Durch die Debatte über Patientenverfügungen ist bei vielen Menschen der trügerische Eindruck entstanden, man könne mit einer solchen Verfügung „Vorsorge“ für das eigene Sterben treffen. Patientenverfügungen können zwar dazu dienen, einzelne nicht gewünschte Behandlungsmaßnahmen zu verhindern. Aber ein menschenwürdiges Sterben garantieren sie nicht. Patientenverfügungen sind zunächst einmal Ausdruck des Mißtrauens. Das Mißtrauen richtet sich gegen Ärzte, die zuviel Leid zulassen oder es durch medizinischen Aktivismus noch sinnlos verlängern. Was die Menschen daher wirklich wollen, sind Ärzte, die willens und in der Lage sind, Schmerzen und andere belastende Symptome effektiv zu bekämpfen, und die gleichzeitig wissen, wann die Zeit gekommen ist, dem Sterben Raum zu geben. Solche Ärzte gibt es – aber nicht in der benötigten Anzahl und vor allem nicht flächendeckend. Die Versorgung mit Palliativstationen, Schmerzspezialisten und Hospizen läßt immer noch zu wünschen übrig – trotz gewisser Fortschritte in den letzten Jahren. Im Einzelfall kann eine Patientenverfügung sinnvoll sein, insbesondere dann, wenn sich ein konkreter Krankheitsverlauf absehen läßt. Aber eine pauschale „Regelung“ des eigenen Sterbens kann durch keine noch so ausgefeilte Verfügung erreicht werden. Patientenverfügungen eignen sich daher auch nicht als gesellschaftspolitisches Instrument zur generellen Lösung von Entscheidungskonflikten am Lebensende. Jeder Bürger muß die Gewißheit haben, daß er in schwerer Krankheit auf angemessene und menschenwürdige Behandlung zählen kann – auch wenn er keine Patientenverfügung hat. Davon sind wir in unserem Gesundheitssystem noch meilenweit entfernt. Hier liegen die wahren Probleme, derer sich der Gesetzgeber annehmen muß. Nach den Erfahrungen in anderen Ländern ist damit zu rechnen, daß auch nach einer gesetzlichen Regelung etwa 80 Prozent der Menschen ohne eine Patientenverfügung sterben werden. In diesen Fällen wird, wenn sich der Patient selbst nicht mehr äußern kann, nach dem sogenannten „mutmaßlichen Willen“ entschieden. Wie dieser fiktive Wille zu ermitteln ist und ob eine solche Fiktion überhaupt als Entscheidungsgrundlage dienen kann, ist umstritten. Eine Lösung bietet keiner der bislang diskutierten Gesetzesvorschläge. Angesichts dieser Defizite muß davor gewarnt werden, daß die Diskussion um eine gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen letztlich die falschen Signale setzt. Wer auf Behandlung verzichten will, kann dies schon heute verbindlich zum Ausdruck bringen. Es wäre aber falsch, den Behandlungsverzicht zum Maßstab einer menschlichen Medizin zu erklären. Menschenwürdiges Sterben erfordert viel Zuwendung und aktive palliativmedizinische Betreuung. Die Politik muß sich fragen lassen, ob sie das Gesundheitssystem so ausgestaltet hat, daß hierfür genügend Ressourcen zur Verfügung stehen. Rainer Beckmann ist Richter und war Mitglied der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages.