhafter Persönlichkeiten der Kirche zum Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus entnehmen. Demnach sei zwar das „System“ zusammengebrochen; der „Traum“ aber bleibt: Der Sozialismus, so Huber, „ist deshalb unverzichtbar, weil noch immer gegen gesellschaftliche Verhältnisse protestiert werden muß, die mit der Würde aller Menschen, und insbesondere der Würde der Ärmsten, unvereinbar sind“.

Dieser Kampf wird zwar nicht mehr als Kampf für eine sozialistische Ordnung geführt, sondern in bewährter Bündnispolitik mit allen Linksgruppierungen als „Kampf gegen Rechts“ (siehe die Meldung auf dieser Seite). Abweichende Einstellungen hierzu werden bekanntlich auch aus der evangelischen Kirche scharf zurückgewiesen. Man erinnere sich aus der Fülle von Beispielen an die Medienkampagne gegen den Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, der in einer Rede zum Tag der deutschen Einheit 2003 angeblich gegen einige Regeln der Political Correctness verstoßen hatte. Bischof Huber wertete ebendiese Rede unmittelbar nach seiner Wahl zum Ratsvorsitzenden „als Fortsetzung antisemitischer Denkweise schlimmster Sorte“.

Warum diese Erinnerung? Es geht nicht um ein billiges Nachkarten auf die berechtigten Würdigungen Hubers. Er hat durch seine Äußerungen Maßstäbe für die weitere Orientierung der Kirche im Nebel der Zeitgeistideologien gesetzt. Die Glaubwürdigkeit kirchlichen Redens und Handelns wird allerdings schwer beeinträchtigt, wenn sie weiterhin nicht beachtet werden. Es gilt die alte Regel: Wer mit dem Zeigefinger auf die Schuld eines anderen weist, auf dessen Schuld weisen drei Finger zurück. Auch diese Schuld sollte benannt werden.

Foto: Bischof Huber im Ulmer Münster: Der Traum ist geblieben

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