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Liebesakt mit Dynamit

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Das abstruseste Argument gegen den Sozialstaat ist womöglich die Kritik an dessen Gleichmacherei. Schon deren Entstehung ist ein Witz: Geht sie doch auf Nietzsche zurück, der sie als Frührentner zu Papier brachte – Basel subventionierte dem Ex-Professor nämlich das „Anderssein“ ab dem 35. Lebensjahr.

Noch dreister ist deren Transplantation in die aktuelle Wirtschaftsdebatte, so als ob die freie Marktwirtschaft die Unterschiedlichkeit, die individuelle Einzigartigkeit garantiere. Das Gegenteil ist der Fall.

Vielmehr erzwingt sie eine Zentrierung der Ökonomie ins Gehirn aller Bürger. So wird jeder zum Marktfetischisten und der Erwerb zum höchsten Wert. Auch wenn der Moneten-Gott seine Schäfchen unterschiedlich beschenkt, anbeten sollen und müssen ihn alle. Was ist egalisierender und totalitärer als dieser Fundamentalismus? Der im Falle des Nichtglaubens keine jenseitige Hölle, sondern einen – höchst diesseitigen – sozialen Tod androht? 

Ernst Jünger schrieb 1932: „Schlimmer als der Hungertod aber ist die Unterstellung des Menschen unter das ökonomische und nichts als ökonomische Gesetz. Die Bollwerke dieser Welt mit jeder Art von Dynamit in die Luft zu sprengen, ist unsere Aufgabe. Es muß verständlich gemacht werden, daß hierin ein Liebesakt zum Ausdruck kommt“ (Parerga zu „Der Arbeiter“).

Der „freie Markt“ ist mit dem Christentum nicht vereinbar

Freiheit gegenüber diesem Totalitarismus ermöglicht nur ein Sozialstaat, der ökonomische Höllenfahrten bedingungslos verhindert. Nur in ihm ist „anderes“ Leben möglich. Eine Existenz,  die primäre Zielsetzungen und Wertvorstellung außerhalb des Marktes setzt. So gewährleistet der Sozialstaat das Recht auf Unterscheidung, erweist sich als Garant der Freiheit.

Man stelle sich wirklich mal Dschuang Dsi, Jakob Böhme, Friedrich W. Schelling, George Bataille, Simone Weill, Hermann von Keyserling oder Martin Heidegger auf einem radikal freien Markt vor: Wo wäre da Platz für Seinsfragen, für Angst als Zustand der Eigentlichkeit, Ekstase oder Gelassenheit? – Abends, nach endlosen Stunden des Existenzkampfes und anschließender Reparatur im Wellness-Studio?

Oder nach der nächsten Kündigung, mit Existenzangst im Nacken? Einer der größten Denker für den Unterschied, gegen Gleichermacherei, Max Stirner – er verendete im Prekariat. Sein Rettungsversuch, eine Ich-AG als Milchhändler, ging bald bankrott. Und anderthalb Jahrhunderte später erklären „eigentümlich freie“ Wirtschaftsanbeter ihn zur Ikone…

Außerdem ist der „freie Markt“ (nicht der freie Mensch!) mit dem Christentum radikal unvereinbar. Dessen Gott dürfte nicht nur den Markt-Götzen als ungeliebten Konkurrenten registrieren – auch beider Ethik ist inkompatibel. Die Grundsätze dieses abendländischen Buddhas (wie Nietzsche ihn sah) – Seelenruhe, Angstlosigkeit und Vertrauen – sind mit Tänzen auf selbstkonstruierten Vulkanen kaum realisierbar. Nächstenliebe im Konkurrenzkampf sowie nicht.

Die Verlierer werden entmenschlicht

Natürlich weiß oder „ahnt“ das jeder. Deshalb versucht man – wie in allen Totalitarismen – die Verlierer zu entmenschlichen, verleiht ihnen vielsagende Kosenamen wie „Parasiten“, „Schmarotzer“ u.ä. und schiebt ihnen Eigenschuld zu.

Im Gegensatz dazu erhalten die Verdiener das Prädikat „gesellschaftlich besonders wertvoll“. Verkünder solcher Grundsätze verraten in Anbetracht der Realität – Zerstörung von Umwelt und Seele durch überflüssige  Rammschproduktion – vor allem eins: Daß ihr IQ im Minusbereich liegt.

Zuletzt noch eine Anmerkung zu Sloterdijks Vision vom freigiebigen Reichen, einem Anti-“Jedermann“: Wer auch nur die leiseste Hoffnung auf Mäzenatentum, auf das „freigiebige Spenden“ (P. Sloterdijk) der Begüterten setzt, ist nicht bloß geschichtsvergessen, sondern beweist, daß er die sozialen Gefälle in den Ländern des Raubtierkapitalismus (z.T. in Südamerika) „ignoriert“ hat.

In Zeiten von Schwarz-Gelb wird Jüngers Liebesakt mit Dynamit nur kleinen Subkulturen vorbehalten sein, die sich eine kleine Nische freisprengen – in der Hoffnung, den öffentlichen Wahnsinn mit geringerem Schaden zu überdauern.

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