Kaum etwas zeigt die Langlebigkeit von Feindbildern mehr als der Umgang mit dem Islam in Deutschland – freilich in einem anderen Sinn, als die Warner vor einer „Islamophobie“ gerne glauben möchten. In längst vergangenen Zeiten hatte sich die Aufklärung gegen kirchliche Bevormundungen zur Wehr zu setzen. In diesem Prozeß der Emanzipation diente nicht zuletzt das Bild des Islam als Kampfbegriff. Wo man intellektuelle Freiheit gegen Aberglauben und Bigotterie ins Feld führte, da träumte man sich eine Religion herbei, die all das sein sollte, was man sich vom Christentum erhoffte – aufgeklärt, tolerant, weltoffen und wissenschaftsfreudig.
Dinge ändern sich und während Freigeister der Vergangenheit mit einem erträumten Islam kokettierten, ist nun das ganz reale Morgenland in unsere Städte gezogen. Und nun fällt der Vergleich anders aus: „Das Christentum gilt der Mehrheit der Bevölkerung als geprägt durch Nächstenliebe, Achtung der Menschenrechte, Wohltätigkeit, Engagement für Benachteiligte und Friedfertigkeit; der Islam dagegen steht für Benachteiligung der Frau, für Fanatismus, Rache und Vergeltung, Gewaltbereitschaft, Rückwärtsgewandtheit und missionarischem Eifer, gepaart mit dem Streben nach politischem Einfluß.“
Zu diesem Schluß kommen die Religionssoziologen Detlef Pollack und Olaf Müller im Vorabbericht einer Untersuchung, welche noch einmal das bestätigt, was schon andere Studien wie das „Islambild in Deutschland“ (JF 45/07) aufzeigten: Die Deutschen mögen den Islam nicht – und sie mögen ihn um so weniger, je mehr er beginnt, ihre Lebensweise zu bestimmen. Man könnte dies akzeptieren und konstatieren, daß man mit seiner naiven Verherrlichung des Fremden wohl selbst abergläubisch und bigott war. Oder man setzt sich selbstherrlich über die Empfindungen der Mehrheit hinweg, was im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb leider recht opportun ist.
Als „kritisch denkender Zeitgenosse“ möge man diese Haltung der Deutschen verurteilen „doch als das Zeitgeschehen beobachtende Historiker und Soziologen haben wir allerdings zunächst die Aufgabe, auf die empirisch feststellbaren Tendenzen aufmerksam zu machen“, schreiben die Autoren.
Das hindert sie nicht daran, schon mit dem Studientitel Politik zu machen: „Wie die Deutschen über die neue religiöse Vielfalt denken“ – ihrer Ansicht nach nicht gut. Rund siebzig Prozent der Deutschen nehmen die „steigende religiöse Pluralität als eine Ursache für gesellschaftliche Spannungen wahr“, behaupten sie.
Natürlich ist nicht eine „steigende religiöse Pluralität“, sondern die Islamisierung Deutschlands gemeint. Jedenfalls ist noch nichts vom wachsenden Vorbehalt der Deutschen gegen den um sich greifenden Taoismus bekannt geworden, und auch fromme Evangelikale dürften jenseits der taz-Redaktion noch keine Furchtzustände ausgelöst haben. Was die Studie selbst indirekt auch widerspiegelt. „Überrascht“ stellten die Autoren fest, daß das gemessene Bedrohungsgefühl nicht zu einer religiösen Aufladung des Konflikts führt, sondern „eine Art der säkularen Abgrenzung“ verfolgt wird: „So zeigen sich die Deutschen als Befürworter einer klaren Trennung von Religion und Politik.“
Genauso reagiert aber eine christlich geprägte, freiheitlich-demokratische Grundordnung gegenüber einer Gesellschaftsordnung, die alles das nicht ist: weder säkular noch liberal oder demokratisch. Eine solche wird von Pollack und Müller indes ernsthaft als „neue religiöse Vielfalt“ verkauft – eine euphemistische Lächerlichkeit, kann man doch derzeit in vielen Ländern ablesen, was es heißt, wenn die „neue religiöse Vielfalt“ einen demographischen Status erlangt hat, der es ihr erlaubt, von bloßer Dominierung zur aktiven Verfolgung der tatsächlichen religiösen Vielfalt überzugehen. Aber mit solchen komplexen Gedankengängen dürfte der deutsche Durchschnittssoziologe, der immerhin seine Studien finanzieren will, überfordert sein.