Die Haltung der FDP in der Europapolitik ist das große Paradoxon der deutschen Politik. Sie führt zwar ständig das Wort von der Subsidiarität im Munde, macht aber immer mit, wenn es um den Ausbau des europäischen Zentralstaats geht. An der Basis sorgt das für mehr Unmut als bei CDU oder SPD, bei denen Europa-Themen gelangweilt durchgewinkt werden.
Vor zehn Jahren gab es schon mal eine namhafte Abspaltung von der FDP in Form des Bundes Freier Bürger (BFB), der aber bei Wahlen bedeutungslos blieb. Am vergangenen Wochenende nun artikulierten sich die liberalen EU-Gegner ein weiteres Mal. Auf dem Bundestreffen der Libertären Plattform, einer FDP-nahen „Ideenschmiede“, kam es zur Kontroverse über den Lissabon-Vertrag.
Der Berliner Rechtsprofessor Markus C. Kerber schilderte seine Beweggründe, gegen den Lissabon-Vertrag zu klagen: Er sieht in der EU-Verfassung einen „Verstoß gegen das Demokratieprinzip“. Die mächtige EU-Kommission sei ein „Segen“ gewesen, solange die EU schwach war – in den Anfangsjahren also. Aber dann, in den achtziger und neunziger Jahren, haben sich die Dinge geändert. „Daraus ist ein Fluch geworden. Es gibt keinen Politikbereich, in den sich die Kommission nicht einmischt.“ Lissabon sei die Ermächtigung zur Einmischung in Politikfelder wie Raumfahrt, Polizei oder gar Tourismus.
Trotzdem hat die FDP immer dafür gestimmt, die Kompetenzen Brüssels weiter auszuweiten. Warum wohl? Der FDP-Europaabgeordneten Holger Krahmer bemühte sich um eine wenig zufriedenstellende Antwort: Die Alternative zum Vertrag von Lissabon wäre ein „Weiter wie bisher“ auf der Grundlage des Nizza-Vertrags – und damit ein Rückschritt. Eine Volksabstimmung lehne er aus grundsätzlichen Erwägungen ab.
Damit wollte sich der Rechtsanwalt und Publizist Carlos A. Gebauer, im Nebenberuf TV-Rechtsanwalt bei RTL, nicht zufriedengeben: „Ich versuche mein Scherflein dazu beizutragen, daß wir als deutsches Volk gefragt werden.“ Gebauer will die Volksabstimmung, und er will das Grundgesetz davor schützen, durch europäische Gesetze „überwuchert“ zu werden. Der Euro werde scheitern, und der einzige Ausweg aus der dann folgenden Krise sei der „kleinste gemeinsame Nenner“ in Europa.
Gebauer wünscht sich eine Art Minimal-EU, in der niemand über den Tisch gezogen werden kann und in der es keinen Brüsseler Zentralstaat gibt. Er hat der FDP nach mehreren Jahren als Mitglied den Rücken gekehrt und hat sich der europaweiten Anti-Lissabon-Partei Libertas angeschlossen, deren deutscher Vorsitzender er ist. Jedoch: Die Partei hat die notwendigen Unterschriften für eine Teilnahme an der Europawahl nicht zusammenbekommen (JF 16/09).
Bleibt also doch nur das Engagement in der FDP? Gebauer und seine Freunde erörterten am Rande der Tagung ihre weitere Vorgehensweise: eine Zusammenarbeit mit anderen Gruppen bei der EU-Wahl (wahrscheinlich), das Antreten zur Bundestagswahl (unwahrscheinlich) und andere politische Aktionen jenseits von Wahlteilnahmen.
Detmar Doering versuchte zu vermitteln. Der Chef des Liberalen Instituts der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung ist natürlich weitgehend an die Parteilinie gebunden, sieht sich selbst aber als „klassische Scharnierfunktion“. Liberale Abgeordnete, berichtete er, ständen oft hilflos da, wenn der Einfluß des Staates auf Kosten der Bürger weiter ausgeweitet würde. Sie müßten mit Informationen gefüttert werden: zum Beispiel über die neuen „Umerziehungsgesetze“ unter dem Deckmantel der Antidiskriminierung.
Am Ende der Konferenz sprach der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler über die Ursachen und Konsequenzen der Finanzkrise. Er fordert: „Unternehmerische Fehlentscheidungen müssen die Banken und ihre Eigentümer selbst lösen.“ Das Handeln der Bundesregierung in der Finanzkrise habe „massive Wettbewerbsverzerrungen“ produziert. Weitere staatliche Eingriffe in den Finanzmarkt wären der „Supergau für den Steuerzahler“. Schäffler läßt durchblicken, daß er der Schuldenübernahme der Banken durch den deutschen Staat im vergangenen Jahr nur mit Bauchschmerzen zugestimmt hat.
Insgesamt waren sich die Teilnehmer des Seminars am Kleinen Wannsee einig: Zwar freuen sie sich über die hervorragenden Umfragewerte für die Liberalen. Doch auch Zweifel machten die Runde. Ein Teilnehmer drückte es so aus: „Ich habe keine utopischen Erwartungen, was die FDP in der Regierung angeht.“