Schon wieder gibt es neue Rechtschreibwörterbücher: Am Montag, 20. Juli, kommt der neue Wahrig auf den Markt, am Dienstag, 21. Juli, der neue Duden. Beide Wörterbücher belegen, daß die Einheitlichkeit in der deutschen Rechtschreibung noch immer in weiter Ferne liegt. Nach wie vor geben sie in Tausenden von Fällen unterschiedliche Empfehlungen. Einige Beispiele gefällig?
Wahrig-Empfehlung / Duden-Empfehlung
achtunggebietend / Achtung gebietend
bekanntmachen / bekannt machen
Bismarck’sche Sozialgesetze / bismarcksche Sozialgesetze
fettgedruckt / fett gedruckt
helllodernd / hell lodernd
Lexikographie / Lexikografie
seit neuestem / seit Neuestem
räkeln / rekeln
saubermachen / sauber machen
von weitem / von Weitem
wasserabweisend / Wasser abweisend
(aus einer Zusammenstellung der Forschungsgruppe Deutsche Sprache)
Obwohl die Wörterbücher immer dicker werden, zeigt bereits der verringerte Abstand zwischen den einzelnen Auflagen, daß die Wertbeständigkeit gesunken ist. Dauerte es vor der Rechtschreibreform noch sechs bis sieben Jahre, bis ein neuer Duden erschien, so ist die Haltbarkeit der Wörterbücher heutzutage nur noch etwa halb so lang. Einen neuen Duden gab es 2000, 2004, 2006, einen neuen Wahrig 2002, 2005, 2006.
Duden und Wahrig ringen um die Deutungshoheit
Duden und Wahrig stellen zusammen mit dem Österreichischen Wörterbuch diejenigen Wörterbuchredaktionen, welche die Regierung durch Sitze im „Rat für deutsche Rechtschreibung“ privilegiert hat. Der von den Kultusministern im Jahr 2004 eingesetzte Rat hütet das Erbe der mißlungenen Rechtschreibreform. Er setzt sich nahezu ausschließlich aus Urhebern und Nutznießern der Reform zusammen. Im Rechtschreibrat ringen die Wörterbuchredaktionen von Duden und Bertelsmann-Wahrig um die Deutungshoheit über die Rechtschreibreform.
Das Inkrafttreten der Rechtschreibreform an den Schulen am 1. August 1998 hatte das Duden-Monopol gebrochen. Seit die Kultusminister dem Duden das Privileg von 1955 entzogen hatten und er nicht mehr „maßgebend in allen Zweifelsfällen ist“, entbrannte die Auseinandersetzung zwischen Duden und Bertelsmann aufs neue. 2006 hatte der Rechtschreibrat Tausende bewährter Schreibungen wieder zugelassen, die Reformschreibungen jedoch nicht abgeschafft. So entstand Spielraum für die Wörterbuchredaktionen, die Regeln in unzähligen Fällen unterschiedlich auszulegen.
Kommt der Wahrig-Duden?
Während der Duden sich eher an den ursprünglichen Reformschreibungen ausrichtet, hält sich der Wahrig bei seinen Empfehlungen eher an die traditionelle Rechtschreibung, soweit es die 2006er-Reform zuläßt. Während der Duden in seiner neuesten Auflage das amtliche Regelwerk nicht mehr verzeichnet, druckt es der Wahrig weiterhin ab.
Während der Duden reformierte Schreibweisen nicht mehr farblich kennzeichnet, färbt der Wahrig sie blau ein. Im Wahrig finden wir neuerdings auch ein „Verzeichnis der empfohlenen Schreibweisen der deutschsprachigen Presseagenturen“. Die Nachrichtenagenturen sind ein wertvoller Bundesgenosse im Kampf um die Deutungshoheit über die Rechtschreibregeln.
Kurios bei diesen ganzen Gegensätzen ist, daß die beiden Wörterbücher seit kurzem unter dasselbe Dach gekommen sind. Im Frühjahr hat Langenscheidt nämlich das Bibliographische Institut, das die Dudenredaktion beherbergt, an die mächtige Schulbuchverlagsgruppe Cornelsen verkauft. Cornelsen verlegt jedoch gemeinschaftlich mit Bertelsmann auch den Wahrig.
Die Vermutung liegt nahe, daß Cornelsen in den nächsten Jahren Duden und Wahrig miteinander vereinigt. Dann wäre der Zustand nahezu wiederhergestellt, der vor der Rechtschreibreform herrschte: Ein Wörterbuchverlag bestimmt mit seinen Regelauslegungen im großen und ganzen die Schreibweisen, freilich auf der Grundlage der mißratenen Reform. Schon jetzt haben die Wörterbuchverlage im Rechtschreibrat das Sagen, weil sie das besitzen, was die Politik dem Rat nicht zugesteht: einen bezahlten Mitarbeiterstab.
2011 kommt die nächste Reform
Die Politik zieht dabei den Wahrig vor, für den der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair wieder ein Vorwort geschrieben hat. Wenn wir berücksichtigen, daß hinter dem Wahrig der Bertelsmann-Konzern steht, der weitaus mächtiger ist als die Duden-Redaktion, die gerade erst an Cornelsen verkauft wurde, erscheint die Haltung der Politik verständlich.
Wie geht es weiter? Die Schulbuchindustrie hat mit dem Verkauf des Dudens an Cornelsen ihren Einfluß auf die Rechtschreibung sehr gestärkt. Den Schulbuchverlagen kommt es allerdings nicht unbedingt auf eine funktionierende Rechtschreibung an, sondern vor allem darauf, daß die Schulen regelmäßig neue Auflagen von Schulbüchern anschaffen. Eine immer wieder zu aktualisierende Rechtschreibung ist ein hilfreiches Argument, Schulbücher kaufen zu müssen, um wieder auf dem neuesten Stand zu sein. Die Reform der Reform geht also weiter, freilich nicht unter dem Leitstern der Vernunft, sondern unter dem des Geschäfts.
Die nächste Auflage kommt bestimmt, denn nach seinem Statut muß der Rechtschreibrat mindestens alle fünf Jahre der Kultusministerkonferenz einen Bericht mit „Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks“ vorlegen. Den letzten gab es im Februar 2006. Spätestens in zwei Jahren ist folglich mit der 2011er-Reform wieder eine Aktualisierung der Rechtschreibwörterbücher fällig.
Ich selbst arbeite mit der 18. Auflage des Dudens, die 1980 erschien, und komme damit immer noch sehr gut zurecht. Damals war so ein Wörterbuch eben noch Wertarbeit. Wer jedoch ein zeitgemäßes Wörterbuch in traditioneller Rechtschreibung sucht, kann mit dem Mackensen aus dem Manuscriptum-Verlag etwas Wertbeständiges erwerben, „unreformiert, undeformiert“, wie der Verlag wirbt: „ein Wörterbuch, das nicht veralten wird“ – im Gegensatz zu den Wörterbüchern Duden und Wahrig des Jahres 2009.